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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

den nächsten Tag noch zahlreicher wiederzukommen. Nachdem nun mein alter College seinen improvisirten Gastspielausflug beendet und eine ganz ansehnliche Anzahl preußischer Thaler eingesackt hatte, eine Arbeit, die ihm unbeschreibliche Freude machte, weil sie so unverhofft kam, begleitete ich ihn, meinem Versprechen zufolge, mit seiner Frau, einem hübschen, einfachen Weibchen, die den alten Mann mit der aufmerksamsten Fürsorge einer zärtlichen Tochter behandelte, nach Hamburg. Nachdem ich ihn mit der reizenden Umgebung und den Merkwürdigkeiten der Stadt bekannt gemacht, stellte ich ihn dort in mehreren bekannten Kaufmannshäusern, namentlich bei einem der dortigen Geldfürsten, einem leidenschaftlichen Theaterliebhaber, vor, welcher den urkomischen Scholz von Wien aus kannte und schätzte. Den folgenden Tag waren wir dort zu einem solennen Frühstück eingeladen, welches der reiche Mann, dem fremden Künstler zu Ehren, auf seinem prachtvollen Landsitze veranstaltet hatte.

Scholz, der sich unter Kaufmann eine Art wohlhabenden Gewerbtreibenden vorstellte und dem die Species, deren Federzug in Canton wie in Paris, in Petersburg wie auf Java gleiche Gültigkeit und Achtung hatte, noch nie vorgekommen war, konnte sich vor Erstaunen nicht erholen, als ich ihn in die fürstliche Pracht der Wohnung seines neuen Gastfreundes einführte. Das lucullische Mahl ging in sehr heiterer Weise vor sich; Scholz ließ den trefflichen, ihm ganz fremden Gerichten ebensoviel Gerechtigkeit widerfahren, wie den zahlreichen Sorten edlen Rebensaftes, und als der freundliche Wirth die Gesundheit des Wiener Künstlers ausbrachte, stand Scholz, schon etwas überselig, mit verklärten Augen von seinem Sitze auf, wankte zu dem des Hausherrn hin, versicherte ihn seines Wohlwollens und seiner Dankbarkeit und bot ihm, den er heute zum ersten Male gesehen, zu meinem Entsetzen auf die naivste Weise an, mit ihm Brüderschaft zu trinken.

Es war überaus komisch anzusehen, wie der würdige, fein gebildete Millionär in ruhigster Weise diese Offerte entgegennahm und die Umarmungen des überschwänglich glücklichen Scholz über sich ergehen ließ. Derselbe bemühte sich, ihm seine Versicherung, daß er nicht etwa betrunken sei, dadurch zu beweisen, daß er auf dem Strich des Parkets zu gehen versuchte, was allerdings nicht ohne kleine Schwankungen ermöglicht wurde; er aß und trank Alles durcheinander, süß und sauer, kalt und warm, und duzte zuletzt die ganze Gesellschaft. Man sollte meinen, daß dies die Anwesenden etwa verletzt oder unwillig gestimmt habe, doch war dies keineswegs der Fall, denn als die erste Befremdung vorüber war, amüsirte sich Alles über den urkomischen Kauz, der hier mit hinreißender Drollerie zu singen, zu tanzen und zu declamiren anfing, als befände er sich in einer Kneipe seiner Vaterstadt. Auf mich machte die Scene einen um so überraschenderen Eindruck, als Scholz sonst außer der Bühne der ernsteste, stillste Mensch war, der stundenlang ruhig in Gesellschaft sitzen und den kräuselnden Rauchwolken aus seiner riesigen Meerschaumpfeife zusehen konnte. Nach dem Frühstück, welches an Quantität und Qualität drei festliche Mahlzeiten in sich schloß, wurden Mokka und Cigarren präsentirt. Die letzteren setzten meinen alten Freund durch ihre Güte wieder in Ekstase. „Erlaubst Du wohl,“ frug er den Gastgeber, „daß ich ein paar von diesen wunderbaren Cigarren einstecke, um sie in Wien zu zeigen?“

„Lieber Scholz,“ war die freundliche Antwort, „ich habe schon daran gedacht, und wenn Du in Dein Hotel zurückkommst, so wirst Du tausend Stück davon vorfinden, die ich Dich bitte, zur Erinnerung an mich mitzunehmen.“

Nachdem der gute Wenzel den Großmüthigen eine Weile verblüfft angeglotzt, kam er auf mich los und stöhnte unter hellem Schluchzen: „Sixst (siehst Du), solche Leut’ findt man bei uns nid!“

Den folgenden Tag frug er mich ganz unerwartet, ob ich ihn auf der Rückreise noch einige Mal in Berlin spielen lassen wolle, und als ich mit Vergnügen auf diesen Vorschlag einging, trieb er zur schleunigen Abreise. „Das Mier“ aber hat der alte Mann nicht mehr gesehen, denn noch in demselben Jahre trat er die Reise in jenes unbekannte Land an, von dem Hamlet behauptet, es sei noch kein Wanderer davon zurückgekehrt, obgleich er selbst kurz vorher den Geist seines Vaters gesprochen und geprüft, daß derselbe kein Gespenst aus der Hölle sei.

Am 7. October 1857 wurde in Wien unter unermeßlichem Zudrange des Publicums der Mann zur Gruft geleitet, der zahllose Male Tausende erheitert und, wie der Dichter sagt, nur ein Mal, durch seinen Tod, betrübt hat.




