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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Garnison versetzt werden, die Zwischenzeit aber auf dem Lande bei seiner Mutter zubringen, zu welchem Zweck ihm ein längerer Urlaub ertheilt worden war.

Auch in dem Hause des Herrn Brand war zu dieser Zeit eine kleine, an sich unbedeutende Veränderung eingetreten. Bei einem meiner wiederholten Besuche fand ich daselbst ein junges Mädchen, das mir als eine entfernte Verwandte und die künftige Gesellschafterin meiner Patientin, welche sich jedoch bedeutend erholt hatte, vorgestellt wurde. Dieselbe hieß Mariane, und die feurige Brunette mit den frischen, rothen Lippen, schwarzen, brennenden Augen und etwas kokettem Wesen bildete in jeder Beziehung den Gegensatz zu der sanften Blondine. Immer heiter, fröhlich und gut aufgelegt, schien sie mir ganz geeignet, einen wohlthätigen Einfluß auf die stille Gutsbesitzerin auszuüben, der sie außerdem in der Wirthschaft zur Seite stand. Ich war förmlich stolz auf die Umwandlungen, welche ich mir zuschrieb, und freute mich, daß es mir gelungen war, den Sonderling geselliger gestimmt zu haben. Auch Frau Brand schien mir Dank deshalb zu wissen, indem sie mit jedem Tage mir ein größeres Vertrauen schenkte und in mir noch mehr den Hausfreund als den Hausarzt schätzte.

Bald erzählte sie mir, was sie bisher nie gethan, von ihrer Vergangenheit und ihren häuslichen Verhältnissen, von ihrer Jugendzeit und wie sie die Bekanntschaft ihres Mannes bei einer Gelegenheit gemacht, welche mir allerdings, wenn auch nicht ihre Liebe, doch ihre hohe Achtung für ihn vollkommen erklärte. Nach ihren Mittheilungen hatte ihr Gatte, der ein bedeutendes Vermögen besaß, ihren Vater vor einem schimpflichen Bankerott, ihre ganze Familie mit den größten Opfern vor dem Untergange bewahrt.

„Ich war damals noch ein Kind,“ fügte sie hinzu, „und wie alle Kinder, legte auch ich einen großen Werth auf äußere Schönheit. Bald aber gewöhnte ich mich an Brand’s Erscheinung, die mir mit der Zeit vollkommen gleichgültig wurde. Je älter ich ward, desto mehr lernte ich seinen Werth, die Güte seines Herzens, die Gediegenheit seines Charakters kennen und verehren. Eine gewisse Traurigkeit, deren Grund ich in seinen bitteren Erfahrungen suchen möchte, erfüllte mich mit Mitleid für ihn, das ja, wie Sie wissen, mit der Liebe nahe verwandt ist. Als er daher mir seine Hand bot, reichte ich ihm die meinige aus innigster Neigung und mit dem Wunsche, ihn so glücklich zu machen, wie er es verdient.“

Trotz dieses offenen und, wie ich glauben durfte, wahrhaftigen Geständnisses, zweifelte ich doch an ihrem Glück, und die folgenden Ereignisse schienen mir nur zu sehr Recht zu geben. Einige Wochen später erhielt ich eine Einladung auf das Gut des Herrn Brand, wo zu meiner größten Verwunderung das in unserer Gegend gebräuchliche Erntefest ebenfalls gefeiert wurde. Unter der Anführung des Amtmanns, eines noch jungen Mannes, bewegte sich der Zug sämmtlicher Knechte und Mägde nach dem Schlosse, um die mit Bändern und Goldflittern geschmückte Krone dem Gutsherrn und seiner Frau zu überreichen. Der Amtmann hielt eine poetische Ansprache an Beide, worauf ein improvisirter Tanz das kleine Fest beschloß.

Unter den anwesenden Gästen bemerkte ich die Generalin mit ihrem Sohn, der allerdings den ihm vorangehenden Ruf vollkommen rechtfertigte. Der Lieutenant war in der That ein ausgezeichnet schöner Mann, ein perfecter Tänzer und mit jener verführerischen Kühnheit ausgestattet, welche den meisten Frauen so gut gefällt. Wie in der Residenz, so fehlte es ihm auch hier nicht an Eroberungen, und besonders war die feurige Mariane von ihm entzückt. Beide tanzten viel und oft zusammen, und das schöne Paar überließ sich einer fast auffallenden Heiterkeit. Auch die Frau des Gutsbesitzers mischte sich, wenn auch seltener, in die frohen Reihen und tanzte einigemal mit dem verführerischen Officier, während ihr Mann finster in einer Ecke stand und mit seinen unheimlichen Blicken sie zu verfolgen und zu bedrohen schien. Nichtsdestoweniger verlief das Fest ohne jede Störung und dauerte bis spät in die Nacht hinein.

Ich selbst konnte nicht bis zum Ende bleiben. Deshalb ersuchte ich den mir bekannten Amtmann, den Wagen für mich anspannen zu lassen, indem ich mich bei ihm wegen der unwillkommenen Störung entschuldigte.

