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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

führte er sie zu einem Fauteuil, auf welchen sie sich mit großer Grandezza niederließ.

„Die Frau Baronin von Falkenberg, Oberhofmeisterin am Hofe zu L.,“ antwortete die Doctorin auf Elisabeth’s Frage, wer die alte Dame sei. Fräulein von Quittelsdorf sah heute wunderschön aus in ihrem weißen Kreppkleid und einen brennend rothen Malvenkranz auf ihr dunkles Haar gedrückt, als sie sich in ehrerbietigster Weise um ihre Vorgesetzte bemühte, wobei sie jedoch nicht unterließ dann und wann einen schalkhaften Blick auf Fräulein von Walde zu werfen.

Das Erscheinen der Gäste vom Hof war das Signal zum Beginn des Concertes. Elisabeth hörte fast ihr Herz klopfen. Noch stand sie hinter der Doctorin; noch konnte sie ihr Gesicht verbergen vor all’ den Augen, die im nächsten Moment auf ihr haften, jeder ihrer Bewegungen folgen würden. Eine unsägliche Scheu überkam sie plötzlich, und sie bereute bitter, daß sie darauf eingegangen war, zuerst allein zu spielen… Sie bebte, als Fräulein von Walde ihr winkte, zu beginnen; aber nun half kein Sträuben mehr … sie schöpfte tief Athem, nahm das Notenheft und schritt langsam, mit gesenkten Augen zum Clavier, wo sie sich schüchtern verbeugte.

Zuerst entstand athemlose Stille, dann lief ein Geflüster von Mund zu Mund, das aber sofort erlosch, als das junge Mädchen die Tasten berührte. Auch Elisabeth’s Angst und Beklemmung entwichen bei dem ersten Accord. Sie war ja nicht mehr allein, er war ja bei ihr, an dessen Hand sie unzählige Mal über sonnige Halden, an dunklen Abgründen vorüber, durch Sturm und Wetter geschritten war, der süße Ahnungen in ihr geweckt und alle heiligen und erhabenen Empfindungen ihres Herzens in unendlichem Wohlklang zusammenfaßte … er, der ihr so lieb und vertraut war, wie das Gesicht der Mutter, wenn sie auch scheu den Blick senken mußte vor der feurigen Glorie, die sein gewaltiges Haupt umzuckte … Die geschmückten Damenköpfe, die sich drüben an den Wänden hinreihten, die Lorgnetten- und Brillengläser, welche, in der Sonne funkelnd, beharrlich ihre Blitze auf die einsame Spielerin mitten im Saale schleuderten, Alles verschwand: sie war allein mit dem großen Beherrscher der Töne und folgte entzückt jeder Wendung seines schöpferischen Geistes.

Ein wahrer Beifallssturm schreckte sie auf, als sie geendet hatte. Sie verbeugte sich und floh dann förmlich zu ihrer Beschützerin, der Frau Fels, die ihr, sprachlos vor innerer Bewegung, beide Hände entgegenstreckte.

Das Concert dauerte nicht lange. Vier junge Herren aus L. sangen ein hübsches Quartett, dann folgte der Vortrag eines tüchtigen Geigenspielers. Fräulein von Quittelsdorf sang auch zwei Lieder mit schöner Stimme, aber ohne Gehör, so daß bei jedem hohen Ton die Gesellschaft entweder unwillkürlich und angstvoll auf den Stühlen hin- und herrückte oder verlegen den Blick auf den Boden richtete. Auch eines der so lange einstudirten vierhändigen Musikstücke kam an die Reihe. Fräulein von Walde hatte ihre Fassung wiedergewonnen und spielte im Verein mit Elisabeth vortrefflich.

Als das Concert zu Ende war, trat Elisabeth in die Thür eines Nebenzimmers, um ihre Mantille zu holen. Fast auf dem Fuße folgte ihr ein ältlicher Herr, der ihr gegenüber gesessen und sie fortwährend mit großer Aufmerksamkeit betrachtet hatte. Die Doctorin, die mit Elisabeth gegangen war, stellte ihn auf sein Verlangen dem jungen Mädchen vor als den Herrn Kreisgerichtsdirector Busch. Er sagte ihr viel Schönes über ihr Clavierspiel und fügte hinzu, es sei für ihn von großem Interesse, die kühne Lebensretterin des Schloßherrn kennen zu lernen; er habe um so eiliger die heutige Gelegenheit ergriffen, als ihm seit einigen Stunden die Hoffnung genommen sei, in der Untersuchung der Attentatsgeschichte mit ihr verkehren zu dürfen.

Elisabeth fuhr erschrocken zurück. Er lachte laut und herzlich.

„Nun, nun, entsetzen Sie sich nicht nachträglich, mein Fräulein!“ rief er endlich. „Wir haben ja, wie ich Ihnen eben sagte, leider keine Veranlassung mehr, Sie vor unsere Schranken zu laden … Linke hat die ganze Angelegenheit mittels eines einzigen Sprunges niedergeschlagen – seine Leiche wurde heute Nachmittags aus dem Teich bei Dorf Lindhof gezogen,“ fügte er mit gedämpfter Stimme hinzu. „Man machte mir die Meldung im Gasthof, wo ich abgestiegen war. Ich begab mich in Begleitung des Wahlheimer Arztes, der sich zufälligerweise im Gastzimmer befand, nach dem Schauplatz des Verbrechens und habe mich überzeugt, daß sich jene Hand nie wieder gegen das Leben eines Andern erheben wird … Der Zustand der Leiche beweist, daß Linke sofort nach dem Mißlingen seiner verbrecherischen Absicht den Tod gesucht hat.“

Elisabeth schauderte. „Weiß Herr von Walde dies schreckliche Ende?“ fragte sie mit bebender Stimme.

