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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

sie sich ja nicht damit überladen. – Frauen, die sich im Hause nachlässig und schlotterig kleiden, werden außer dem Hause auch in den prachtvollsten Kleidern niemals elegant aussehen, denn ein eleganter Anzug muß auch leicht und gut getragen werden, soll er den Eindruck der Eleganz hervorbringen, was nie geschehen kann, wenn sich die Trägerin in demselben beengt und genirt fühlt oder zu sehr mit ihrer eigenen Person beschäftigt ist. Was nun die Mode betrifft, so kann diese bei der weiblichen Bekleidung nicht unbeachtet gelassen werden, nur folge man derselben nicht allzu sclavisch, sondern suche das, was an derselben vielleicht übertrieben oder den Regeln des wirklich Schönen nicht ganz entsprechend ist, soviel als möglich zu mildern und seiner Person anzupassen. – Rücksichtlich des Gehens auf der Straße, so lassen sich recht gut ohne Verletzung der Regeln des Anstandes die Ober- und Unterkleider so in die Höhe nehmen, daß nicht nur diese geschont, sondern auch Naßwerden und Erkältung der Beine verhütet werden. Diejenigen, welche ihre Kleider nie aufheben, sondern mit wirklicher oder affectirter Gleichgültigkeit gegen den Schmutz durch Dick und Dünne gehen, möchten sich gern als hocharistokratische Größen präsentiren, für welche Oekonomie ein unschicklicher Gedanke ist und die zeigen wollen, daß sie Alles, Schmutz und gewöhnliche Menschen, verachten. Freilich müssen Manche auch ihres abscheulichen Pedals wegen die schmutzige Straße mit ihren langen Kleidern fegen und den nassen Koth bis in die Kniekehle hinaufziehen.

Die Corsets oder Schnürleiber sind als die Grundlage für den weiblichen Anzug, an welcher die meisten übrigen Kleidungsstücke befestigt sind und von welcher größtentheils Form und Aussehen des ganzen Anzuges abhängt, nicht zu entbehren. Nur müssen sie vernünftig für den Körpers passend aus elastischem Stoffe und ohne Einlage fester Stäbe gemacht sein; es muß sich das Schnürleibchen, ohne auf irgend eine Stelle zu drücken, vollkommen den Contouren der Brust und des Leibes anschmiegen, ohne die natürliche Form dieser Theile zu beeinträchtigen; es darf weder den Brustkasten, noch die obere Bauchgegend in ihren Ausdehnungen beengen, auch soll es die Rundung der Hüfte nicht schmälern, die ja charakteristisch für den echt weiblichen Bau ist und sehr oft künstlich bis zum Monströsen aufgebaut wird. Die Schlankheit der Taille, welche allerdings dem weiblichen Wuchse große Anmuth verleiht, aber nur, wenn sie die dem Auge so wohlgefällige Biegsamkeit in den Hüften nicht beeinträchtigt, könnte allenfalls dadurch unterstützt werden, daß ein in seinem oberen und unteren Theile weiteres und locker gebundenes Schnürleibchen in seinem mittleren Theile, also nur zwischen Hüften und letzten Rippen, etwas fester zusammengeschnürt wird (s. Gartenl. 1855 Nr. 16). Neuerlich verfertigt man sich sanft anschmiegende Schnürleibchen aus gesteppten, weichen, aber festen Stoffen über Büstenmodelle; sie werden von allen Damen, die selbige tragen, sehr gerühmt. Sie sind in Leipzig bei Frau Große (Markt Nr. 17) zu haben. – Im nächsten Aufsatze soll die Schönheit und Pflege der einzelnen Theile des weiblichen Körpers besprochen werden.

Bock.




Durch und über den Mont-Cenis.


Die erste Hälfte unseres Jahrhunderts sah Italien nach langem, schwerem Schlaf erwachen. Seit dem Sturz Napoleon’s arbeiteten alle patriotischen Männer an der Belebung des nationalen Geistes, und das Streben, dem übrigen gebildeten Europa näher zu treten, wurde immer stärker. Kaum begann man daher in Frankreich und Deutschland die ersten Eisenbahnen zu bauen, als auch in Italien der Wunsch rege wurde, die neue Erfindung zum rascheren Verkehr durch die Alpen zu benützen. Schnell genug war eine Eisenstraße bis an den Fuß der Savoyer Höhen gebaut, und man begann sich mit dem Gedanken eines Riesentunnels durch die Alpen vertraut zu machen. König Carl Albert berief schon 1845 belgische Ingenieure, um die Ausführbarkeit dieser Idee zu prüfen. Das piemontesische Volk, das rührigste aller italienischen Stämme, war am meisten bei dieser Frage betheiligt und widmete ihr den größten Eifer. Für einen Tunnelbau aber eignete sich kein Berg mehr, als der Mont-Cenis, ein an elftausend Fuß hoher Berg der Grajischen Alpen zwischen Turin und Piemont einerseits und Chambery und Savoyen andererseits.

