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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Regel mehr anstaunt, als sich nach ihrem Werthe klar machen kann – wollen wir in allgemeinen Umrissen die Bilanz zusammenstellen, wie sie die Bank jetzt zieht. Die Activen derselben betragen an Pfandrechten auf Staatseigenthum 25 Millionen Pfund Sterling, an Pfandrecht auf Privateigenthum 20 Millionen Pfund Sterling, an geprägtem Gelde 15 Millionen Pfund Sterling, zusammen also an 60 Millionen Pfund Sterling. Dagegen belaufen sich ihre Passiven an Notencirculation auf 21 Millionen Pfund Sterling, an staatlichen und privatlichen Depositen auf 20 Millionen Pfund Sterling, zusammen auf 41 Millionen Pfund Sterling, so daß ihr Vermögen ein halb Mal ihre Verbindlichkeiten übersteigt. In dem durch seine große Geschäftskrise noch in leidiger Erinnerung stehenden Jahre 1825 hatte die Notencirculation ihre bis jetzt höchste Ziffer erreicht, indem damals fast für 26 Millionen Pfund Sterling Bankzettel im Umlaufe waren. Blos für das Wechseln ihrer kleineren Noten endlich braucht die Bank jährlich die artige Kleinigkeit von 750,000 Sovereigns!

Was die Notenzahl angeht, zu deren Ausgabe die Bank autorisirt ist, so wurde dieselbe definitiv geregelt durch die von Sir Robert Peel im Jahre 1844 eingeführte Acte, welche festsetzte, daß die Bank Noten zum Werthe von elf Millionen Pfund Sterling ausgeben dürfe auf den Credit der gleichnamigen ihr von der Regierung geschuldeten Summe, Noten zu drei Millionen Pfund Sterling Werth auf den Credit von Schatzobligationen zu demselben Werth und darüber hinaus nie mehr als nach Maß des an Gold und Silber in den Koffern ihrer Schatzkammer befindlichen realen Geldwerthes. In wie hohem Grade diese Verordnung den Credit der Bank befestigt und erweitert hat, bedarf keiner Auseinandersetzung. In der That scheint damit die letzte Gefahr beseitigt, die Bank von England durch einen jener panischen Schrecken bedroht zu sehen, welche die Handelswelt von Zeit zu Zeit erschüttern, und im Strudel der Zeit, in der wir leben, mag es nicht leicht ein anderes Institut geben, das auf so breiten, unerschütterlichen Fundamenten ruht wie die Bank von England. Indeß beginnt sich neuerdings in der englischen Geschäftswelt eine Agitation eben gegen diese Peel’sche Bankacte zu regen, welche die geschäftliche Bewegung des Instituts gewissermaßen paralysire und damit der mercantilen Entwickelung Englands ungerechtfertigt Schranken setze. Es ist hier natürlich nicht der Ort, über diese schwierige finanzielle und volkswirthschaftliche Frage zu entscheiden; wir haben sie der Vollständigkeit halber einfach constatiren wollen.




Erinnerungen an meinen Bruder Heinrich Heine.

Von Maximilian Heine.
II.

Allen, die in den zwanziger Jahren in Göttingen studirt haben, dürfte es wohl noch in Erinnerung sein, daß die ein Stündchen von Göttingen belegene anständige Kneipe, „die Landwehr“ genannt, von vielen Studenten besucht wurde.

Ganz besonders mag den ehemaligen Burschen das schöne Schenkmädchen, „Lottchen von der Landwehr“ geheißen, in Erinnerung geblieben sein. Dieses Mädchen war eine reizende Erscheinung. Höchst anständig, gleich freundlich gegen alle Gäste, bediente sie Alle mit wunderbarer Schnelligkeit und graciöser Behendigkeit. Sehr oft besuchte Heinrich Heine in Begleitung seiner Freunde aus der Landsmannschaft der Westphalia diese Schenke, um daselbst zu Abend zu essen, gewöhnlich „eine Taube“ oder eine „Viertel Ente mit Apfelcompot“. Das Mädchen gefiel auch Heinrich sehr; er liebte mit ihr zu scherzen, wozu sie übrigens weder Veranlassung noch Erlaubniß gab, ja einstens umfaßte er sie, um sie zu küssen.

Da hätte man das beleidigte Mädchen sehen müssen; vor Zorn ganz roth stellte sie sich vor Heine hin und hielt eine so würdevolle Ansprache, kanzelte ihn dermaßen moralisch herunter, daß nicht blos er, sondern auch alle übrigen Studenten, die anfangs dieser Scene recht fidel mit zugesehen hatten, ganz verlegen und kleinlaut davonschlichen.

