Seite:Die Gartenlaube (1866) 234.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Willst Du?
Von A. Traeger.


Ob alle Sterne treulos ihm gelogen,
Und tiefer stets die Nacht hernieder sinkt,
Der Schiffer fühlt sich mächtig hingezogen
Vom letzten Stern, der noch am Himmel blinkt;

5
Noch einmal soll die Hoffnung ihn umwerben,

Sie lächelt ihm aus diesem milden Schein,
Ihm nach zum Hafen oder in’s Verderben! –
Willst Du der letzte Stern des Schiffers sein?

Mit Rosen hat das Haupt er oft umwunden,

10
Wenn siegreich er vom wilden Kampf geruht,

In ihrem Duft verschwelgt die flücht’gen Stunden
Und sich berauscht an ihres Kelches Gluth;
Doch als die Augen fallend er geschlossen,
Umstrahlt ihn erst der schönsten Rose Schein,

15
Aus seines Herzens Blut ist sie entsprossen –

Willst Du des Kämpfers letzte Rose sein?

Ein irres Suchen ist des Dichters Singen
Nach jenem Wort, das ihm Erlösung bringt,
So wie der Harfe Saite im Zerspringen

20
Mit ihrem vollsten Wohllaut erst erklingt;

Hat er’s gefunden, dann fühlt er mit Beben,
Daß all’ sein Dichten wesenloser Schein,
In seinem letzten Wort erst liegt sein Leben –
Willst Du das letzte Wort des Dichters sein?




Die junge Amerikanerin.
Charakterbild von Fr. v. Wickte.


Unter dem Titel „die amerikanische Hausfrau“ ist den Lesern der Gartenlaube von berufener Seite kürzlich (Nr. 8) ein Charakterbild vorgeführt worden, das in gedrängter Kürze das Leben der Hausfrau schildert. Sei es mir verstattet, mit wenigen Worten die Lebensstufe zu beleuchten, ehe sie diese Stellung als Gattin und Mutter erreicht, und dabei einen etwas genaueren Blick in die Familie des Amerikaners zu thun.

Es ist eine auffallende Erscheinung, daß die Schönheit auf dem amerikanischen Continent demokratisch geworden ist. Das schöne Geschlecht hat dort nicht allein überall dieselben Gefühle, Bedürfnisse und Leidenschaften, dieselbe allgemeine Bildung, welche es in den im ganzen Lande nach einem Muster zugeschnittenen Instituten erwirbt, sondern auch dieselben äußern Reize und besitzt solche in einem viel höhern Grade, als irgend eine andere Nation. Die Gleichheit der Sitten, Gebräuche und gesellschaftlichen Stellung scheinen dies bewirkt zu haben, und ein mit jungen Mädchen angefüllter amerikanischer Salon gleicht in der That einem blühenden Hyacinthenbeet. Grobe, rohe Züge, charakteristische Häßlichkeit oder hervorragende körperliche Entstellung sieht man fast nirgends, und Niemand würde dort sagen können: „le laid c’est le beau“ (das Häßliche ist das Schöne). Indessen liegen diese Reize der äußern Erscheinung mehr in den Gesichtszügen, als in Figur oder Benehmen. Eine classische Figur, ein voller Arm oder wohlproportionirte Glieder sind Seltenheiten; Hunderte von jungen Mädchen kann man ansehen, ehe man eines findet, das auch nur einigermaßen eine erträgliche Taille hätte. Die verweichlichte Lebensweise dieser nichts weniger als spartanischen Republikanerinnen, ihr Abscheu vor körperlicher Bewegung und physischer Anstrengung verhindert entschieden die gehörige Entwickelung des Muskel- und Knochensystems. Bewegung in freier Luft, gymnastische Uebungen und dergleichen gehören nicht zu den Liebhabereien der Amerikanerin, und der seitherige Mangel an Promenaden hat eine Liebhaberei für das Fahren hervorgerufen, eine Art frische Luft in die Lungen zu schaffen, die wenig geeignet ist, den Zweck zu erfüllen und die Blässe, welche die junge Dame auf den reichgepolsterten Schaukelstühlen oder Sophas befällt, zu vertreiben. Die Amerikanerin geht auch nicht ihrer Gesundheit wegen in’s Freie, sondern entweder, um sich zu zerstreuen, oder ein Geschäft zu besorgen. Die Blässe ihres Gesichts ficht sie nicht an; im Gegentheil, wo die Natur sie nicht mit derselben erfreut hat, wendet sie künstliche Mittel an, um dieselbe hervorzurufen, und der Genuß von starkem Essig und dergleichen ist durchaus nichts Ungewöhnliches, um rothe Wangen, die verpönt sind, zu vertreiben. Dies gilt nicht allein von den Hauptstädterinnen, sondern kann bis fernhin in den Prairien unter den Indianern gefunden werden.

