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Werth sind. Hier sind es besonders die genossenschaftlichen Verbindungen der Arbeiter, wodurch sie sich, außer den Bildungsmitteln, Capital, Credit und alle äußeren Bedingungen zum wirthschaftlichen Gedeihen wie zur gewerblichen Selbstständigkeit verschaffen.

Und wird erst dies in größerem Maßstabe durchgesetzt, wozu die hoffnungsvollsten Anfänge vorliegen, sehen die Einzelnen die Möglichkeit vor sich, als Mitunternehmer bei den Geschäften betheiligt zu werden, welchen sie als Arbeiter beigesellt sind: so tritt ihr Interesse an dem Geschäftsganzen, ihr Antheil an dessen Leitung, das Gefühl der Verantwortlichkeit für die geschäftlichen Operationen, als geistiges Complement des blos mechanischen Theils ihrer Beschäftigung hinzu. Die intellectuelle und sittliche Erstarkung findet dann auch in ihrer Gewerbsthätigkeit selbst eine wichtige Stütze und zwar zum größten Vortheil des gesammten Güterlebens der Nation. So rückt endlich das wahre Ziel der Arbeitstheilung uns näher und näher, welches wir dahin normiren:

daß der durch sie allein mögliche Ueberschuß der Gesammtproduction über das materielle Gesammtbedürfniß, welcher einen Theil der menschlichen Kräfte für höhere Strebungen frei macht, nicht blos einem bevorzugten Theile der Gesellschaft, sondern allen, insbesondere den arbeitenden Classen selbst mit zu gute kommt.

Das erst ist die wahre Emancipation der Arbeiter, daß ihnen Raum zur vollen Entwickelung und somit die Möglichkeit gegeben wird, sich bei den wichtigsten Zeitinteressen lebendig mit zu betheiligen. Erst auf diese Weise tritt der Arbeiter aus der Beschränkung und Absonderung seiner bloßen Fachthätigkeit in die höchste Gemeinschaft ein, die es unter Menschen giebt, in die gemeinsame Culturarbeit. Und nur so vollzieht sich die Synthese der getheilten Arbeit, das Wiederzusammenfassen der tausendfältig zerlegten Menschenthätigkeiten zur höchsten menschlichen Gesammtleistung, ohne welches die menschliche Bestimmung bei zahlreichen Bevölkerungsclassen dauernd gefährdet erscheint und die immer weiter vorschreitende Zerklüftung am Ende in den Auflösungsproceß der ganzen Gesellschaft ausgehen müßte.

IV. Praktische Folgerungen.

Es erübrigt nun noch schließlich, an die von uns aufgestellten Sätze einige praktische Folgerungen auch nach anderer Seite hin zu ziehen, welche den wahren Zusammenhang des von uns vorzugsweise in seinen socialen Beziehungen behandelten Themas mit den wichtigsten politischen und humanen Tagesfragen darthun und Ihnen zeigen, wie es nicht blos die Arbeiterinteressen berührt, wie sehr vielmehr alle Schichten unseres Volkes Ursache haben, sich der Grenzen der Arbeitstheilung im öffentlichen und Privatleben stets wohl bewußt zu bleiben.

Bei allen Thätigkeiten – fanden wir – welche den Erwerb betreffen, die äußerlichen Vorbedingungen zur Erreichung unseres Lebenszweckes, greift die Arbeitstheilung Platz, ja wir wären ohne sie gar nicht im Stande, unsere menschliche Bestimmung zu erreichen. Aber sobald es sich um Eingriffe in diese unsere Bestimmung selbst handelt, auf Gebieten, wo die Vollausprägung des Menschen in individueller und gesellschaftlicher Hinsicht in Frage steht, wo die höheren Kräfte und Anlagen unserer Natur ohne eigene Bethätigung verkümmern, da darf von einer vollständigen Sonderung, von einer ausschließlichen Uebertragung an gewisse Berufs- und Geburtsstände niemals die Rede sein, da müssen Alle, alle Classen der Gesellschaft wie alle Einzelne, eintreten, so schwer es ihnen auch werden mag; das dürfen sie nicht zur Domaine werden lassen für auserwählte Minoritäten, soll nicht das Beste von dem, was ihnen die rechte Arbeitstheilung kaum erst gewann, durch diese falsche Arbeitstheilung wieder verloren gehen. Dies gilt für das individuelle Leben, die rein humanen Beziehungen des Einzelnen so gut, wie für das öffentliche, das politische Leben der Gesammtheit. Ein Volk, welches irgendwie eine hohe Stufe der Civilisation behaupten will, bei welchem Freiheit und Recht, Wohlstand und Bildung Gemeingut sein sollen, hat daher diese höheren menschlichen und bürgerlichen Attribute für alle seine Glieder wohl in Acht zu nehmen. Soll es wahrhaft wohl um dasselbe stehen, so darf es keiner Beamtenkaste, keiner Bureaukratie oder Aristokratie die ausschließliche Leitung der öffentlichen Angelegenheiten überlassen, vielmehr muß es sich sein wohlbemessenes Theil daran, die Selbstregierung und Verwaltung in Staat und Gemeinde mit möglichster Betheiligung Aller, sichern. Ebenso darf es keinem besonderen Kriegerstande ausschließlich seine Vertheidigung übertragen, sondern muß der eigenen Wehrkraft den Hauptantheil davon vertrauen. Endlich darf es keiner Priesterkaste die Regulirung seiner humanen Bildung, keiner Kirche seine Schule übergeben, sondern muß sich seine Selbstbestimmung und Selbstbethätigung auch nach dieser Seite hin um jeden Preis vorbehalten. Thut es das nicht, übernimmt es die Arbeit und Mühe nicht, welche die Betheiligung in den genannten Stücken erfordert, überläßt es mehr davon, als was zur geschäftlichen und technischen Vorbereitung und Leitung durchaus erforderlich ist, an gewisse Berufsclassen, so ist es verloren. Denn die sittlichen und intellectuellen Kräfte in den Einzelnen, denen die Bethätigung gerade bei den höchsten Aufgaben, den wichtigsten Interessen entzogen wird, müssen nothwendig verkümmern. Wie soll Bürgersinn, Opferfreudigkeit und Sorge für das Gemeinwohl, Selbstständigkeit des Urtheils und höheres menschliches Bewußtsein bei einem so gegängelten, zu humaner und politischer Unmündigkeit herabgedrückten Volke sich entwickeln, dem man jede selbstständige Regung von Haus aus als strafbar vorstellt, dem man die Früchte vom Baum der Erkenntniß als verboten, den Trieb nach Wahrheit und Freiheit als Erbsünde bezeichnet? Nein, wie sehr uns auch die Sorge für das äußere Dasein in Anspruch nimmt, so viel Zeit und Kraft muß erübrigt und daran gesetzt werden, uns von der großen Culturgemeinschaft des Menschengeschlechts, in der wir uns nur durch Ausbildung und Gebrauch jener höhern uns Allen angeborenen Kräfte einzubürgern und zu erhalten vermögen, nicht ausschließen zu lassen. Die Arbeitstheilung, welche als ureigene Mitgift unsrer Natur uns die äußere Möglichkeit dazu zu gewähren bestimmt ist, sie soll man uns am wenigsten als Lockvogel dabei aushängen, da wir wissen, daß durch Ausdehnung derselben über ihre natürlichen Grenzen hinaus sich ihre Segnungen für uns in das Gegentheil verkehren.




