Seite:Die Gartenlaube (1866) 206.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

welche mit Fug nicht bestritten werden kann, sobald man die Gegenwart mit der Vergangenheit vergleicht, giebt uns den nöthigen Fingerzeig hierüber, und wir brauchen denselben nur weiter zu verfolgen, um die Antwort zu finden, indem wir uns ein für allemal klar machen:

daß die Arbeitstheilung zu den Momenten unseres Culturlebens gehört und daher demselben Gesetz unterliegt, wie jeder geschichtliche Proceß, dem Gesetz der allmählichen Entwickelung, des Durchringens vom Unvollkommenen zum Vollkommenen.

Die heutigen Zustände können daher so wenig wie die früheren als etwas Abgeschlossenes, sondern nur als eine Entwickelungsstufe aufgefaßt werden, welcher andere und höhere folgen, weshalb aus ihnen noch kein Schluß auf das Princip selbst und seine endgültige Gestaltung gezogen werden kann.

Wie die Arbeit in ihren technischen Methoden erst mit steigender Civilisation zu besserer Bewältigung ihrer Aufgaben vorgeschritten ist, so streift auch die durch diese Arbeitsmethoden wesentlich bedingte Arbeitstheilung nur allmählich ihre ersten, rohesten Formen, ihre größten, barbarischen Härten ab. Die Geschichte der Arbeit ist daher die Geschichte der Arbeitstheilung und begreift zugleich die der Arbeiter und ihrer Lage in sich. Und weil Arbeit und Cultur in ihren Wechselbeziehungen niemals getrennt werden können, so fallen die ganzen berührten Verhältnisse wiederum mit dem jedesmaligen Stande der Civilisation bei den einzelnen Völkern und in den verschiedenen Zeiten zusammen. Daher können wir uns nicht entbrechen, das Mangelhafte und Verwerfliche der erwähnten Erscheinungen dem mangelhaften Stande der Civilisation zuzuschreiben, welcher die Arbeitstheilung in jene falsche Richtung drängt, nicht dieser selbst und ihrem wohlthätigen Princip. Es ist eben ein unvermeidlicher Durchgangspunkt in der Gesammtentwickelung, den wir hinzunehmen haben, mit der Aufforderung, die Hände anzulegen zum Besseren.

Diese Auffassung findet die vollste Bestätigung durch einen Rückblick auf den Verlauf der Sache seit den frühesten Geschichtsepochen. Je finsterer und roher Völker und Zeiten, desto mehr herrscht das trennende Element der Arbeitstheilung vor, desto schroffer und starrer sind die Classenunterschiede, welche die Verschiedenheit der Beschäftigungen mit sich bringt, desto mehr sehen wir die Vortheile davon einer begünstigten Minderheit auf Kosten der unterdrückten Mehrheit zugewendet. Einen Hauptgrund dieser Erscheinung haben wir bereits angedeutet, es sind die unvollkommenen Arbeitsmethoden. Bei schlechten, höchst ungenügenden Werkzeugen, in Unkenntniß der beihelfenden Naturkräfte, mußten die Arbeiter in den frühesten Zeiten fast allein durch äußerste Anspannung der Muskelkräfte ihre Aufgaben lösen, was eine Erschöpfung und Abstumpfung des Geistes und Körpers, eine Dumpfheit des Gemüthes bei ihnen mit sich führte, die ihrer Bildsamkeit, ihrem Emporkommen nicht günstig waren. Dadurch wird es erklärlich, wie in den ältesten Zeiten die verwerflichsten und entwürdigendsten Formen der Arbeitstheilung zuerst Platz griffen: die Geburtskaste und die Sclaverei. Nach der Auffassung der Zeit ließen sich die niedere Erwerbsarbeit und die höhere Geistesthätigkeit in einem und demselben Menschen nicht vereinigen. Wer das Eine trieb, wurde eben dadurch unfähig zu dem Anderen. Damit die eine Halbschied der Menschen den höchsten Zielen unseres Geschlechts zustreben und alle Zeit und Kraft darauf wenden könne, mußte die andere davon ausgeschlossen und ihr die Beschaffung der äußeren Daseinsmittel aufgebürdet werden.

So entmuthigend, ja so ungeheuerlich uns diese Anschauung im Lichte unserer Zeit erscheint, müssen wir doch Eins zugestehen. Auch in dieser verkümmerten Form, in dieser offenbaren Abirrung hat die Arbeitstheilung noch unendlich für die Entwickelung unseres Geschlechtes gewirkt und muß als Quell alles Fortschritts betrachtet werden. Schlagend ist hierbei der Vergleich der Völker der alten Welt, bei denen wir jene Einrichtungen vorfinden, mit den wilden Horden und Stämmen, bei welchen keine Spur davon zu bemerken ist, denen aber auch alle Culturfähigkeit abgeht. Man blicke nur nach Amerika und den Südseeinseln, wo solche Stämme noch jetzt hausen. Da ist von eigentlicher Gewerbsthätigkeit und Arbeitstheilung keine Rede. Jeder ist Krieger und Jäger oder Fischer, jede Familie schafft sich ihren Bedarf selbst und der gefangene Feind wird getödtet, nicht geknechtet. Von Classenunterschieden ist dabei nichts zu spüren, vielmehr herrscht sociale und politische Gleichheit im vollen Maße. Aber dafür ist auch von aufsteigender Civilisation nichts bei ihnen wahrzunehmen. In denselben ursprünglichen Zuständen, wie sie nach den ältesten Nachrichten bei ihnen bestanden haben, finden wir sie noch jetzt, und die Berührung mit den Europäern vermag ihnen höchstens die Laster der Civilisation mitzutheilen, aber keinen lebenskräftigen Anstoß, sich ihrer Segnungen zu bemächtigen. Die meisten von ihnen haben es weder zu einer Schriftsprache, noch zu festen Sitzen und eigentlichem Ackerbau gebracht. Es scheint, daß die ganze Race von der Bühne der Welt verschwinden wird, ungefähr in denselben Zuständen, wie sie dieselbe betraten.