Heine blieb längere Zeit von der Landwehr weg und erzählte allenthalben, wie ein junges, seiner weiblichen Würde bewußtes Mädchen allezeit den kräftigsten Schutz gegen jede Frivolität in sich selbst berge. Nach einem Monat zog es ihn jedoch wieder nach der Landwehr mit der eitlen Absicht, das hübsche Mädchen völlig zu ignoriren. Wie war er aber erstaunt, als er in die Schenke trat! das Mädchen kam heiter lächelnd ihm entgegen, gab ihm die Hand und sagte ganz unbefangen: „Mit Ihnen ist etwas ganz Anderes als mit den übrigen Herren Studiosen, Sie sind ja schon so berühmt wie unsere Professoren; ich habe Ihre Gedichte gelesen, ach, wie herzlich schön! Und das Gedicht vom ‚Kirchhof‘ weiß ich fast auswendig; und jetzt, Herr Heine, können Sie mich küssen in Gegenwart von allen diesen Herren. Seien Sie aber auch recht fleißig und schreiben Sie noch mehr so schöne Gedichte.“

Als mein Bruder mir später, fast gegen Ende seines Lebens, diese Geschichte erzählte, sagte er wehmüthig: „Dies kleine Honorar hat mir mehr reine Freude verursacht, als späterhin alle die blinkenden Goldstücke von Herren Hoffmann und Campe.“

Lottchen wurde später recht glücklich verheirathet und bekam viele Söhne, deren ältester zur Erinnerung an den berühmten Dichter Heinrich genannt wurde.




Es ist leicht denkbar, daß die Mutter oft ihre Noth hatte mit der Sturm- und Drangperiode ihrer drei Söhne. Sie hatte viel zu schlichten, aber noch mehr zu bezahlen. Der Geldbeutel Heinrich Heine’s war von jeher ein Danaidenfaß. Ueber das Maß freigebig, für Freunde sich aufopfernd, und echt philanthropisch gesinnt, hatte er es bei sehr großen Einkünften nie zu ordentlicher Finanzwirthschaft gebracht; wohl verstand er sehr gut zu berechnen, was er einnahm, – was er aber ausgab, vergaß er vollständig.

Die Mutter, eben so praktisch wie klug, rechnete auch ganz vortrefflich, kam aber einmal bei ihrem genialen Sohn sehr zu kurz.

Während Heinrich die Universität Göttingen besuchte, war die Einrichtung getroffen, daß ihm alle drei Monate eine Geldanweisung zugeschickt wurde, die er bei einem dortigen Kaufmann in Baarem einlösen konnte. Nun verstand es Heinrich durch allmähliche Vorausnahme und sonstige Confusion erregende Correspondenzen dahin zu bringen, daß er einmal in einem Jahre fünf Quartal-Geldanweisungen erhielt, was die Mutter erst nach mehr als einem Jahre bemerkt hatte. Sie war nicht wenig piquirt, daß sie, die gute Rechnerin, von ihrem Sohne, dem schlechten Finanzmanne, so sehr übervortheilt worden war. Sie ließ es still hingehen, doch jedesmal später, wenn der geniale Sohn ihr etwas Problematisches für positiv ausgeben wollte, sagte sie ganz ruhig: „Lieber Sohn, nicht jedes Jahr hat fünf Vierteljahre,“ und damit wurde der Gegenstand abgebrochen.




Folgende sehr heitere Scene mit meinem Bruder bleibt mir unvergeßlich. An einem schönen Tage machten wir in einer leichten offenen Kalesche einen Ausflug von Göttingen nach dem einige Meilen entfernten preußischen Städtchen Heiligenstadt. Ein anmuthiger Chausseeweg führt dahin. Wir plauderten viel; Heinrich hatte eben erst seine Promotion als Doctor beider Rechte überstanden. Wir moquirten uns über die lächerliche Titelsucht und Heinrich rief: „Wer mich Doctor Juris schimpft, dem mache ich einen Injurienproceß, in welchem ich mit Hülfe der zehn römischen Tafeln selbst plaidiren werde, oder prügele ihn so lange durch, bis er auch den Doctor der Medicin ruft.“

Mittlerweile waren wir an die Grenze des preußischen Staates gelangt, wo an dem schwarz-weißen Schlagbaume ein martialisches „Halt!“ gerufen wurde und ein Originalstück von Gamaschenfeldwebel mit purpurrother Nase zu uns herantrat. Er richtete an meinen Bruder folgende Fragen:

„Vorname?“

Antwort: „Heinrich.“

„Zuname?“

Antwort: „Heine.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 249. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_249.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)