Blätter und Blüthen.


Der Sieg des Rechtes. Die Gartenlaube hat unlängst unter dem Titel „Es giebt noch Richter in Berlin“ eine interessante Anekdote aus der letzten Zeit des vorigen Jahrhunderts erzählt; erlauben Sie, daß ich von einem ähnlichen Beispiele richterlicher Unbeugsamkeit aus den Tagen Friedrich Wilhelm’s des Dritten berichte.

Das Pflaster der Haupt- und Residenzstadt Berlin befand sich in einem Zustande, der dringend um Abhülfe anging. Mit einzelnen kleinen Reparaturen war da nicht zu helfen, es mußte durchweg neu und mit größeren Steinen gepflastert werden, was enorme Kosten verursachte, da „des heiligen römischen Reiches Streusandbüchse“, die Mark Brandenburg, ohnehin nicht „steinreich“, in Bezug auf Pflastern aber geradezu „steinarm“ zu tituliren ist. Der König, welchem die Minister die Nothwendigkeit der Maßregel vorgelegt hatten, stimmte derselben um so schneller bei, als er bei seinen zahlreichen Promenaden zu Fuß durch die Stadt selbst die Unannehmlichkeit der abwechselnden Hügel und Löcher empfunden. Er erließ eine Cabinetsordre an den Magistrat wegen schleuniger Inangriffnahme einer vollständig neuen Pflasterung Berlins. Der Magistrat war nicht wenig überrascht über diese königliche Zumuthung, welche dem städtischen Fonds unerschwingbare Lasten aufbürdete. Er entgegnete mit aller Ehrerbietung, daß die brandenburgischen Regenten (damals noch keine constitutionellen), zurück bis zum großen Kurfürsten, ihre Residenz stets aus ihrer Schatulle hätten pflastern lassen. Se. Majestät würde wohl hierin keine Ausnahme machen wollen.

Ueber diese Aeußerung zeigte sich der König sehr ungehalten; er gab dem Magistrate zu wissen, daß er keinen Widerspruch liebe – der Magistrat müsse pflastern, dabei bliebe es. Dieser ließ sich aber nicht einschüchtern, und setzte in einem „unterthänigsten Pro memoria“ auseinander, daß Se. königliche Majestät kein Recht für sich habe, und wenn „Allerhöchstdieselbe“ sich weigere, die Pflasterung Berlins zu bezahlen, so werde der Magistrat den Rechtsweg einschlagen und bei dem Kammergerichte Klage führen. Als der König diese Drohung vernahm, gerieth er in wirklichen Zorn; er trat an das Fenster und sprach in hoher Aufregung zu dem Cabinetsrath, welcher Vortrag gehalten hatte: „Verklagen! Leute verrückt sein; ihnen sagen – sollen gehorchen – sonst schlimm ergehen! Verklagen, Tollheit!“

Der Magistrat empfing die neueste dictatorische Cabinetsordre ungebeugt; er vertraute der aus der preußischen Geschichte hervorleuchtenden Wahrheit, daß in diesem Lande Recht Recht bleiben muß, daß Niemand sich über das Gesetz erheben darf, selbst der Landesherr nicht. Die Klage gegen den König wurde in aller Form bei dem Kammergericht eingereicht. Dieser hohe, im In- und Auslande seiner Unparteilichkeit halber noch nie angezweifelte Gerichtshof nahm die Beschwerde über den Monarchen in derselben Ruhe entgegen, wie die Klage gegen irgend einen Privatmann. Es wurden, nach der bei ihm stattfindenden Praxis, ein Referent und ein Correferent, zwei tüchtige Juristen, ernannt und diesen vier Wochen Frist gegeben, um ihr Gutachten gründlich zu motiviren und mit Documenten zu

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