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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Helene war in das Sopha zurückgesunken, ihre Rechte klammerte sich krampfhaft um die Tischecke und zitterte so heftig, daß das auf der Platte stehende Porcellangeschirr aneinander klirrte. Das Gesicht der jungen Dame war aschfarben; ihr erlöschender Blick irrte hinüber zu Hollfeld… Vergebens bemühte sie sich, ihrer tödtlichen Bestürzung Herr zu werden, das Licht, das plötzlich auf ein Netz häßlicher Intriguen fiel, war zu grell; sein Strahl hatte etwas von der vernichtenden Gewalt des Blitzes für das bis dahin arglos vertrauende Gemüth Helenens.

Obgleich selbst in höchster Aufregung und im Begriff, ihrer Entrüstung noch weiteren Ausdruck zu geben, fühlte Elisabeth doch sofort ihr Herz in innigem Mitleiden schmelzen bei dem Anblick der jungen Dame. Sie hatte, indem sie ihre Ehre vertrat, der Unglücklichen die Binde von den Augen gerissen, das that ihr schmerzlich leid um Helenens willen, wenn sie auch wußte, daß diese Enttäuschung doch früher oder später hätte erfolgen müssen. Rasch trat sie zu ihr und nahm die eiskalten Hände, die langsam vom Tisch niederglitten, zwischen die ihrigen.

„Vergeben Sie mir, wenn ich Sie durch meine heftigen Worte erschreckt habe,“ sagte sie bittend, aber fest. „Es wird Ihnen nicht schwer werden, sich in meine Lage zu versetzen. … Einige erklärende Worte des Herrn von Hollfeld würden genügt haben, den unwürdigen Verdacht von mir zu nehmen. Ich würde dann nicht gezwungen gewesen sein, meine Ansicht über seinen Charakter und seine Handlungsweise so unumwunden auszusprechen. … Ich bedaure, daß es geschehen mußte, aber ich kann kein Jota davon zurücknehmen.“

Sie küßte Helenens Hände und verließ schweigend den Pavillon. Es war ihr, als strecke Herr von Walde hastig die Hand nach ihr aus, als sie an ihm vorüberschritt, aber sie sah nicht auf.

Draußen verfolgte sie den schmalen, gewundenen Pfad, der durch ein kleines Gehölz nach dem Teich mündete; sie schritt über den großen Kiesplatz am Schlosse vorüber und betrat den engen Waldweg, der nach dem Nonnenthurm führte, ohne zu wissen, wo sie sich befand, ohne daran zu denken, daß sie sich immer weiter vom Heimweg entfernte.

Sie war in einer unaussprechlichen Gemüthsaufregung. Wie ein Sturm brauste es durch ihr Gehirn… Hollfeld’s Heirathsantrag, seine maßlose Leidenschaft, Bertha’s plötzliche Erscheinung am Pavillonfenster, die unbegreifliche Thatsache, daß Helene sie freudig als die Braut dessen begrüßt hatte, den sie selbst leidenschaftlich liebte, dies Alles flog immer und immer wieder an ihr vorüber, und dazwischen klang schneidend das „Ja“ des Herrn von Walde… Er hätte sie also willkommen geheißen als Hollfeld’s Braut … es würde ihm nicht die geringste Ueberwindung gekostet haben, sie an der Seite seines Vetters zu sehen! … Diese Heirath war ohne Zweifel im Familienrath beschlossen worden. Herr von Walde hatte mit kalt prüfendem Verstand das Für und Wider erwogen und war schließlich mit seiner Schwester darin übereingekommen, daß Emil’s Auserwählte jetzt die Geschlechtstafel Derer von Hollfeld nicht mehr verunehre; man wollte sie in Gnaden annehmen und einem Mangel der Braut, ihrer Armuth, großmüthig aus eigenen Mitteln abhelfen.

Bei diesen Gedanken biß Elisabeth die Zähne heftig aufeinander wie bei einem starken körperlichen Schmerz. Eine unaussprechliche Bitterkeit erfüllte ihr Gemüth, dessen tiefinnige Neigung unverstanden zertreten worden war von jenen kalt berechnenden, eingefleischten Aristokraten… Wie hatte sie nur hoffen können, daß er je Sympathie fühlen könne für ein warmpulsirendes weibliches Herz, für eine junge Seele, die, nach Freiheit ringend, keinen Raum gab jenen engherzigen, oft so lächerlichen Satzungen der Menschen? … er, der nur in Moder und Schutt alter Geschlechter den Nimbus und die Vorzüge der Frau suchte?

Sie blieb manchmal in Gedanken versunken stehen; dann schritt sie wieder hastig, wie von ihrem Gedankenstrom getrieben, weiter, ohne zu bemerken, daß sie denselben Weg verfolgte, den sie vor wenigen Tagen an seiner Seite voll Scheu und Angst betreten hatte. Die vorstehenden Zweige der Büsche schlugen an ihre Stirn, sie dachte nicht daran, daß er sie neulich vorsorglich weggebogen hatte, wenn sie ihr Gesicht bedrohten… Noch war das Buschwerk eingeknickt, und abgestreifte Blätter lagen welkend am Boden, da, wo Fräulein von Quittelsdorf und Hollfeld sich Bahn gebrochen hatten zu den zwei einsam Wandelnden. Das war auch die Stelle, wo der halbvollendete Glückwunsch soufflirt worden war, Elisabeth glitt achtlos vorüber, und das war gut; denn ihr heißes Auge hatte keine Thränen, und hier war der Ort, wo sie sicher ihr ganzes Herz hätte ausweinen mögen.

