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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

den Erfolg, daß man uns bald zu Mozart’s Geburtshaus, seinem Wohnhaus, schließlich sogar zu seinem Standbilde schickte. Mißmuthig, waren wir fast im Begriff unsere Entdeckungsreise aufzugeben, als wir erfuhren, im Chiemsee-Hof solle „auch etwas vom Mozart zu sehen“ sein. Wir ließen es auf einen letzten Versuch ankommen und suchten den Chiemsee-Hof auf. Derselbe, ein weitläufiges, altes Gebäude, beherbergt augenblicklich, wie ich glaube, verschiedene Regierungsbureaus, Cassen etc. In ihm war denn richtig das vielgesuchte Mozarteum, leider verschlossen; um zwei Uhr sei es geöffnet, besagte ein einfacher Zettel an der Thür. Unsere Ungeduld trieb uns noch vor zwei Uhr wieder an Ort und Stelle, doch es schlug halb drei, und Niemand erschien uns einzulassen. Endlich sagte uns eine mitleidige Seele, wir thäten am Besten, den Herrn Conservator selbst herbeizuholen, er wohne um ein paar Ecken herum bei einem Bäcker. Der Conservator (er war Musiklehrer am Mozarteum) war mit einiger Mühe denn auch gefunden und versprach sogleich nachzukommen; wir möchten einstweilen vorausgehen. Die vielbetrachtete Thür erschloß sich endlich, und meinem heißhungrigen Blicke zeigte sich ein absolut leerer Raum mit kahlen Wänden; das war noch nicht das Rechte. Wir gingen hindurch, überschritten die nächste Schwelle und standen glücklich im ersehnten Heiligthum.

Ein helles Zimmer, mäßig groß, in welches durch die geöffneten zwei Fenster die hellen Sonnenstrahlen fielen, an den Wänden alte Oelgemälde in unscheinbaren Rahmen, große Schränke, einige Tische mit allerlei Papieren und Notenheften bedeckt, ebenso in den Winkeln Noten und Bücher über einander geschichtet, in der Mitte ein alter Flügel – das war der erste Eindruck, den ich gewann. So konnte Mozart’s Arbeitszimmer in Wirklichkeit wohl ausgesehen haben; es war eine glückliche Mischung von Ordnung und Unordnung, ob absichtlich, ob unabsichtlich hergestellt, gleichviel. Auf den Fensterbretern stand eine Reihe von blühenden Cactusgewächsen, draußen in einem ganz vereinsamten Garten rauschten leise die Bäume, und in den Strahlen der Nachmittagssonne tanzten von uns aufgestört die Sonnenstäubchen. Wir standen unwillkürlich auf der Schwelle still, um das Bild ganz in uns aufzunehmen. Die Abgeschiedenheit von dem Getöse der Außenwelt und die träumerische Ruhe, welche über dem Ganzen lag, wirkten auf mich ein und versetzten mich ganz von selbst in eine feierliche Stimmung, wie sie dem Orte angemessen war. Unser Führer versah nun sein Amt, indem er uns erklärend von Bild zu Bild führte, die Schränke erschloß und Manuscripte vorlegte. Schon nach wenigen Minuten sahen wir ein, daß wir einen ebenso wissenschaftlich gebildeten wie zuvorkommenden Mann vor uns hatten, und dieser Umstand erhöhte den Genuß wesentlich.

In der Mitte des Raumes stand also Mozart’s Concertflügel, ein hellfarbiges, hochbeiniges Instrument. Der Conservator öffnete es und spielte einige Tacte des bekannten Menuets aus Don Juan; der Klang war, wie immer bei diesen alten Instrumenten, etwas scharf und dünn, aber tadellos rein. Vor längeren Jahren war einmal Mozart’s ältester Sohn aus Mailand herübergekommen und hatte auf diesem nämlichen Flügel in einem großen Saale ein Concert seines Vaters mit Orchester-Begleitung gespielt; es wurde uns versichert, das Instrument habe eine wunderbare Klangfülle entwickelt. Es hat auch die Ehre gehabt, portraitirt zu werden, wenigstens hängt zwischen beiden Fenstern ein großes Oelgemälde, das den kleinen Mozart mit seinem Schwesterchen vierhändig spielend vorstellt. Er trägt das Tressenkleid, welches ihm die Kaiserin Maria Theresia schenkte. Der Papa Mozart steht daneben und scheint auf die Fehler zu passen, während aus ovalem Goldrahmen die Mutter Mozart auf ihre Kinder herabblickt. Unter den übrigen Bildern ist auch das Miniaturportrait der Aloysia Weber, Mozart’s schöner Schwägerin, Bilder von seinen Söhnen und seiner Constanze nebst ihrem nachmaligen zweiten Mann, dem dänischen Staatsrathe Nissen, vornehmlich aber mehrere Portraits von Mozart selbst, die ihn in seinen späteren Lebensjahren zeigen. Eines, etwa einen Quadratfuß groß, ist nach dem Urtheil des Sohnes bei Weitem das ähnlichste, nur der Kopf ist vollständig ausgeführt, das Uebrige blos grundirt, und doch übertrifft sie alle ein kleines Medaillon in Buchsbaum geschnitten. Ein seiner Zeit sehr berühmter Künstler (Bosse heißt er, wenn ich nicht irre) hat es in Berlin verfertigt, zu welchem Zwecke ihm Mozart selbst mehrere Male gesessen hat. Es ist unglaublich sauber geschnitzt und hat einen sehr anziehenden und lebendigen Gesichtsausdruck.