„O,“ entgegnete der junge Mann, „das hat nichts zu sagen. Ich wollte, daß die ganze Geschichte bald ein Ende hätte.“

„Ich dachte, daß Sie sich Gott weiß wie sehr amüsiren.“

„Ein schönes Amüsement!“ brummte der Amtmann. „Das ganze Jahr hat man sich auf das Erntefest gefreut, und nun kommt so ein Kerl und verdirbt einem den ganzen Spaß. Das Weibervolk rennt ja hinter ihm her, als wenn es verzaubert wäre!“

Erst jetzt wurde es mir klar, daß auch der Pächter auf den schönen Lieutenant eifersüchtig war und zwar Marianens wegen, die der junge Mann in sein Herz geschlossen und auf die er wohl ernstere Absichten haben mochte.

Bei meinem nächsten Besuche auf dem Gute fand ich das ganze Haus in einer auffallenden Verstimmung; Herr Brand blickte noch finsterer und unheimlicher, als gewöhnlich, seine Frau hatte einen Rückfall ihres früheren Nervenleidens, und die fröhliche Mariane begegnete mir mit vom Weinen gerötheten Augen. Als ich mit meiner Patientin allein war, erzählte sie mir unaufgefordert, daß es wegen des schönen Lieutenants zu ärgerlichen Auftritten gekommen sei. Derselbe hatte, nach ihren Mittheilungen, mit Mariane ein Verhältniß angeknüpft und das eitle, unerfahrene Mädchen überredet, ihm ein Rendezvous zu geben. Der eifersüchtige Amtmann, der Mariane wirklich leidenschaftlich liebte und ihr auf Schritt und Tritt nachfolgte, hatte das Stelldichein dem Gutsbesitzer verrathen und dieser deshalb den Officier zur Rede gestellt. Beide geriethen bei dieser Gelegenheit so hart aneinander, daß Herr Brand ihm den Besuch seines Hauses verbot und jeden Umgang mit der Familie der Generalin abbrach. Auch der Amtmann war in Folge dieser Vorfälle entlassen worden und Mariane von demselben Geschick bedroht. Nur auf die dringenden Bitten und Vorstellungen seiner sanften, guten Frau hatte Herr Brand ihr verziehen und eingewilligt, sie noch ferner in seinem Hause zu dulden.

Leider gelangte diese Geschichte mit den gewöhnlichen Entstellungen und Uebertreibungen bald in die Oeffentlichkeit und weckte von Neuem das kaum zum Schweigen gebrachte Vorurtheil gegen den häßlichen Brand. Merkwürdigerweise wurde nicht dem übermüthigen Officier, der ein junges, unerfahrenes Mädchen zu verführen gesucht hatte, sondern dem Gutsbesitzer, welcher nur die Ehre seines Hauses wahren wollte, alle Schuld beigemessen. Allgemein glaubte man auch, daß das Verhältniß des Lieutenants mit Mariane nur ein Vorwand wäre, um seine eigene Eifersucht zu verbergen, daß nicht diese, sondern die sanfte Frau das Zerwürfniß mit der Generalin und ihrem Sohn herbeigeführt und Grund zu dieser Trennung gegeben habe. Auch über den Streit selbst waren die verschiedensten Gerüchte verbreitet, wonach Herr Brand die furchtbarsten Drohungen gegen den Lieutenant ausgestoßen und ihm blutige Rache geschworen haben sollte.

Obgleich die Mittheilungen meiner Patientin ganz anders lauteten, war ich doch mehr geneigt, der öffentlichen Stimme Glauben zu schenken, da dieselbe meinen eigenen Beobachtungen entsprach, behielt jedoch meine Ansicht für mich. Im Stillen freute ich mich, daß die Sache ein solches Ende genommen hatte, da Herr Brand keineswegs ein Mann zu sein schien, der in solchen Dingen Spaß verstand, und ich ihm bei seiner mir nur zu bekannten Eifersucht das Schlimmste zutraute.

Eines Tages erhielt ich die Aufforderung, mich schleunigst nach dem Schlosse des Herrn Brand zu verfügen. Zugleich theilte mir der Bote mit, daß sich daselbst ein großes Unglück ereignet habe. Aus seinen verworrenen Reden konnte ich nur entnehmen, daß es sich um eine schwere Verwundung, wo nicht gar um einen Mord handelte. Ich fand das ganze Haus in der größten Zerstörung und Bestürzung, Herrn Brand selbst als Gefangenen, bewacht von einigen Gensd’armen, seine Frau in den heftigsten Krämpfen. Ein bereits anwesender Polizeibeamter forderte mich auf, die Wunden des Lieutenants von Tannenberg zu untersuchen, den man bewußtlos und in seinem Blute schwimmend vor wenigen Stunden, nach Mitternacht, in der Nähe des Schlosses gefunden hatte.

Niemand zweifelte, daß hier ein schweres Verbrechen begangen und kein Anderer als Herr Brand der Thäter sei.

Ausgestreckt auf seinem blutigen Lager, bleich und entstellt, lag der schöne, junge Mann, der mir noch vor wenig Wochen als ein Bild des frischen Lebens und der übermüthigen Jugend erschienen war. Zu seinen Füßen saß seine ebenfalls herbeigerufene Mutter, welche mich mit dem tiefsten Mitleid erfüllte. Ihre feinen

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