Es ist dies eine auffallende Erscheinung, und es muß unzweifelhaft in den klimatischen Verhältnissen des Landes liegen, daß sich mit der so rasch fortschreitenden Cultur eine Neigung zur Degeneration unter den Bewohnern zeigt, denn die spanischen Bewohner Südamerika’s und besonders der weibliche Theil der Bevölkerung zeigen denselben Contrast gegen die ersten Einwanderer. Es scheint in der That der blutauffrischenden Einwanderung, namentlich der germanischen Racen, vorbehalten zu sein, diese Hindernisse des Wachsthums des amerikanischen Volkes auszugleichen. Allerdings hat in Amerika die Geschichte des Landes auch Vieles mitzureden. Anfangs wanderten nur Männer dorthin aus und jedes Frauenzimmer, das in’s Land kam, ward im Triumph heimgeführt. In diesem Umstande liegt die Hochachtung, mit der heute noch selbst der roheste Mensch dort einem Weibe begegnet und sich darin sogar vor dem Engländer hervorthut. Die Nothwendigkeit weiblichen Umgangs zieht sich wie ein rother Faden durch die ganze Geschichte der amerikanischen Civilisation und geht Hand in Hand mit den ersten Indianerkämpfen. Die „Pioniere“ des Westens wollten Weiber haben und verdienten sich dieselben durch harte Arbeit. Um dieselben aber an sich zu fesseln und für das rauhe Leben in der Wildniß zu entschädigen, gaben sie dem Weibe die Stellung, welche ein vorsorglicher Hausvater einem theuren Stück Geschirr und dergleichen giebt; sie verzärtelten es, kleideten es mit dem fortschreitenden Wohlstand in Sammt und Seide, und indem sie ihren Kindern dies Beispiel gaben, ist diese Behandlungsweise förmlich in das Blut der Männer übergegangen. Der Umgang des Amerikaners mit diesen blassen, schönen, eleganten Damen – denn der Name Mädchen oder Jungfrau ist als ungebildet durchaus verpönt – ist von einer Art, über die man bei uns erstaunen würde. Die junge Amerikanerin ist so vollständig emancipirt, wie es nur möglich ist, und in den meisten Fällen ist den Eltern sogar das Recht der Ueberwachung bestritten; sie bewacht sich selbst, empfängt Besuche junger Herren, ohne ihre Eltern zu consultiren, ladet sie gelegentlich zum Thee ein, selbst wenn Papa und Mama nicht zu Hause sind. Ist eine der Töchter des Hauses eine hervorragende Schönheit, so führt sie das Regiment so vollständig, daß Alles so zu sagen nur in ihrem Namen geschieht. Selbst die Einladungen zu Bällen und Festlichkeiten, obgleich sie im Namen der Eltern geschehen, gehen von ihr aus, denn nur wer ihr gefällt, darf erscheinen, mag er nun mit Papa bekannt sein oder nicht. Beabsichtigen junge Leute irgendwo einen Besuch zu machen, so sprechen sie nicht, wie bei uns: „wir gehen zu Herrn oder Madame N.,“ sondern: „wir besuchen Fräulein N.“ Bei Besuchen sitzt dann dies junge Mädchen auf der Mitte des Sophas, erhebt sich nicht, wenn Herren eintreten, führt mit häufiger

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 234. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_234.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)