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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Reliquien für mich! … Ich könnte sie nie in der Weise berühren, ohne zu fürchten, daß Jost’s schwarze, zornige Augen neben mir auftauchten.“

Frau Ferber und Miß Mertens waren derselben Ansicht, und Erstere meinte, der Schrank mit Allem, was er enthalte, müsse mit möglichster Vorsicht an einen ruhigen, trockenen Ort geschafft werden, wo er als Familienreliquie unangetastet stehen bleiben solle, bis sich auch sein Geschick, das der zeitlichen Zerstörung, erfülle.

„Nun, in dem Punkt will ich die Pietät gelten lassen,“ nahm Reinhard das Wort, „anders dagegen denke ich über diese Gegenstände.“

Er schloß den Kasten auf. Der Sonnenstrahl, der in das Innere glitt, kam in tausendfältigen Blitzen zurück und blendete Aller Augen. Reinhard nahm ein Halsband heraus, es war sehr breit und von bewundernswürdiger Arbeit.

„Das sind Brillanten vom reinsten Wasser,“ belehrte er die Umstehenden – das Collier war besäet mit den kostbaren Steinen – „und diese Rubinen hier müssen wundervoll aus den dunklen Locken der schönen Zigeunerin gestrahlt haben,“ fuhr er fort, indem er zwei Nadeln von dem Sammetpolster aufhob, deren Köpfe Blumenglocken aus rothen Steinen bildeten. Aus den Kelchen fielen zierliche Ketten, die in jedem beweglichen Glied einen kleinen Rubin hielten, wie ein buntfarbiger Regen nieder.

Elisabeth hielt lächelnd eine prächtige Agraffe über ihre Stirn.

„Sie meinen also, Herr Reinhard,“ frug sie, „hier sollten wir die Pietät bei Seite lassen und uns unbedenklich mit diesen Kostbarkeiten behängen? … Was wohl mein weißes Mullkleid dazu sagen würde, wenn ich ihm zumuthen wollte, eines Tages neben so vornehmer Gesellschaft zu erscheinen!“

„Die Steine stehen Ihnen unvergleichlich,“ erwiderte Reinhard lächelnd, „aber zum weißen Mullkleid würde mir ein Strauß frischer Blumen auch besser gefallen; deshalb rathe ich, diese Steinpracht beim Juwelier in klingende Münze umschmelzen zu lassen.“

Ferber nickte zustimmend.

„Wie, Reinhard,“ rief Miß Mertens, „Du glaubst, man solle diese Familienstücke verkaufen?“

„Ei freilich,“ erwiderte er. „Es wäre geradezu sündhaft und thöricht, ein solches Capital brach liegen zu lassen… Die Steine sind allein gegen siebentausend Thaler werth; dann sind noch die sehr schönen Perlen und das gehenkelte Gold zu berechnen, das giebt auch noch ein hübsches Sümmchen.“

„Potztausend!“ rief der Oberförster überrascht, „da wird nicht gefackelt, fort damit! … Guck, Adolph,“ fuhr er weicher fort und schlang den Arm um die Schulter seines Bruders, „nun hat’s Der da droben doch noch gut mit Dir gemacht… Ich hab’ Dir gleich gesagt, in Thüringen wird’s besser, wenn mir auch nicht eingefallen wäre, zu denken, daß Dir auf einmal so ein achttausend Thälerchen in’s Haus fallen würden.“

„Mir allein?“ rief Ferber erstaunt. „Hast Du nicht als Aeltester vor Allem Anspruch an den Fund?“

„Nichts da … was soll ich um Gotteswillen mit dem Mammon anfangen? Ich soll mich wohl in meinen alten Tagen noch damit beschäftigen, Capitalien auszuleihen? … Das könnte mir einfallen… Ich habe weder Kind noch Kegel, beziehe einen schönen Gehalt, und wenn es einmal mit den alten Knochen hapert, dann habe ich eine Pension, die ich nicht aufzehren kann, mit dem besten Willen nicht. Ich trete also mein Erstgeburtsrecht ab, und zwar an das Mädel da mit den goldnen Haaren und unseren Stammhalter, den Schelm, den Ernst; ich will nicht einmal ein Linsengericht dafür, denn dazu schmeckt das Wildpret nicht gut, sagt Sabine… Bleibt mir vom Halse!“ rief er, in komischer Weise seine Hände auf dem Rücken verbergend, als Frau Ferber mit feuchtem Auge sich erhob und ihm die Hand hinstreckte und sein Bruder bewegt ihm noch Vorstellungen machen wollte. „Sie thäten viel besser, Frau Schwägerin, wenn Sie für eine Tasse Kaffee sorgten, das ist ja himmelschreiend! … vier Uhr und noch keinen Tropfen des gewöhnten Labsals auf den Lippen, um deswillen ich doch einzig und allein den Berg herausgeklettert bin.“

Er erreichte seinen Zweck, den Danksagungen zu entgehen vollkommen; denn Frau Ferber eilte, von Elisabeth begleitet, in’s Haus, und die Anderen lachten. Bald saß die Gesellschaft auf der Terrasse, um den braunen, kräftig duftenden Trank versammelt.