Der Conservator verbindet hierbei das Nützliche mit dem Angenehmen. Da nach einem vollkommen ähnlichen Bilde von Mozart natürlich stets Nachfrage ist, so hat er von diesem Buchsmedaillon Photographieen in natürlicher Größe anfertigen lassen, die den Besuchern des Mozarteums eine willkommene Erinnerung bieten. Jetzt wird ein Schrank geöffnet mit Mozart’schen und anderen Manuscripten gefüllt. In gebührendem Respect wird uns zuerst ein Gedicht producirt, welches der alte König Ludwig von Baiern zu Ehren Mozart’s verfaßt und eigenhändig niedergeschrieben hat. An diesem Gedicht, welches (zur Ehre der Wahrheit sei es gesagt) wirklich gut ist, haben sich Drei verewigt: einmal der hohe Verfasser, sodann Franz Liszt, welcher es auf eigene Kosten hat einbinden lassen, und zuletzt ein Salzburger Buchbinder durch den kostbaren Einband in Blau mit Silberpressung. Trotz alledem aber legen wir es beiseite und sehen lieber Mozart’s Clavierschule an, d. i. diejenige, nach welcher er das Clavierspiel gelernt hat. Es ist ein geschriebenes Heft, vielfach mit Anmerkungen des Papas versehen, die u. A. z. B. lauten: „Diese Menuet hat der Wolfgangerl, als er vier Jahre alt war, in einer halben Stunde auswendig gelernt.“ Weiterhin finden wir eine Sammlung der ersten Compositionen Wolfgangerl’s, die der Vater niedergeschrieben hat, stets mit Randbemerkungen, z. B.: „Diesen Marsch hat der Wolfgangerl am – folgt das Datum – in seinem sechsten Lebensjahre in einer Stunde componiret.“ Das Söhnlein hatte also am Clavier einen Marsch eigener Erfindung gespielt und der Vater denselben flugs zu Papier gebracht.

Von großem Interesse ist auch ein unscheinbares Quartblatt, nicht einmal ganz beschrieben; es ist die Antiphonie, die dem noch im Kindesalter stehenden Mozart in Bologna den Titel eines Maëstro filarmonico einbrachte, eine Ehre, nach welcher mancher tüchtige Musikus vergeblich getrachtet hatte. Mozart löste die gestellte Aufgabe spielend in kaum mehr Zeit, als er bedurfte, um die paar Noten überhaupt niederzuschreiben, und das Publicum schrie begeistert: Evviva il maëstro filarmonico! Evviva il maëstrino! Das betreffende Diplom hängt unter Glas und Rahmen an der Wand. Auch einige Bände von Mozart’schen Briefen sind vorhanden, aus jedem Lebensalter, nach dem Datum geordnet und sauber zwischen weiße Blätter gelegt; liest man nur einige Zeilen, so schaut allenthalben das kindliche Gemüth und oft ein schalkhafter Humor heraus, der warm zum Herzen geht. Zu lange dürfen wir aber nicht darin blättern, sonst wird unser Herr Conservator ungeduldig. Mit heimlichem Seufzer sah ich den kostbaren Schrank sich schließen, und nur eine neue Reliquie konnte meine Gedanken und Aufmerksamkeit ab- und auf sich lenken. Es war Mozart’s Spinett, recht eigentlich der Vertraute seiner heiligsten Stunden, der Zeuge und Gehülfe seines reichen Schaffens. So unscheinbar und altersschwach stand es da, ein schmaler niedriger Kasten auf dünnen Beinen, die Claviatur von etwa fünf Octaven Umfang, die oberen Tasten weiß, die unteren schwarz, alle ausgespielt und vergilbt. Im Innern war ein Zettel angeklebt, auf welchem Constanze selbst ein Zeugniß für die Echtheit des Instrumentes ausgestellt hatte, etwa so lautend: „Dieses Spinett hat mein lieber Mann Wolfgang viele Jahre hindurch besessen, auch an ihm mehrere Opern, den Idomeneo, die Zauberflöte und sein Requiem componirt.“ Während unser Führer zu einem Nebentische ging, konnte ich es mir nicht versagen, die eine Hand auf die Tasten zu legen; es gab einen ganz gedämpften Klang, und fast erschrocken zog ich die Hand zurück. Es schien mir sündhaft, diesen Vertrauten des herrlichen Meisters aus seinen Träumen von der guten alten Zeit zu wecken, wo noch die göttlich geweihten Hände Zaubermelodieen aus ihm hervorlockten. Unwillkürlich fiel mir, als ich den Namen Idomeneo las, ein, daß in denselben Räumen, wo der Freimaurer Mozart dieses sein unsterbliches Werk schuf, im Sonneneck der Burggasse zu München, gegenwärtig das katholische Casino haust.

Da unsere Zeit beschränkt war, so mußten wir uns mit einem flüchtigen Besuch begnügen; es blieb nur noch übrig, uns im Fremdenbuch zu verewigen. Auch dieses verdankt Franz Liszt sein Dasein; er hat es gestiftet, und sein Name steht auf der ersten Seite obenan in langen, spinnenbeinigen Zügen. Dicht darunter steht der Name Alfred Jaell so rund und drall geschrieben, daß man meinen sollte, die Schriftzüge der beiden Künstler repräsentiren auch ihre Figur. Aber weiter sind nur wenige Blätter beschrieben,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 271. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_271.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)