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von blutigen Verfolgungen und von herben Schicksalsschlägen durchzogenes Leben zu schildern, würde hier zu weit führen. Genug, daß sein Herz sich durch nichts hat verbittern lassen. Sechs Jahr war er evangelischer Geistlicher in Delitzsch, seit achtzehn Jahren Sprecher der freien Gemeinde in Nordhausen. Er war Mitglied des Frankfurter Vorparlaments, der preußischen Nationalversammlung und in ihr der Verfassungscommission. Sein Verfassungsbüchlein ist in zweiundzwanzigtausend Exemplaren verbreitet. Er ist, wie schon vor achtzehn Jahren, Vorsitzender der Stadtverordneten-Versammlung und als Mitarbeiter der Nordhäuser Zeitung von weitreichendem Einfluß.

Wie Baltzer Alles, was zur Befreiung des Menschengeistes von den Banden des alten Spiritualismus und des jungen Materialismus beiträgt, mit Begeisterung ergreift, so mußte er auch in den Fröbel’schen Kindergärten einen mächtigen Hebel dieser Freiheit erblicken. Sein Wunsch, einen Kindergarten in Nordhausen zu haben, brachte mich mit ihm in Verbindung. Der dort 1851 gegründete Kindergarten gab zu neuen Schmähungen und zum Verbot der Fröbel’schen Kindergärten in Preußen, womit sich das Cultusministerium Raumer kennzeichnete, Veranlassung. Daher kenne ich Baltzer aus persönlichem Umgange.

Seine Persönlichkeit ist keine imponirende, aber eine gewinnende. Aus seinem trefflich modellirten Kopfe, den wir im Bilde mittheilen, namentlich aus seinem seelenvollen Auge spricht die hohe Intelligenz seines geistigen Wesens, und wenn er auf der Tribüne spricht, sprühen ihm Geist und Liebe aus allen Zügen und Bewegungen. Man muß ihn öffentlich sprechen hören und sehen, um die Ueberzeugung zu gewinnen, daß er ein echter Ritter vom Zukunftsgeist, daß er Denker und Dichter, Lehrer, Redner, Staatsmann, Volkswirth, mit Einem Worte, Prophet und Schöpfer der Zukunft nach allen Geistesrichtungen ist.

Mögen die geistige Tiefe und Frische, die ihn kennzeichnen, ihm für seinen glücklichen Familienkreis, wie für das große öffentliche Leben noch lange Jahre treu bleiben, damit er mit ihnen den Siegestag des freien Geistes erleben könne, den heraufführen zu helfen er sich zur Aufgabe seines Lebens gestellt hat!

Ludwig Storch.




Bilderschau in meinem Zimmer.
Erinnerungsblätter von Franz Wallner.
III.


Ein treffliches Bild der berühmten Tänzerin Fanny Elßler hängt über meinem Schreibtisch. Nie hat eine ähnliche Erscheinung das Publicum erfreut, nie wird eine ihr gleiche Künstlerin die Bühne zieren. Fanny Elßler war die verkörperte Grazie, dabei, neben der vollendeten Tänzerin, eine Schauspielerin vom ersten Wasser; sie vermochte z. B. in der Titelrolle im Taubstummen, ohne alle musikalischen und choreographischen Behelfe, dem Zuschauer die heißesten Thränen zu entlocken; ihre Yelva, die russische Waise, wird Jedem unvergeßlich bleiben, der die Freude gehabt hat, sie als solche zu bewundern. Im Jahre 1850 brachte sie im Ballet des kaiserlichen Hoftheaters in Petersburg eine vollständige Umwälzung hervor. Die von ihr und dem genialen Perrot in Scene gesetzten neuen Arrangements enthusiasmirten die ganze Hauptstadt derartig, daß ihr Kaiser Nikolaus bei ihrem Benefize einen prachtvollen Blumenstrauß, „aus farbigen Diamanten“, mit den Worten übergab: „Er wollte heute der Erste sein, der ihr Blumen überreiche.“ Dabei war Fanny als gefeiertste Künstlerin das, was sie jetzt noch im Privatleben ist, das bescheidenste, anspruchsloseste Wesen; sie theilte ihr reiches Einkommen im Stillen mit den Armen und theilt es noch immer, verehrt von Allen, die je mit ihr in gesellige Berührung gekommen. Möge ihre Bescheidenheit mir verzeihen, wenn ihr diese Zeilen zu Gesicht kommen; ich habe meinem Herzen damit Luft gemacht und gethan, was ich nicht lassen konnte.