Endlich sah sie sich erstaunt um. Sie stand vor dem Nonnenthurm. Sie war vielleicht das erste menschliche Wesen, das den Festplatz wieder betrat, seit ihn die letzten Gäste oder die müde Schloßdienerschaft neulich Nachts verlassen hatten.

Es sah wüst und unordentlich aus auf dem kleinen Plan, der auch nicht ein aufrechtstehendes Grashälmchen mehr zeigte; Alles war niedergetreten worden beim Tanz, der sonach kein Elfenreigen gewesen sein mochte. Die zwei Tannen, die das Marketenderzelt getragen hatten, lagen hingestreckt am Boden, auf einem Gemisch von Flaschenscherben und den Ueberresten eines in der Nähe abgebrannten Feuerwerkes, und droben hingen noch die zusammengeschrumpften Guirlanden zwischen Thurm und Eichen, ein leiser Luftzug strich flüsternd über die dürren Blumenhäupter, die, fest aneinandergepreßt und hoch in der Luft schwebend, über einem Zusammenfluß von Genüssen hatten verschmachten müssen.

Eine leichte Dämmerung webte bereits unter den Eichen, wenn auch noch ein goldiger Schein auf ihren Wipfeln und über der grauen Zinne des Thurmes gaukelte.

Elisabeth fühlte plötzlich, leicht zusammenschauernd, ihr Alleinsein mitten im Herzen des todtenstillen, dunkelnden Waldes, trotzdem zog es sie noch einmal unwiderstehlich nach jener Stelle, wo Herr von Walde von ihr Abschied genommen hatte. Sie schritt über den zerstampften Rasenplatz, blieb aber einen Augenblick wie festgewurzelt stehen; denn der Abendwind trug einzelne, abgebrochene Töne einer menschlichen Stimme zu ihr herüber. Anfänglich klang es wie ein ferner, vereinzelter Hülferuf, aber allmählich reihten sich die Töne aneinander, sie kamen rasch näher. Es war eine schneidend scharfe, gellende weibliche Stimme, die ein geistliches Lied mehr schrie, als sang. Elisabeth hörte deutlich, daß das Wesen während des Singens schnell vorwärts lief.

Plötzlich zerriß die Melodie, und an ihre Stelle trat ein entsetzliches Gelächter, oder vielmehr ein Geschrei, das eine Scala von Hohn, Triumph und bitteren Qualen bildete.

Eine schlimme Ahnung stieg in Elisabeth auf. Ihr Blick tauchte erschreckt in das Baumdunkel nach der Richtung hin, wo der Lärm sich näherte. Er verstummte in diesem Augenblick jedoch wieder, und die Stimme begann das Lied von Neuem … jetzt aber kam sie wie im Sturmschritt heran.

Elisabeth trat in die offene Thür des Thurmes, denn sie mochte der wandernden Sängerin, die offenbar ein unheimliches Wesen sein mußte, nicht in den Weg treten; allein kaum hatte sie die Schwelle überschritten, als das Gelächter abermals und zwar sehr nahe erscholl.

Jenseits des Rasenplanes stürzte Bertha aus dem Walddickicht hervor, ihr zur Seite lief Wolf, der grimmige Hofhund des Oberförsters.

„Wolf, faß an!“ kreischte sie, beide Hände nach Elisabeth ausstreckend. Das Thier jagte heulend über den Platz.

Elisabeth warf die Thür in’s Schloß und lief die Treppe hinauf. Sie gewann einen Vorsprung, aber noch ehe sie die Zinne des Thurmes erreicht hatte, wurde drunten die Thür aufgestoßen. Der keuchende Hund stürzte herauf, ihm nach die Wahnsinnige, indem sie unausgesetzt ihren hetzenden Zuruf wiederholte.

Athemlos erreichte die Verfolgte die letzte Stufe, sie hörte das Schnauben des ungeberdigen Thieres hinter sich – es war ihren Fersen nahe – warf mit der letzten Kraftaufwendung die eichene Thür zu, die auf das Plateau führte, und stemmte sich dagegen.

Einen Augenblick darauf rüttelte Bertha drinnen am Thürschloß, es wich nicht. Sie tobte und warf sich wüthend mit der ganzen Schwere ihres Körpers gegen die eichenen Bohlen, während Wolf abwechselnd heulend und knurrend an der Schwelle kratzte.

„Bernsteinhexe da draußen!“ schrie sie. „Ich drehe Dir den Hals um… Ich werde Dich bei Deinen gelben Haaren nehmen und Dich durch den Wald schleifen! … Du hast mir sein Herz gestohlen, Du Mondscheingesicht, Du Tugendspiegel, Scheinheilige! Wolf, faß an, faß an!“

Der Hund winselte und schlug mit den Tatzen gegen die Thür.

„Zerreiße sie in Stücken, Wolf, schlage Deine Zähne in ihre weißen Finger, die ihn behext haben mit der Musik, die vom Teufel kömmt! … Wehe, wehe! Verdammt seiest Du da

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 260. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_260.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)