„Ja, ja,“ sagte der Oberförster, sich behaglich in den Stuhl zurücklehnend, „hätte heute Morgen beim Aufstehen nicht gedacht, daß ich mich am Abend als Herr von Gnadewitz niederlegen würde. … Nun kann mir der ‚Oberforstmeister‘ nicht entgehen, hat mich auf einmal das braune Blättchen da mit seinen verzwickten Buchstaben geschickt dazu gemacht, was dreißig schwere Dienstjahre nicht zuwege gebracht haben. Werde, sobald Seine Durchlaucht in L. einrückt, meinen Kratzfuß machen und mich vorstellen mit dem neuen Namen… Potz Blitz, die werden die Augen aufreißen da drinnen!“

Ein eigenthümlicher Seitenblick huschte bei diesen Worten hinüber nach Elisabeth, zugleich aber that der Sprechende ein paar kräftige Züge aus der Pfeife und hüllte plötzlich sein Gesicht in eine dicke Rauchwolke.

„Onkel!“ rief das junge Mädchen, „stelle Dich wie Du willst, ich weiß doch, daß Dir nicht einfällt, das zerbrochene Wappen der Gnadewitze wieder zusammenzufügen.“

„Aber ich sehe nicht ein, es ist ein ganz hübsches Wappen mit Balken, Sternen –“

„Und einem Rade voller Blutflecken,“ unterbrach ihn Elisabeth. „Gott behüte uns, daß wir es machen wie Jene, welche die Sünden ihrer Vorfahren aufgraben, um das Alter ihres Geschlechts zu beweisen, und die den Adel dadurch unadelig machen; eine größere Widersinnigkeit hat die ganze Welt nicht… Mir ist, als müßten sich die Schatten aller derer, die jenes hochmüthige, erbarmungslose Geschlecht gequält und durch das Leben gehetzt hat, anklagend erheben, wenn der Name wieder aufleben sollte, unter dessen Deckmantel Jahrhunderte lang alle erdenklichen Gräuel verübt worden sind… Und wie viel Herzeleid hat jenes übermüthige Geschlecht meinem armen Mütterchen zugefügt!“

„Ja wohl, ja wohl,“ bekräftigte Frau Ferber mit einem Seufzer, „für’s Erste verdanke ich ihm eine stürmische, freudenlose Kindheit; denn meine Mutter war ein liebenswürdiges, schönes, aber bürgerliches Mädchen, das mein Vater gegen den Willen seiner Verwandten geheirathet hat. Diese sogenannte Mißheirath wurde eine Quelle endloser Kränkungen und Leiden für die arme Bürgerliche. Mein Vater war nicht willensstark genug, um mit jener stolzen Hauptlinie Derer von Gnadewitz zu brechen und nur für seine Frau zu leben. Aus dieser Schwäche entstanden zahllose Conflicte zwischen meinen Eltern, die mir nicht verborgen bleiben konnten. … Nun, und wir,“ sie reichte ihrem Mann die Hand über den Tisch hinüber, „wir werden wohl die Kämpfe nie vergessen, welche wir durchmachen mußten, ehe wir uns gehören durften… Ich möchte nie wieder in jene Kaste zurückkehren, die, um dem äußeren Glanz und der Form zu genügen, so oft das warme, menschliche Fühlen unbarmherzig zertritt.“

„Das sollst Du auch nicht, Marie,“ beruhigte lächelnd Ferber, indem er ihre Hand drückte. Er warf einen schelmischen Seitenblick auf seinen Bruder, der mächtige Dampfwolken vor sich herblies und sich vergebens bemühte, die Stirn in düstere Falten zu legen.

„Ach, meine schönen Aussichten!“ seufzte dieser endlich in komischer Wehmuth. „Else, Du bist grausam und thöricht. Du bedenkst nicht, was ich Dir für ein Herrenleben verschaffen kann, wenn ich Oberforstmeister bin … und Du ein gnädiges Fräulein – nun, lockt Dich das nicht?“

Elisabeth schüttelte lachend, aber energisch den Kopf.

„Und wer weiß,“ nahm Miß Mertens das Wort, „ehe man sich dessen versähe, klopfte irgend ein edler Ritter von tadellosem Geblüt an das alte Gnadeck und holte sich die hochgeborene Goldelse als gnädige Frau heim.“

„Und Sie glauben, ich würde mit ihm gehen?“ rief Elisabeth heftig, und ihre Wangen flammten in hoher Röthe.

„Ei, warum denn nicht? … wenn Sie ihn liebten…“

„Nie, niemals!“ entgegnete das junge Mädchen mit fast erstickter Stimme, „auch wenn ich ihn liebte… Ich würde dann nur um so unglücklicher sein in dem Gedanken, daß der Nimbus meines Namens schwerer in die Wagschale gefallen sei, als mein Herz; daß in den Augen jenes Mannes alles Streben nach geistiger Höhe und moralischer Tüchtigkeit werthlos zusammensinke vor einem Schemen, den erbärmliche Menschensatzungen mit trügerischem Goldschaum bekleiden!“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 226. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_226.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)