„Nein, ich fand noch keine Gelegenheit, ihn allein zu sprechen.“

„Von allen Anwesenden scheint Niemand eine Ahnung zu haben von dem, was gestern geschehen ist,“ sagte Frau Fels.

„Glücklicherweise nicht, und Dank unserer Umsicht und Verschwiegenheit,“ entgegnete der Kreisgerichtsdirector ironisch. „Der arme Herr von Walde hat sich ohnehin kaum retten können vor der Gratulanten-Ueberschwemmung; wehe, wenn die Veranlassung eine doppelte gewesen wäre, ihn seines Daseins wegen zu beglückwünschen!“

Der Hausverwalter Lorenz näherte sich in diesem Augenblick Elisabeth und präsentirte ihr einen kleinen, silbernen Teller, auf welchem mehrere Papierröllchen lagen. Als ihn das junge Mädchen erstaunt ansah, sagte er respectvoll: „Bitte, haben Sie die Güte, eines der Papiere an sich zu nehmen.“

Elisabeth zögerte.

„Es wird sich um irgend einen Scherz handeln,“ meinte die Doctorin. „Nehmen Sie schnell, damit der Hausverwalter nicht länger aufgehalten wird.“

Fast mechanisch ergriff das junge Mädchen ein Röllchen, fuhr aber erschrocken zurück, als die Baronin Lessen plötzlich in der Thür erschien und einen forschenden Blick in das Zimmer warf.

„Nun,“ sagte die Eingetretene rasch, indem sie auf den alten Diener zuschritt, „was thun Sie hier, Lorenz? … Sie können sich doch denken, daß Frau Fels sich nicht entschließen wird, mit einem Andern, als ihrem Herrn Gemahl zu gehen!“

„Ich habe Fräulein Ferber den Teller präsentirt, gnädige Frau,“ entgegnete der alte Mann.

Die Baronin schleuderte ihm einen wüthenden Blick zu, dann maß sie das junge Mädchen von Kopf bis zu Füßen. „Wie, Fräulein Ferber,“ sagte sie schneidend, „Sie sind noch hier? … Ich glaubte Sie längst zu Hause auf Ihren Lorbeeren ruhend.“

Ohne eine Antwort abzuwarten, trat sie wieder über die Schwelle, wandte aber nochmals den Kopf schüttelnd zurück nach dem verblüfft dastehenden Hausverwalter und zuckte mit den Achseln.

„Sie waren wieder einmal recht zerstreut, Lorenz, eine Schwäche, die sich leider in der letzten Zeit oft sehr unangenehm fühlbar macht.“

Mit diesen Worten rauschte sie hinaus, während ihr der Alte geräuschlos folgte. Er erwiderte auf ihre maliciöse Zurechtweisung nicht eine Silbe, aber in sein blasses Gesicht trat eine leichte Röthe und die weißen, buschigen Brauen zogen sich dergestalt zusammen, daß die gutmüthigen Augen fast verschwanden.

Noch standen die drei Zurückbleibenden und sahen sich erstaunt an, als der Doctor hereintrat. Er machte eine tiefe, komische Verbeugung vor seiner Frau und sagte feierlich:

„Sintemalen Fräulein von Quittelsdorf soeben die Gnade gehabt hat, uns abermals zusammenzuthun, wie bereits vor fünfzehn Jahren durch Priesterhand geschehen, so bin ich gewillt, das sanfte Joch der Ehe geduldig weiterzuschleppen und heute ausschließlich an Deiner Seite, vielgetreues Ehegespons, genährt und gepflegt von Deiner zartwaltenden Hand, die Freuden des Tages zu genießen!“

„Was fällt denn Dir ein, lieber Mann?“ rief erstaunt und lachend die Doctorin.

„Bitte,“ das ist nicht mein Einfall … Ach, ich merke, Du hast Fräulein von Quittelsdorfs schwungvolle Rede nicht mit angehört … wie schade! … Ich sehe mich also genöthigt, Dir hiermit zu sagen, daß jegliches Ehepaar, gleichviel, ob auf dem Kriegsfuß stehend, oder nicht, binnen jetzt und einer Viertelstunde sich hübsch einträchtig nach dem Nonnenthurm im Walde zu verfügen hat, allwo ein ländliches Fest gefeiert werden soll. Dort hast Du die Verpflichtung, mich zu bedienen, respective mir so viel Essen und Trinken herbeizuschaffen, wie mein Herz begehrt, und überhaupt für mein Wohlbefinden zu sorgen, wie es nur je die vielgefeierte Penelope gethan … Damit aber die unbeweibten Männer, die in der Mehrzahl hier vertreten sind, nicht zu kurz kommen, d. h. wenn sie es für einen Vorzug halten wollen, daß ihnen

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