Schon im Mittelalter war der Mont-Cenis-Paß belebt; den Bau der Straße, wie sie heute ist, verdankt man aber Napoleon, der sie nach dem Sieg bei Marengo hauptsächlich zu militärischen Zwecken herrichten ließ. Seitdem blieb sie die große Hauptlinie des Verkehrs von London, Paris und Lyon hinüber nach Norditalien. Es ist eine überaus malerische Fahrt, die der Mühe verlohnt, auch in unsern Tagen sich noch einmal zehn Stunden in den Postwagen klemmen zu lassen. Schwere, große Wagen mit drei völlig getrennten Abtheilungen warten der Reisenden in dem Hof des Postgebäudes zu St. Michel, dem Endpunkt der von Lyon nach Savoyen führenden Eisenbahn auf französischer Seite. Jeder Wagen faßt zwölf bis fünfzehn Personen, und oft gehen ihrer vier bis fünf zu gleicher Zeit ab. Der Postillon, der hoch oben sitzt, leitet vier rüstige Pferde, die zunächst vor den Wagen gespannt sind. Allein deren Kräfte reichen an vielen Stellen nicht aus; eine kurze Strecke nur, und lange Züge von Maulthieren stehen zum Vorspann bereit. Vor jeden Wagen kommen deren etwa zehn; ein paar kecke Burschen mit langen Peitschen laufen neben ihnen her, treiben sie an, schreien, schwingen sich auch von Zeit zu Zeit auf eins der Thiere, und so geht es in kurzem Galopp die Schlangenwindungen der Straße hinauf. Dem Reisenden, der zum ersten Mal die Fahrt macht, wird es sonderbar zu Muth, wenn er sich längs der Abgründe durch die anscheinend störrigen und schwer lenksamen Thiere hingerissen sieht, über welche der Postillon durchaus keine Macht hat, die durch keine Zügel, sondern lediglich durch die Peitsche der ziemlich verdächtig aussehenden Führer gelenkt werden.

Doch ruhig! Die Thiere sind vorsichtiger als die Menschen. Sie, die anfangs wild und übermüthig erschienen, fallen bald in ihren stetigen, sicheren Trott, und immer höher steigt der Wagen, immer weiter öffnet sich der Blick in die Alpenwelt, immer großartiger wird der Eindruck. So gelangt man endlich auf ein kleines Plateau. Ringsum erheben zwar die Riesenberge ihre Häupter in die Lüfte, aber die Straße hat ihren Höhepunkt erreicht. Nicht weit von einem auf dieser Höhe höchst merkwürdigen See liegt ein kleines Dorf und an dessen Ende das Hospiz, welches gerüstet ist, den müden und erfrorenen Wanderer zu wärmen und zu beleben. Denn auch im hohen Sommer fröstelt es uns, wenn wir Nachts hinaufsteigen, von dem Winter nicht zu reden, in welchem die Massen des Schnees sich oft zu dreißig Fuß hohen Mauern aufthürmen. In dieser Zeit hält es oft sehr schwer, die Straße frei zu halten. Der Sturm heult dann oft mit unerhörter Wuth durch diese Schluchten und droht in dem furchtbaren Schneewirbel, mit dem er den Berg umhüllt, Alles, was nicht fest ist wie seine Felsen, in die Abgründe hinabzuschleudern.

An solchen Tagen stockt der Verkehr gänzlich. Kaum aber hat sich der Sturm gelegt, so kommen die unermüdlichen Schneeschöpfer und Arbeiter mit ihren Maschinen, ihren Besen und Hacken und graben dem Postwagen einen engen Weg durch die Schneewände hindurch, welche die Bahn verschließen. Die Straße von der Höhe abwärts nach Susa, von wo uns die Eisenbahn weiter nach Turin führt, ist bei Weitem der großartigste Theil des Wegs. Das Gebirg fällt rasch zur Ebene ab. Während der Wagen an drohenden Abhängen sicher vorüberrollt, während die Riesenberge überwältigend nahe treten, weilt der entzückte Blick auf der weiten Landschaft, die sich lachend und verheißend vor ihm ausdehnt. Der Zauber ist gebrochen; der Bewohner des Nordens athmet südliche Luft, er sieht Italien, das Land seiner Träume. Schon vor zweitausend Jahren konnte Hannibal seinen erschöpften Kriegern neuen Muth einflößen, als er ihnen von der Höhe der Alpen das paradiesische Land zeigte, das sich zu ihren Füßen erstreckte und das er ihnen als Lohn versprach.

Das ist die Poesie einer Mont-Cenis-Reise. Doch daneben hat sie auch ihre praktische, oft sehr unangenehme Seite. Die Welt will von Poesie nichts wissen, wenn es sich um greifbare Interessen handelt. Die Mont-Cenisstraße ist in unserer heutigen Zeit durchaus nicht mehr genügend. Der Verkehr fühlt sich gehemmt, und besonders Italien fühlt sich nach dieser Seite hin

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 267. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_267.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)