Sehr komisch war ihr erstes Zusammentreffen mit dem Geldfürsten Baron von Stieglitz in St. Petersburg, an den sie empfohlen war. Der reiche Bankier fuhr im Hotel Napoleon vor, um der berühmten Künstlerin einen Besuch abzustatten. Im Corridor sieht er einen Menschen auf und nieder gehen, der ihn auf die Frage, wo Fanny Elßler wohne, an die Zimmerthür führt. Stieglitz warf dem Mann, den er für den Lohndiener hielt, seinen kostbaren Zobelpelz zu und trat „schwarzbefrackt und weißbehandschuht“ bei der Dame ein. Als er sich wieder empfahl, bat er, den Diener zu rufen, dem er seinen Pelz übergeben habe, aber Niemand wußte etwas von einem solchen, und „Roß und Reiter sah man niemals wieder“. Ein zufällig anwesender Dieb hatte sich das Vertrauen des russischen Crösus zu Nutze gemacht und mit dem prachtvollen Kleidungsstück das Weite gesucht. Nun, der Mann konnte es verschmerzen, obgleich der Pelz mehr als tausend Silberrubel werth war. –

Von Kriehuber auf Stein gezeichnet und zum Sprechen getroffen, ziert eine sehr hübsche Portrait-Gruppe von Nestroy, Scholz und Treumann, dem Komikerkleeblatt, wie es kaum wieder in gleicher Vollendung und passenderem Zusammenwirken an einer Wiener Bühne erscheinen wird, die Wand meines Arbeitszimmers. Nur der letztere lebt noch, in erfreulich-erfolgreicher Thätigkeit als Director des ehemaligen Carltheaters; die Collegen aus früherer Zeit deckt der kühle Rasen. Ein größeres Original, nach allen Richtungen hin, als Nestroy war, hatte die deutsche Bühne wohl nie aufzuweisen. Geistreich wie Wenige, war er in Gesellschaft so scheu und wortkarg, daß man einen Dummkopf vor sich zu haben meinte, und nur dann und wann raunte er einem Freunde oder einem neben ihm sitzenden näheren Bekannten ein Witzwort, meist sarkastischen Inhalts, zu, welches an Schlagfertigkeit Alles übertraf, was im Verlauf mehrerer Stunden gesprochen worden war. Freilich sind fast alle diese bonmots so cynischer Natur, daß sich die meisten derselben nicht wieder erzählen lassen. Nestroy hat ein halbes Hundert Possen geschrieben, von denen eine namhafte Zahl, mustergültig und mit großem Beifall aufgenommen, über alle deutschen Bühnen ging. War das Buch einmal den bewährten Händen seines Directors Carl übergeben, hatte er seine Rolle in dem Stück einstudirt, so kümmerte er sich nie mehr um dasselbe, und selbst bei der ersten Aufführung seiner Arbeiten ließ er sich den Erfolg der Scenen, in welchen er nicht selbst beschäftigt war, in der Garderobe wieder erzählen. Der Autor dieser kleinen Feder-Zeichnungen erinnert sich noch mit Erstaunen an eine derartige Scene.

In der hundert und hundert Mal gegebenen Posse „Lumpaci-Vagabundus“ hatte Nestroy für sich die Rolle des Schusters Knieriem geschrieben, der im zweiten Act nicht beschäftigt ist. Während das Stück im vollen Cassenzuge war, wurde der Darsteller des Schneiders Zwirn, der geniale Scholz, einst krank und mir von meinem Chef das Wagniß aufgebürdet, die Partie von Mittags bis Abends zu lernen und für den leidenden Liebling des Wiener Publicums zu übernehmen. Ich zog mich leidlich genug aus der Affaire, und als ich, nach dem zweiten Acte von den nachsichtigen Zuschauern hervor gerufen, mit gewaltig erleichtertem Herzen von der Scene trat, kam mir Nestroy dankend mit freundlichen Worten entgegen. Die Neugierde, wie der bisher unbeachtete Anfänger seine schwierige Aufgabe lösen würde, hatte ihn als Zuschauer hinter die Coulissen gezogen, was er sonst nie that. Seine wohlwollende Rede endete mit den Worten: „Bei der Gelegenheit habe ich doch auch den zweiten Act meines Stückes kennen gelernt.“ Wirklich hatte er weder bei der ersten Scenirung, noch bei den unzähligen Wiederholungen der Posse sich um sein Werk bekümmert und den zweiten Act, in dem er nichts zu thun hatte, seit er aus seiner Feder hervorgegangen, total vergessen. Er arbeitete mit reißender Schnelligkeit, meist Vormittags im Bette liegend, mit Bleistift auf die halbe Seite großer, in Bittschriftenformat zusammengelegter Bogen schreibend. An der leeren halben Seite wurden spätere Aenderungen, Couplets, Witzfunken etc. notirt und das fertige Stück dann so der Direction übergeben. Nie bekümmerte er sich dann mehr um dasselbe, ebensowenig wie um die nöthige Ausstattung, Besetzung, Inscenesetzung etc. etc., er wußte das Alles bei Carl in den besten Händen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 173. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_173.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)