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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Aerztliche Strafpredigt für Mütter mit Töchtern.
1. Die weibliche Schönheit im Werden.


Schön und gesund wollen alle Mütter Ihre Töchter haben, aber ihren Fräulein Töchtern zur Schönheit und Gesundheit zu verhelfen, das ist den lieben Müttern viel zu unbequem, das überlassen sie dem lieben Gott. Freilich wird’s Frauen, die in der Regel für ihren Beruf als Gattinnen und Mütter nichts gelernt haben, unbequem sein müssen, eines Theils sich über die richtige Ernährung und Erziehung der Kinder zu unterrichten, und andern Theils das Erlernte bei ihren Kindern von Geburt an consequent in Anwendung zu bringen; aber Schönheit der Töchter geht vor Bequemlichkeit der Mütter.

Nur wenn das Fräulein Tochter die Schule verlassen hat und ballreif zu werden anfängt, dann wird dem Aeußern derselben von Seiten der Eltern mehr Aufmerksamkeit geschenkt, als bisher. Jetzt mengt sich auch der zukünftige Ballvater mit in die Toilettenangelegenheiten der Tochter und stimmt über den Umfang der Crinoline mit ab. Leider hat aber bis dahin bei sehr vielen Mädchen die Schönheit und Gesundheit schon manchen Makel bekommen. Gegen Bleichsucht und schlechte Haut, schwarze Zähne und hohe Schulter, garstige Füße und schlechten Gang werden nun Eisentropfen und Bitterwasser, Zahnarzt und Perlenzähne von Email, Schneiderinnen und Schnürleibchen mit und ohne Roßhaarpolster, Tanzlehrer und Schuhkünstler in’s Feld geführt, so daß man schließlich noch erstaunt, wie durch dieses Ausputzen aus dem ziemlich garstigen Backfische scheinbar eine recht nette Jungfrau geworden ist. Aber wehe, wenn der jungfräuliche Duft verflogen, dann haben wir die Bescheerung, dann kriecht aus der angehübschten jungfräulichen Puppe für den Mann ein unlieblicher Falter heraus, der bei der Behandlung seiner Kinder da beginnt, wo die Frau Mutter aufgehört hat. Auf diese Weise werden wir aber sicherlich nicht so bald ein schönes und gesundes Frauengeschlecht bekommen.

Die weibliche Schönheit besteht nun aber nicht etwa blos in einem hübschen Gesicht, sondern in einer auf Gesundheit gestützten harmonischen Ausbildung (Haltung und Bewegung) des gesammten Körpers und seiner einzelnen Theile. Da also Gesundheit das nöthigste Erforderniß für die Schönheit ist, so versteht sich’s wohl von selbst, daß eine richtige Mutter ihrer Tochter schon von deren Geburt an eine naturgemäße Pflege zukommen läßt. Ja, was sage ich, „von Geburt an“? nein, schon vor der Geburt der Kinder muß eine richtige Mutter die nöthigen Rücksichten auf die zu hoffende Nachkommenschaft nehmen und Alles vermeiden, was derselben Schaden zufügen könnte. Ganz besonders darf die Kleidung einer hoffenden Frau nicht beengend sein, auch muß sie sich in ihrem körperlichen und gemüthlichen Gebahren hübsch leidenschaftslos verhalten. Ob nicht jetzt schon einiger Einfluß auf die Gestaltung (das Ansehen) des noch nicht geborenen kleinen Weltbürgers ausgeübt werden könnte? Diese Frage kann zur Zeit mit Sicherheit wohl noch nicht beantwortet werden, ebenso wie man vom sogenannten Versehen der Schwangeren auch noch nicht weiß, ob es wirklich existirt oder nicht. Doch scheint Manches dafür zu sprechen. Die alten Griechen stellten, um auf die Gestaltung ihrer Nachkommen einzuwirken, schöne Statuen in ihren Gemächern auf, und manche häßliche Eltern haben wahrscheinlich ihre schönen Kinder nur dem öfteren Anblicken hübscher Verwandten und Freundinnen von Seiten der Mutter zu verdanken, und umgekehrt könnten schöne Eltern durch eine häßliche Umgebung zu garstigen Kindern kommen. Dem Verfasser erzählten einige Mütter, daß sie während ihrer Hoffnung täglich längere Zeit im Spiegel ihr eigenes Gesicht aufmerksam angeblickt hätten, um dadurch Töchtern das Leben zu geben, die eine der mütterlichen ganz ähnliche Gesichtsbildung erhielten. Und allerdings sind die Töchter den Müttern wie aus den Augen geschnitten, bei denen Letztere jene Spiegelhülfe in Anspruch nahmen.

