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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Er lächelte. „Mein Belisar ist wild und eigensinnig, Sie kennen ihn ja,“ sagte er. „Er geht nur mit mir, und würde es sehr übel vermerken, wenn ihn ein Anderer, als sein Herr, nach Hause bringen wollte… Jener feige Mensch wird übrigens, wie ich Ihnen schon gesagt habe, heute auf keinen Fall einen zweiten Angriff gegen mich wagen… Nun, und wenn auch, ich bin ja gefeit! … Ist nicht heute ein guter Stern über mir aufgegangen?“

Er blieb stehen. „Was meinen Sie,“ fragte er plötzlich mit gedämpfter Stimme, während sein Auge aufleuchtete und das ihre forschend suchte, „soll ich wohl den entzückenden Wahn festhalten, daß er mich durch mein ganzes Leben begleiten werde?“

„Wenn Sie Wagstücke in diesem Sinn ausführen wollen, dann ist es freilich besser, Ihr Glaube an jenen Stern ist kein so unbedingter.“

„Das größte Wagstück war wohl dieser augenblickliche Wahn selbst,“ murmelte er mehr für sich, während ein finsterer Schatten über sein Gesicht flog.

„Ich verstehe Sie nicht,“ sagte Elisabeth erstaunt.

„Das ist ganz natürlich,“ entgegnete er bitter, „Ihr Denken und Wünschen hat ja eine ganz entgegengesetzte Richtung… Bei aller Strenge gegen sich selbst, begegnet es einem doch manchmal, daß man sich von einem lieblichen Traum beschleichen läßt… Nein, nein, sagen Sie nichts mehr! … ich bin ja schon bestraft, denn ich wache.“

Jetzt beschleunigte er seine Schritte und ging nun an Miß Mertens’ Seite, während Elisabeth stumm folgte und sich den Kopf darüber zerbrach, warum er wohl so plötzlich wieder in jenen rauhen Ton verfallen war, der sie stets tief verletzte. Er sprach kein Wort mehr, und als endlich die Mauern des alten Schlosses durch die Büsche blickten, empfahl er sich in auffallend kurzer und knapper Weise und schritt rasch den Berg wieder hinunter.

Miß Mertens sah ihm erstaunt nach. „Sonderbarer Mann!“ sagte sie endlich und schüttelte den Kopf. „Und wenn auch wirklich das Leben für ihn sehr wenig Werth hat, wie ich in diesem Augenblick annehmen muß, so meine ich doch, wäre ein Wort des Dankes beim Auseinandergehen nicht gerade überflüssig gewesen, wenn man bedenkt, daß Sie Ihr Leben um seinetwillen in Gefahr gebracht haben.“

„Ich sehe diese Nothwendigkeit durchaus nicht ein,“ entgegnete Elisabeth. „Sie legen überhaupt meinem Antheil bei dem Vorfall viel zu viel Gewicht bei… Ich habe einfach eine Pflicht gegen den Nächsten erfüllt, und würde,“ fügte sie mit einem eigenthümlichen Trotz in Ton und Geberden hinzu, „ganz ebenso gehandelt haben, wenn der Fall ein umgekehrter und Linke der Bedrohte gewesen wäre… Es ist mir sehr erwünscht, daß auch er die Sache in der Weise auffaßt; denn bei seinem Hochmuth müßte ihm das Gefühl einer nicht einzulösenden Verbindlichkeit einem anderen menschlichen Wesen gegenüber jedenfalls ein höchst peinliches werden, ich aber möchte um Alles dieses Wesen nicht sein.“

In diesem Augenblick stritten zärtliche Angst und Bitterkeit in ihr. Sie verfolgte in Gedanken den Hinabsteigenden Schritt um Schritt und schüttelte sich vor Entsetzen, wenn sie dachte, er gehe vielleicht gerade jetzt an der Stelle vorüber, wo der Rachedürstende auf ihn lauere… dann meinte sie, indem sie hastig vorwärts schritt, es sei doch recht thöricht, alles Denken und Empfinden an einen Mann zu verschwenden, der ihr geflissentlich die rauheste Seite seines Wesens zeige… Selbst der Baronin gegenüber, die ihm doch in tiefster Seele zuwider war, verlor er keinen Augenblick seine Ruhe, setzte er nie die Formen der allgemeinen Höflichkeit aus den Augen, wenn er ihr auch seine Ueberzeugung stets ungescheut in’s Gesicht sagte. Seine ganze Umgebung kannte ihn nicht anders, als von dem Nimbus der Ruhe und Würde umgeben, nur im Gespräch mit ihr hielt er es nicht der Mühe werth, sich zu beherrschen… Wie heftig konnte er da werden! Wie flammten seine Augen auf und hingen mit verzehrender Ungeduld an ihren Lippen, wenn sie nicht rasch oder bestimmt genug antwortete! … Dabei verlangte er, sie solle ihn womöglich schon verstehen, noch bevor er gesprochen, und doch war er ihr noch völlig unverständlich, wenn er fertig zu sein meinte. Vielleicht waren alle Anderen scharfsinniger als sie und fanden sich rascher in seine Sprech- und Denkweise, die für sie nun einmal ein unlösbares Räthsel war und blieb… War es ihr zu verdenken, wenn sie sich vornahm, dergleichen Conflicten künftig auszuweichen? … Gewiß nicht…. Nun, zum Glück war ja seine Abreise nahe … zum Glück? … Der mittelst Trotz und Stolz aufgerichtete Bau der Selbstbetrügerei zerfiel plötzlich vor diesem einen Gedanken; ja, er versank so spurlos, daß sie zu Miß Mertens’ Verwunderung eilig in den Weg einbog, der von der Waldblöße hinunter nach dem Schlosse führte… Sie mußte sich überzeugen, ob Herr von Walde unangefochten zurückkehre. Miß Mertens folgte ihr willig bis in ein Bosket, nahe bei der Thür, wo er abzusteigen pflegte, und auch ihr fiel ein Stein vom Herzen, als er gleich darauf aus dem Walde hervorsprengte.

