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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Aber auch nur eine Frau wie die Oberhofmeisterin, die das höchste Erdenglück in einem Gnadenblick aus fürstlichen Augen suchte und fand, eine Person, deren ganze Seelenthätigkeit sich darauf beschränkte, Schildwache vor dem Reich der Etikette zu stehen und den Nimbus ihrer sauer genug errungenen Excellenz ängstlich zu behüten, nur sie konnte wiederholt in das Gesicht der jungen Dame sehen, ohne die tiefe innere Erregung in den Zügen zu bemerken.

Hollfeld war nicht allein so unaufmerksam gewesen, Helenen bei ihrer Ankunft auf dem Festplatz der Fürsorge des Grafen Wildenau zu überlassen, er hatte auch, als er endlich erschienen war, kein Wort der Entschuldigung für seine Säumniß gehabt und mürrisch und zerstreut hatte er sich endlich an ihre Seite gesetzt. Sie fand ihn seltsam verändert, und ihr unruhiges Herz, ihr Kopf zermarterten sich in Vermuthungen. Zuerst folgte ihr argwöhnisches Auge Cornelien, die ihrer Quecksilber-Natur gemäß wie ein Irrwisch von Gruppe zu Gruppe flatterte und unaufhörlich plauderte und lachte. Ueber diesen Punkt war sie jedoch bald beruhigt; denn es gelang ihr nicht ein einziges Mal, einen Blick Hollfeld’s auf dem Weg nach der koketten, aber anmuthigen Hofdame aufzufangen. Ihre besorgten Fragen wurden einsilbig beantwortet. Sie ließ durch einen Diener Speisen herbeitragen und legte Hollfeld selbst vor, aber er rührte keinen Bissen an und trank nur rasch hintereinander einige Gläser starken Weines, den er sich am Marketenderzelt einschenken ließ. Dies nachlässige Benehmen, das sie zum ersten Mal an ihm bemerkte, that ihr unbeschreiblich wehe. Sie schwieg endlich und ließ wie ermüdet die Lider über die Augen sinken – Niemand bemerkte die zwei hellen Tropfen, die an ihren Wimpern hingen.

Mitten in den Toast-Jubel hinein, der augenscheinlich bedeutend erhöht wurde dadurch, daß der sonst so ernste, schweigsame Schloßherr ihn veranlaßt hatte, fiel plötzlich ein Schatten; wenigstens schien es Elisabeth, als verkünde das Gesicht des Hausverwalters Lorenz, das auf einmal zwischen den Baumstämmen in der Nähe auftauchte, nichts Gutes. Der alte Mann gab sich die größtmögliche Mühe, um die Aufmerksamkeit seines Herrn auf sich zu lenken, ohne daß es die Anderen bemerken sollten. Endlich gelang es ihm. Herr von Walde warf einen raschen Blick hinüber, stand auf und ging mit dem alten Diener tiefer in das Gestrüpp, während die anderen Herren ihre früheren Plätze wieder aufsuchten. Er kehrte sehr bald mit bleichem Gesicht zurück.

„Ich habe eine erschütternde Nachricht erhalten, in Folge deren ich sofort abreisen muß,“ sagte er mit gedämpfter Stimme zu dem Doctor. „Herr von Hartwig in Thalleben, ein alter Freund von mir, ist auf einer Spazierfahrt verunglückt, die Verletzung ist tödtlich; wie man mir schreibt, kann er höchstens noch einen Tag leben… Er beruft mich zu sich, um die Sorge für seine unmündigen Kinder in meine Hände zu legen… Theilen Sie der Baronin Lessen meine Abreise und deren Veranlassung mit; sie soll dafür Sorge tragen, daß das Fest nicht gestört werde. Meine Schwester und die Gesellschaft sollen in dem Wahn bleiben, daß ich in einer Geschäftsangelegenheit abberufen worden bin und möglicherweise bald wieder nach dem Festplatz zurückkehre. Man wird mich nicht mehr vermissen, sobald der Tanz begonnen hat.“

Der Doctor entfernte sich sogleich, um die Baronin aufzusuchen. Seine Frau war schon vor einer Weile nach dem Büffet gegangen, und so stand Elisabeth in diesem Augenblick Herrn von Walde allein gegenüber. Er näherte sich ihr rasch.

„Ich hatte geglaubt, wir würden heute nicht auseinandergehen ohne daß der Schluß des Glückwunsches ausgesprochen worden wäre,“ sagte er, während sein Auge ihren ausweichenden Blick aufzufangen suchte. „Ich gehöre nun schon einmal zu jenen Glückspilzen, denen noch in der letzten Stunde ein Unstern das gelobte Land verschließt.“ Er bemühte sich, diesen Worten einen humoristischen Anstrich zu geben, aber sie klangen deshalb nur um so bitterer. „Diesmal soll er mich jedoch zäher finden, sprach er in entschlossenem Tone weiter, „fort muß ich, das läßt sich nicht ändern, aber die Erfüllung dieser schweren Pflicht kann mir sehr erleichtert und versüßt werden durch ein Versprechen Ihrerseits… Wissen Sie noch die Worte, die Sie mir vorhin nachgesprochen haben?“