Wie anders die Völker des Orients, in West- und Südasien und an der Ostküste des nördlichen Afrika! Freilich ist hier der Ursprung der Sclaverei und des Kastenwesens zugleich mit dem der Arbeitstheilung zu suchen, aber welche reichen Culturschätze sind zugleich mit diesen Institutionen von ihnen an die abendländische Welt gebracht und die Grundlage der Civilisation für alle Zeiten geworden! Ackerbau und Gewerbe, Handel und Schifffahrt, Entdeckungen und Erfindungen aller Art, die Gewinnung und der Gebrauch der Metalle, die Buchstabenschrift mit den Anfängen der Wissenschaften und Künste, die ältesten Urkunden und Denkmäler der Religion und Geschichte: das Alles ist von ihnen zu uns gekommen und hat sich in der Blüthezeit des classischen Alterthums bei den Griechen und Römern zu einer Höhe gesteigert, daß es bis auf die Gegenwart herab für alle Völker eine ewige Schule bleibt, an der sie mit ihren eigenen Bildungsstrebungen anknüpfen.

So gewiß es aber hiernach ist, daß diese reichen Culturschätze mit tausendfältigem Elend und Verkümmerung eines großen Theils der Menschen in den antiken Gemeinwesen erkauft sind, eben so sicher steht es fest:

daß die dadurch gewonnenen Keime weiterer Entwickelung die Beseitigung jener entwürdigenden Zustände in ihrem Schooße trugen.

Kam die damalige Arbeitstheilung auch nur einer geringen Zahl zu statten, so war es doch eben diese, welche der Cultur überhaupt die Bahnen brach, die, einmal eröffnet, sich von Geschlecht zu Geschlecht erweiterten. Das ist einmal der natürliche Zug aller Bildungserrungenschaften im Ganzen, wie aller Entdeckungen und Erfindungen im Einzelnen, daß sie aus den engen Kreisen der Eingeweihten heraus sich zu verallgemeinern, immer größere Kreise zu gewinnen streben. Ganz besonders wurde die allmähliche Emancipation der arbeitenden Classen durch den Einfluß begünstigt, welchen die steigende Blüthe der Künste und Wissenschaften auf den Gang der Industrie und die Vervollkommnung der gewerblichen Arbeitsmethoden mehr und mehr ausübte. Unser Jahrhundert vor Allem mag als Wendepunkt erscheinen, von wo aus man in spätern Zeiten eine neue Epoche in dieser Beziehung datiren wird. Namentlich sind es die großen Forschungen und Entdeckungen in den Naturwissenschaften, welche hier ganz neue Bahnen brechen. Indem sie die Naturkräfte immer mehr zu menschlichen Arbeitszwecken zur Verfügung stellen, entheben sie mehr und mehr die Arbeiter der rohesten, aufreibendsten Verrichtungen, welche ihre Bildungsfähigkeit in der Vorzeit so sehr beeinträchtigten. Im Gegentheil drängen die neuen Arbeitsmethoden selbst zu geistiger Entwickelung hin. Handwerk wird mehr und mehr Kopfwerk, ein gewisser Grad von Kenntnissen, zum Theil sogar von wissenschaftlicher Bildung, wird unentbehrliches Arbeitsmittel. Zugleich ist durch die ungeheure Steigerung der Leichtigkeit, wie der Ergiebigkeit der Arbeit, vermöge deren immer größere Gütermassen in immer kürzeren Zeiträumen und mit immer geringerer Mühe hergestellt werden, eine Verkürzung der Arbeitszeit zum Theil bereits angebahnt, zum Theil überall vorbereitet, welche dem Arbeiter auch die nöthige Muße besser als bisher gewähren wird, sich mit seiner Ausbildung zu befassen. Und auf diese Weise tritt die bedrohliche Wirkung der Arbeitstheilung, von der wir sprachen, die Gefahr der Verkümmerung mehr und mehr zurück. Was dem Arbeiter noch versagt bleibt, unmittelbar durch seine Fachthätigkeit zu erreichen, die Uebung seiner höheren Anlagen, dem mag er jetzt in seiner freien Zeit selbstthätig nachstreben. Und der gegebene Anstoß bleibt hierbei nicht stehen, vielmehr greifen die einmal begonnenen Bildungsbestrebungen, bei denen sich die deutschen gewerblichen Arbeiter vor allen auf das Ehrenvollste auszeichnen, unmittelbar in das Gewerbsleben zurück. Der Hebung des Bildungsstandes folgt die Hebung der wirthschaftlichen Lage auf dem Fuße, für welche die gewonnene Einsicht, die gesammelten Kenntnisse vom größten praktischen

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 206. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_206.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)