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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

No. 16.

1866.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Goldelse.
Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)


Draußen, nur durch die Thür von der armen getäuschten Helene geschieden, schlug Hollfeld verschmitzt lächelnd ein Schnippchen; wie gemein und bubenhaft sah er in diesem Augenblick aus! Er war über die Maßen zufrieden mit sich selbst… Noch vor einer Stunde war sein Herz von Grimm erfüllt gewesen. Seine Leidenschaft für Elisabeth, durch den Widerstand des jungen Mädchens zu einer rasenden angefacht, war in hellen Flammen über seinem eigenen Haupte zusammengeschlagen und hatte ihn seit gestern um alle seine gerühmte Selbstbeherrschung gebracht. Inmitten dieser Liebesraserei war ihm aber trotzdem nicht ein einziges Mal der Gedanke gekommen, dem heißbegehrten Mädchen seine Hand zu bieten, um in ihren Besitz zu gelangen; er würde sich selbst für wahnsinnig gehalten haben, wenn eine solche Idee durch seinen Kopf geflogen wäre. Dafür aber zermarterte er sein Gehirn in niederträchtigen Plänen und Anschlägen, wie er den Widerstand der Forstschreiberstochter besiegen könne… Das Ereigniß auf Gnadeck lenkte plötzlich seine Gedanken in eine ganz andere Bahn. Das junge Mädchen war jetzt eine begehrenswerthe Partie, von altem Adel und reich. Kein Wunder, daß er innerlich aufjubelte bei der Nachricht und sofort den großmüthigen Entschluß faßte, die liebreizende Blume auf Gnadeck mit einem Heirathsantrag zu beglücken… Daß sie ohne Zögern die Ehre annehmen würde, lag natürlich außer allem Zweifel; denn wenn sie auch aus Koketterie seinen Liebesanträgen auf eine Zeit zu widerstehen vermocht hatte, so war das doch nicht denkbar der Aussicht gegenüber, vielbeneidete Frau von Hollfeld zu werden. Ueber diesen Punkt war er so vollkommen klar und sicher, daß auch nicht ein Wölkchen der Befürchtung ihm die lockende Aussicht verdunkelte… Es war indeß nicht der glühende Wunsch allein, Elisabeth zu besitzen, der ihn antrieb, so rasch wie möglich zu handeln; er mußte sich sagen, daß, wenn der Fund in den Ruinen bekannt wurde, auch noch andere Freier bei der ihrer Schönheit wegen bereits vielgenannten Goldelse anklopfen würden – schon der Gedanke machte ihm das Blut sieden.

Der Ausführung seines Entschlusses stand indeß noch ein Hinderniß entgegen, und das war Helene. Nicht etwa, weil ihm eine mitleidige Regung gekommen wäre darüber, daß das heißliebende Mädchen namenlos leiden müsse in Folge dieses Schrittes – was das betraf, so kannte er kein Erbarmen – wohl aber hatte er zu bedenken, daß er möglicherweise durch die plötzliche Heirath um die Erbschaft kommen könne, die er von Helene erwartete. Es galt also, vorsichtig und schlau zu sein. Wir haben gesehen, wie er kalten Blutes die tiefe, blinde Liebe der Unglücklichen ausbeutete und sie dadurch, daß er sich in seiner höchsten Lebensfrage ihr scheinbar unterwarf, unauflöslich an sich kettete.

Sobald er das Zimmer verlassen hatte, schwankte Helene nach der Thür und schob den Riegel vor. Jetzt erst überließ sie sich völlig ihrer Verzweiflung.

Wer sie nicht kennt, jene qualvollen Stunden, die auf eine ungeahnte, plötzlich wie aus der Luft herniederstürzende, zermalmende Nachricht folgen, jene Stunden, in denen der Mensch seinen Schmerz in die Welt hinausschreien möchte und wo er, der Stütze und des Trostes Anderer so bedürftig, doch scheu und wie gehetzt Dunkel und Einsamkeit aufsucht, als seien Licht und Klang tödtliches Gift für seine brennende Wunde; wem sie erspart wurden, jene Qualen, die plötzlich ein harmonisch geordnetes Gemüths- und Gedankenleben völlig aus den Fugen zu reißen vermögen: der wird freilich nicht begreifen, daß Helene auf dem Fußteppich zusammensank und verzweiflungsvoll in ihren Locken wühlte, während ihre kleine, gebrechliche Gestalt wie im Fieber hin und her geschüttelt wurde… Sie lebte und athmete ja nur in dieser glühenden Neigung! Hatten doch schon einige finstere Blicke, eine mehrtägige düstere Zurückhaltung des geliebten Mannes hingereicht, sie in den tiefsten Kummer zu versenken und sie sogar theilnahmlos zu machen für ein Ereigniß, das in früherer Zeit ihr schwesterliches Herz tief erschüttert haben würde; um wie viel mehr mußte sie jetzt leiden in der Ueberzeugung, daß sie ihn verlieren werde.

Obwohl ein wildes Chaos von Gedanken in ihrem Kopfe kreiste, so war sie doch unfähig, einen einzigen klaren, sichtenden zu erfassen. Das demüthigende Bewußtsein ihrer körperlichen Gebrechen, um deren willen sie aus ihrem geträumten Paradies gestoßen wurde, Hollfeld’s heutiges Bekenntniß seiner Liebe, das ihr zugleich Himmel und Hölle erschlossen hatte, eine wahnsinnige Eifersucht auf Diejenige, die sie noch gar nicht einmal kannte, welche aber dereinst an seiner Seite mit allen Rechten der Gattin stehen sollte, das Alles wogte und stürmte in ihr und drohte den schwachen Faden zu zerstören, der ihre Seele an den hinfälligen Körper fesselte.

Erst spät, nachdem die Nacht bereits hereingebrochen war, öffnete sie der besorgten Kammerfrau die Thür und ließ sich auf vieles Bitten derselben zu Bett bringen. Sie verbat sich streng den Besuch des Arztes, den die Zofe vorschlug, ließ der Baronin, die ihr persönlich gute Nacht wünschen wollte, hinaussagen, daß sie der größten Ruhe bedürfe und nicht gestört sein wolle, und verbrachte dann einsam die schrecklichste Nacht ihres Lebens.

Sie wurde erst ein wenig ruhiger, das heißt die furchtbare Spannung ihrer Nerven ließ nach, als das Morgenlicht durch

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 241. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_241.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)