„Ich vergesse nicht so schnell.“

„Ah, das klingt schon bedeutend ermuthigend für mich! … Es existirt ein Märchen, in welchem ein einziges Wort ein Reich voll unermeßlicher Schätze und lieblicher Wunder erschließt; der Schluß jenes Glückwunsches ist auch ein solches Wort… Wollen Sie mir behülflich sein, daß es ausgesprochen werde?“

„Wie könnte ich Ihnen zu Schätzen und Reichthümern verhelfen?“

„Das ist meine Sache… Ich bitte Sie ernstlich, in diesem Augenblick keinen weiteren Ausweichungsversuch zu machen; denn die Zeit drängt… Ich frage Sie also, wollen Sie in den Tagen, die ich ausbleiben werde, sich bestreben, den Anfang des Glückwunsches in Erinnerung zu behalten?“

„Ja.“

„Und werden Sie bereit sein, wenn ich zurückkehre, das Ende zu hören?“

„Ja.“

„Gut, ich werde mitten in Trübsal und Leiden ein Stück blauen Himmels über mir behalten, und Ihnen – möge unterdeß mein guter Engel den Namen jenes Wunderreiches zuflüstern… Leben Sie wohl!“

Er reichte ihr die Hand und schritt hinter dem Thurm weg auf den nächsten Weg, der nach dem Schlosse führte.

Elisabeth blieb eine Weile in einer Art süßer Betäubung stehen, aus welcher sie erst durch die Doctorin geweckt wurde, die mit Tellern und Schüsseln beladen zurückkehrte und nun sehr erstaunt war, keinen der Herren vorzufinden. Das junge Mädchen theilte ihr das Geschehene mit. Bald darauf kam auch der Doctor und erzählte, die Frau Baronin sei sehr pikirt gewesen, daß ihr Cousin es nicht der Mühe werth gehalten habe, sie persönlich von dem Vorfall in Kenntniß zu setzen. Der unglückliche Doctor hatte einige Bitterkeiten der gereizten Dame in den Kauf nehmen müssen, aber er war so unhöflich, sich dadurch ganz und gar nicht in seiner Gemüthsruhe stören zu lassen. Er setzte sich behaglich hinter die vollen Schüsseln und aß mit vortrefflichem Appetit.

Währenddem ging Elisabeth hinüber zu Fräulein von Walde, um sich zu beurlauben. Es hielt sie ja hier nichts mehr zurück. Sie hatte das lebhafte Verlangen, mit ihren Gedanken allein zu sein, jedes Wort, das er zu ihr gesprochen, sich noch einmal ungestört zurückrufen und über den Sinn desselben nachdenken zu können.

„Sie wollen gehen?“ fragte Helene, als das junge Mädchen hinter ihren Stuhl trat und sich empfahl. „Was meint mein Bruder dazu?“

„Rudolph ist in einer dringenden Geschäftssache nach dem Schlosse gerufen worden,“ antwortete die Baronin, die eben erschien, schnell an Elisabeth’s Stelle, „Fräulein Ferber ist mithin der Verpflichtung des Hierbleibens enthoben.“

Helene warf der Sprecherin einen mißbilligenden Blick zu. „Das sehe ich noch nicht ein,“ sagte sie, „die Geschäfte werden doch wahrhaftig nicht der Art sein, daß er gar nicht wieder hierher zurückkehrt.“

„Ich denke nicht,“ erwiderte die Baronin zögernd, „aber seine Rückkehr kann möglicherweise sehr spät erfolgen… Fräulein Ferber wird sich voraussichtlich unterdeß sehr langweilen in einem ihr völlig unbekannten Kreise, und –“

„Hat mein Bruder Sie frei gegeben?“ wandte sich Fräulein von Walde an Elisabeth, ohne die Baronin ausreden zu lassen.

„Ja,“ antwortete das junge Mädchen, „und ich bitte auch Sie, mir zu erlauben, daß ich mich entfernen darf.“

Während dieses kurzen Wortwechsels bog sich die Oberhofmeisterin zurück und musterte Elisabeth von Kopf bis zu Füßen mit ihren kalten, stechenden Augen; Hollfeld aber stand auf und entfernte sich, ohne ein Wort zu sagen. Fräulein von Walde sah ihm mit einer Art von schmerzlichem Unwillen nach und antwortete im ersten Augenblick gar nicht auf Elisabeth’s Bitte; endlich reichte sie ihr sichtlich zerstreut die Hand und sagte: „Nun, da gehen Sie, liebes Kind, und haben Sie vielen Dank für Ihre heutige freundliche Mitwirkung.“

Elisabeth verabschiedete sich noch rasch von Doctor Fels und Frau und schritt dann mit erleichtertem Herzen in den Wald hinein.

Sie athmete auf, als das Gewühl hinter ihr lag, als ein rauschender Accord den Walzer schloß, dessen jubelnde Töne sie noch eine Weile begleitet hatten… Jetzt durfte sie sich ungestört dem Zauber hingeben, der ihrem ganzen Denken und Sinnen einen süßen Bann auferlegte, der sie zwang, immer wieder auf jene längst verhallte Stimme zu hören, die mit ergreifendem Klange ihr Herz bestrickte und vor welcher alle Vorsätze ihres

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 195. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_195.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)