Blätter und Blüthen.


Mehr Wissen leichter zu erlernen – daß ein Mittel hierzu für die Schule wie für das Leben von unschätzbarem Werthe sein würde, bezweifelt Niemand. Und wenn man die neuerdings von einem sächsischen Lehrer, Herrn Mauersberger, in mehreren Lehrerversammlungen mit dem System der Gedächtnißkunst (nach dem Griechischen Mnemonik oder Mnemotechnik genannt) vorgeführten Proben betrachtet, so möchte man die Lösung dieser Aufgabe wenigstens sehr nahe gerückt glauben. Einer allgemeinen sächsischen Lehrerversammlung zu Chemnitz z. B. stellte Herr Mauersberger drei Knaben aus der ersten Classe der dortigen mittlern Bürgerschule vor, welche er nur vier Tage lang nach den Regeln der Gedächtnißkunst unterrichtet und denen er in dieser kurzen Zeit eine Tabelle sächsischer Geschichte von dreihundert Daten nach Jahr, Monat und Tag, ferner die geographische Lage von etwa achtzig Orten und mehrere der hundert Potenzen von der Zahl 2, also riesige Zahlen von mehr als dreißig Stellen, mnemonisch gut und fest eingeprägt hatte. Die Knaben bestanden das Examen vor der Versammlung auf das Glänzendste.

Auch dem Herausgeber d. Bl. führte Herr Mauersberger einen von ihm unterrichteten Knaben von etwa zwölf Jahren vor, der nach den Regeln derselben Gedächtnißkunst eine Menge Geschichts-Daten und geographischer Zahlen in verhältnißmäßig sehr kurzer Zeit gelernt hatte und die Fragen darnach größtentheils geläufig und sicher beantwortete.

Carl Otto Reventlow (und nach ihm Hermann Kothe und alle späteren Mnemoniker) geht nämlich von der Anschauung aus, daß man Das am leichtesten und nachhaltigsten merke, was man begriffen habe; deshalb verwandelt er Alles, was außerhalb der Sphäre des Begriffs liegt, d. h., alle Zahlen und Laute, von denen man nichts als ihre Zahl- und Lautbeziehungen kennt, in Begriffe, indem er diesen Zahlen und Lauten Merke-Wörter oder Merke-Sätze unterschiebt. Zu diesem Behufe bestimmte man folgende Gleichstellung der Consonanten:

a) mit den Ziffern:
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9
l z tz
c=z
t d n x m w r q ſ s
ß sch
b p v f
ph ver
vor
h ch
j
g k ck
c=k


b) mit den Monatsnamen:
Jan. Febr. März April Mai Juni Juli Aug. Sept. Oct. Nov. Dec.
l z tz
c=z
f ph r q p t m w Bademonat
b
Bademonat
d
g k
ck
c=k
ſ s
ß sch
h ch
j
v
vor
ver
x n


Bei dieser Gleichstellung ist für die Ziffern die Gestalt, für die Monate der Klang der betreffenden Consonanten maßgebend und hilft sie dem Gedächtniß leicht vertraut machen. Wir wollen dies an einigen Beispielen anschaulich zeigen. Man wähle für 1 das dieser Ziffer sehr ähnliche t und merkt dann leicht, daß auch d ebensoviel bedeute; für 2 gilt n, wegen seiner zwei Grundstriche, und x, das, deutsch geschrieben, umgekehrt wie 2 aussieht; für 3 gelten, wegen ihrer drei Grundstriche, m und w; für 4 gilt r und q, weniger der Aehnlichkeit wegen, als weil der Deutsche wie der Lateiner in vier und quatuor an diese Buchstaben leicht erinnert wird; für 5 gilt das ihm ähnliche (lateinische) s und darum auch s, ſ, ß und sch; die 6 sieht dem b ähnlich und dazu merkt sich p von selbst; wenn man ein lateinisches V an ein f zur Linken oben ansetzt, so kommt eine Figur heraus, die einige Aehnlichkeit der 7 hat, und darum gelten dafür f, v und ph; die Aehnlichkeit von 8 und dem geschriebenen deutschen h liegt näher und dazu fügt man das j, welches wenigstens wie ein halbes h aussieht, und ch; noch, näher liegt 9 = g, und der Klangähnlichkeit wegen auch k, ck und c (= k); dagegen muß c (= z), sowie z, l und tz als 0 gelten. Diese Consonanten für 0 bedeuten auch den Januar, Februar = f (und ph), März = r (und q), April = p und wegen Aprilwetter auch = t, Mai = m und als Wonnemonat auch = w, Juni und Juli sind beide Bademonate, also Juni = b, Juli = d, August = g (k, ck und c = k), September = s (ſ, ß, sch), October, der achte Monat = h (ch und j), November = v (vor und ver) und December = x = x und n.

Um Zahlen zu merken, muß man ihnen also Merk-Wörter oder Merk-Sätze unterlegen. Spielend leicht ist dies natürlich, wenn man sich die zu merkenden Zahlen selbst auswählen kann, denn dann nimmt man eben das erste beste Wort oder den ersten besten Satz und bildet nach den Consonanten desselben die Zahl. Man kann damit eine in dies Geheimniß noch nicht eingeweihte Gesellschaft in das größte Erstaunen über sein augenscheinlich außerordentliches Zahlengedächtniß versetzen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 175. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_175.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)