(Fortsetzung folgt.)




Wild-, Wald- und Waidmannsbilder.
Von Guido Hammer.
Nr. 21. Ein Wintervergnügen.


Ruhigem, mildem Schneefall sind sonnenhelle, aber schneidend kalte Tage gefolgt und haben jede stillstehende Wasserfläche mit spiegelblanker Eisdecke belegt. Nur die rasch dahinströmenden Gewässer blieben noch unbezwungen, wenigstens konnte bei diesen der scharfe Frost bisher nur die träger fließenden Uferwellen zu Eis erstarren machen. Alles wilde Wassergeflügel aber ist deshalb von Teichen und Seen – sofern solche nicht warme und darum eisfreie Stellen bieten – vertrieben worden und hat sich auf Flüsse und Bäche geflüchtet, wenn es nicht vorgezogen, gleich weiter südwärts zu ziehen, wohin der eisige Nord, aufgehalten durch die hohe Alpenscheide, nicht folgen konnte, oder doch machtgebrochen nicht mehr im Stande war, das Lebenselement der Wassergeborenen zu starren Krystall zu verwandeln. Lassen wir diese glücklichen, leichtbeschwingten „Segler der Lüfte“ in jene schöneren Gefilde ziehen, wir kältegewöhnten Menschenkinder aber, zumal solche, welche die Natur unter allen Umständen lieben lernten und zu genießen verstehen, erfreuen uns recht gern einmal an so recht echten, herzerfrischenden Wintertagen. Und so eilen wir denn, in Begleitung des wackern Künstlers Otto Eberlein in Göttingen, welchem die Gartenlaube (in Nr. 26, 1865) schon ein allerliebstes Jagdbild zu verdanken hatte, wohlgemuth und munter hinaus in die schneeigen Fluren und durchstreifen da zuerst und vorzugsweise gern den vor uns liegenden weitgedehnten Wald. Hier unter den Bäumen, die unter dem Druck ihrer blendenden Last die Wipfel gleich gothischen Kreuzbögen gegeneinander neigen, wird der Wandelnde von schmeichelndem Dämmerschein umfangen. Nur hier und da durchdringen einzelne blendende Sonnenstrahlen das Waldesdunkel, die aber durch das Schwanken der schneebehaupteten alten Tannen nur in zitternder Bewegung den flaumgedeckten Boden stellenweise zu glitzernder Pracht zu erleuchten vermögen.

So schreiten wir fort, immer dem Lauf eines Baches folgend, der sich in vielfachen Krümmungen durch das bald enge, bald weiter werdende Thal des herrlichen Forstes windet. Rasch fließt das klare Naß, von Eisrändern umstarrt, dahin, denen die daran hineilenden Wellchen sanftklingende, singende Töne entlocken, von so seltsam lieblicher Art, daß man nicht müde wird, den reizenden Accorden zu lauschen. Hier im engen Bett dahinschießend, dort im ruhigen Lauf sich ausbreitend, dann wieder über natürliche Wehre hinabstürzend, daß der aufwirbelnde feine Wasserstaub an dem überhängenden Gezweig der Erlen und Weiden haften bleibt, daran zu wunderbar geformtem Reif erstehend, der, von der Sonne durchleuchtet, einen wahrhaft magischen Anblick gewährt, bietet das Flüßchen dem Wanderer ein ewig wechselndes Bild. Dazu kommt die belebende Staffage eines den kleinen sonnenbestrahlten Strudel oben überflatternden, juwelenschillernden Eisvogels, während weiterhin die einfacher geschmückte, doch gar liebe Wasseramsel das

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 166. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_166.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)