Nach der Geburt einer Tochter ist das Nöthigste, was die Mutter im ersten Lebensjahre (Säuglingsalter) des Kindes, nämlich in Bezug auf die spätere Gestaltung desselben, zu berücksichtigen hat, daß sie nicht von der naturgemäßen Ernährung durch Milch (der Mutter, einer Amme, Eselsmilch oder Kuhmilch, welche letztere aber nach dem Alter des Säuglings mehr oder weniger zu verdünnen und dann noch mit Sahne und Milchzucker zu versetzen ist) abweicht. Eine falsche Ernährung, zumal das Auffüttern durch Mehlstoffe, legt nämlich sehr leicht den Grund zur späteren Verkrüppelung des Körpers (durch die englische Krankheit und Entzündungen an der Wirbelsäule oder von Gelenken), sowie zu Drüsenleiden, Gesichtsausschlägen, häßlichen Erscheinungen an den Sinnesorganen. – Es hat ferner eine vorsichtige Mutter darauf zu achten, daß der Säugling ja nicht fest eingewickelt und bekleidet werde, sondern sich ordentlich recken und strecken könne, um seine Gliedmaßen gehörig frei bewegen zu lernen; daß er nicht zu zeitig aus dem Bettchen genommen und zum Aufsitzen gezwungen werde. Er darf gar nicht auf dem Arme, zumal stets auf dem einen Arme, herumgetragen werden, sondern mag auf einer auf dem Boden ausgebreiteten Decke herumkriechen, sitzen, aufstehen und sogar laufen lernen, so daß dadurch auch die Steh- und Laufübungen, welche, besonders wenn sie zu zeitig angestellt werden, von großem Nachtheile für die Knochenentwickelung sein können, überflüssig gemacht werden. Eine Menge kleiner Kinder sind schon auf dem Arme ihrer Wärterinnen schief geworden. – Daß auch die Augen und Haut des Kindes der richtigen Pflege bedürfen, versteht sich wohl von selbst, Ganz besonders ist die so gefährliche Augenentzündung von Neugebornen abzuhalten.

Bei der Weichheit und Nachgiebigkeit der zarten Kindestheile, selbst des Schädels, läßt sich auch schon im Säuglingsalter recht wohl durch vorsichtigen und behutsamen, aber immer und immer wiederholten Druck oder Zug einiger Einfluß auf die spätere Körpergestaltung ausüben; aber Ausdauer gehört dazu. Und wenn sich auch eine garstige, kurze, dicke, breite Stumpfnase nicht in eine schöne, schmale, römische oder griechische verwandeln läßt, sicherlich wird sie doch durch consequentes Zusammendrücken und Abwärtsziehen verbessert. Lassen sich doch auch schief und falsch stehende Zähne durch öfteres Drücken allmählich in ihre richtige Stellung bringen. So platten sich z. B. die Indianer in Oregon den Schädel ab und machen ihn niedrig, indem sie denselben von eben her pressen; die Natches drückten den Hinterkopf und die Stirn flach und machten so den Kopf kurz, hoch und breit; die Huanches und Agenaras preßten die Stirn herab, die Seiten zusammen und machten das Hinterhaupt unnatürlich lang. Eine enge Kopfbedeckung bei kleinen Kindern kann dem Wachsthum, der gehörigen Erweiterung und Gestaltung des Schädels sehr hinderlich sein, wie sie ja auch die Ohren in ihrer Form und Stellung beeinflußt. Was ein kleiner, dicker Stöpsel von Mädchen werden will, werde beim Großziehen auch langgezogen. Schlecht gestellte Augen und Augenbrauen können durch Streichen und Ziehen eine hübschere Stellung erhalten, und ebenso dürfte der Druck auf garstig vorspringende Kiefer die Mundpartie für die Zukunft verbessern. Ohne Zweifel werden einst ganz bestimmte Regeln für eine schon in der ersten Jugend beim Menschen anzuwendende Verhübscherung aufgestellt und die Kinderwärterinnen gleichzeitig auch zu Hübschmacherinnen werden. Zur Zeit verschandeln noch die Wärterinnen die Kinder. Auch der Arzt kann durch das Impfen, wenn es zu tief unten am Oberarme geschieht, die Schönheit der Jungfrau beeinträchtigen, indem er eine häßliche Narbe sichtbar macht, die das Tragen kurzärmeliger Kleider verleidet.

Kommen wir nun im Interesse des Schönwerdens auf das Kindes- und Schulalter der Mädchen, so muß jetzt von Seiten der Mütter die allergrößte Aufmerksamkeit und Sorgfalt angewendet werden, damit den Töchtern für später Garstiges erspart werde. Buckel, hohe Schulter und schiefe Hüften, in Folge von Verkrümmung der Wirbelsäule, spielen jetzt die Hauptrolle bei der Entschönerung der Mädchen. Ja, die Häufigkeit dieser Verkrümmungen hat in der neuesten Zeit auf eine schreckenerregende Weise beim weiblichen Geschlecht zugenommen. Zu vermeiden sind nun diese Verunstaltungen des Körpers leicht, zu curiren fast nie.[1] Und darum können Mütter nicht genug dazu angehalten

  1. Geh. Med.-Rath Professor Günther in Leipzig, welcher längere Zeit einem orthopädischen Institute in Hamburg vorstand, erklärt geradezu, daß er niemals ein wirklich schiefes Mädchen wieder gerade curirt hat. Die Resultate seiner mehr als zehnjährigen Erfahrung hat er in einem nicht genug zu empfehlenden Schriftchen niedergelegt, welches den Titel „Bemerkungen über die Verkrümmungen und besonders über die Mittel, denselben vorzubeugen“ (Kiel 1839).
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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 214. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_214.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)