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ihn erst in dünne Strähne, dann diese vorsichtig und ohne Ueberspannung oder Ungleichmäßigkeit in dickere und immer dickere Taue zu drehen, die neu zu erfindenden mechanische Mittel, um diese Taue unter der schwersten erforderlichen Belastung nachgiebig und doch zugleich so dauerhaft zu befestigen, daß eine fünfundzwanzigjährige Dauer garantirt werden konnte, und um sie in ihre Lage zu bringen, endlich um in dieser schwindelnden Höhe an den Tauen alles Uebrige aufzuhängen und zu befestigen – dieses Alles zu beschreiben, hieße die Geschichte des Feldzuges eines Einzigen gegen tausend Hindernisse der abschreckendsten Art beschreiben. Die Brücke hängt nun fünfzehn Jahre da; keine Spur einer Abnützung ihrer Tragkraft und Haltbarkeit! Es hat seitdem der Baumeister manch anderes großes Werk derselben Art in Amerika geschaffen. Ein solcher Mann würde in Europa auf seinen Lorbeeren ausruhen, reich und bewundert in hervorragender Stellung dastehen können; in den Vereinigten Staaten zieht er sich mit seinen im Verhältniß mäßigen Ersparnissen in’s Privatleben zurück und wird – Fabrikant. Herr Röbling hat in Trenton, der Hauptstadt von New-Jersey, eine Fabrik von Kupferdraht begründet und beschäftigt einige Hundert Arbeiter.

Heute nur noch einen deutschen Namen von ebenso großer Bedeutung. Am 12. Januar d. J. verstarb in Washington, der Bundeshauptstadt, Reinhold Solger, einer der geistreichsten und verdienstvollsten Landsleute, mit welchen die achtundvierziger Zeit dem neuen Welttheile ein Geschenk gemacht hat, unter den traurigsten Umständen. Auch er war nur hin und wieder in beiden Hemisphären genannt, und Wenige begriffen die ganze Größe seiner Leistungen. Der Sohn eines hochgestellten preußischen Beamten und der Neffe des bekannten philosophischen Schriftstellers desselben Namens, hatte er eine sehr gute Erziehung genossen, mußte aber bei der engherzigen Natur deutscher Verhältnisse, welche für so hervorragende Begabung keinen entsprechenden Wirkungskreis wissen, schon früh den Grund zu einem vorzeitigen Untergange legen. Schon als Student mißliebig geworden durch zwei sarkastische Heldengedichte, welche das Junkerthum und die Staatsdienerschaft mit unübertroffenem Witze geißelten, war schon vor 1848 Verbannung in Frankreich und England und später in der Schweiz und Amerika sein Loos. Frühzeitig und vor vollendeter Charakterbildung in ein abenteuerliches Leben hineingeworfen, untergrub er schon als Jüngling seine Gesundheit durch raschen Wechsel zwischen unbedachtsamem Lebensgenusse und den anstrengendsten Studien. Mit auserlesenen Gaben ebensowohl zum großen Staatsmanne, wie zum großen Dichter und zum gelehrten und scharfsinnigen Alterthumsforscher ausgerüstet, fand er dennoch durch die Ungunst der Verhältnisse seinem rastlosen Ehrgeize die Bahn zu einer Stellung in der Geschichte verschlossen, blieb sein Leben ein verfehltes, sein Ende wahrhaft entsetzlich. In Amerika unternahm er vom ersten Augenblicke seines Auftretens an das schwere Werk, bei den Eingebornen den damals noch so verachteten deutschen Namen zu Ehren zu bringen. Er wurde Lecturer, d. h. er hielt in englischer Sprache vor dem besseren Publicum Vorträge, in welchen er die Standpunkte und Leistungen der deutschen Philosophie, Sprach- und Geschichtsforschung in’s rechte Licht setzte, zahllose eingefleischte Vorurtheile der Angloamerikaner bekämpfte und entwurzelte und die Nothwendigkeit einer Ergänzung der angloamerikanischen Cultur- und Charakter-Einseitigkeiten durch die Vorzüge der Deutschen einleuchtend machte. In der Beherrschung der englischen Sprache unübertroffen, voll Witz und Geist im Vortrage und im Besitz selbstständig errungener Ergebnisse fleißiger und vielseitiger Forschungen originell, wurde er bald über das halbe Land hin bekannt und anerkannt, in Boston, wo er lange wohnte, sogar entschieden einer der „Löwen des Tages“, und seine Zukunft schien gesichert. So hat er viel, sehr viel dazu betragen, den Deutschen in Amerika eine geachtete und einflußreiche Stellung zu verschaffen und die „Germanisirung Amerikas“ einzuleiten, welche jetzt in endlicher Aussicht steht. Oft ward er gerade unter seinen hiesigen Landsleuten verkannt und angefeindet, weil er stark ausgeprägte Sonderbarkeiten an sich trug; unter den Eingebornen stieg er in Achtung und verdankte es dieser Achtung, daß er 1862 unter dem Finanzsecretär Chase das bedeutende und verantwortliche Amt einer Hauptbureau-Direction in Washington überkam, in welchem Staatsschuldscheine im Betrag von Hunderten von Millionen Dollars durch seine Hände gingen und mit seiner Unterschrift versehen wurden.

Als er im Sommer 1864 einen Ritt nach einem vier Meilen von der Hauptstadt entfernten Landsitze machte, welchen er miethen wollte, stürzte er, schon jahrelang unter furchtbarem Kopfweh leidend, vom Sonnenstich getroffen, vom Pferde, blieb stundenlang einsam in der glühenden Sonne ohne Hülfe liegen, wurde endlich von einem ärztlichen Pfuscher verkehrt behandelt und, fast vollständig gelähmt und der Sprache beraubt, auf ein anderthalbjähriges Schmerzenslager hingestreckt, gepeinigt bei völligem Bewußtsein von dem Hinblick auf eine in Armuth zurückbleibende, unversorgte Familie, bis der Tod ihn wohlthätig heimsuchte. Angloamerikaner haben bisher an derselben so viel gethan, wie für die nächste Zeit genügte, seine deutschen Landsleute noch nichts. Man hat unter diesen nur erst davon gesprochen, daß etwas geschehen müsse. Wehe dem verdienstvollen Deutschen hier zu Lande, welcher kein finanzielles Talent hat, um seine Familie rechtzeitig sicher zu stellen!

Solger hat kein schriftstellerisches Werk hinterlassen, das ihn lange überleben konnte. Seine angestrengten Studien, seine Reisen, sein Amt ließen ihn nicht zu der dazu nöthigen Sammlung kommen. Sein Roman „Anton in Amerika“, eine Art von Fortsetzung des berühmten Freytag’schen Romanes „Soll und Haben“, mißfiel sogar entschieden, trotzdem daß er die reiche Begabung des Verfassers überall glänzend zeigt. In seinen hinterlassenen Papieren muß sich vieles höchst Werthvolle finden; aber welcher Deutsche in Amerika hätte die Muße dazu, sich ihrer Herausgabe zu unterziehen?

Ein Märtyrer mehr für die Zukunft der Deutschen! Wie viele werden ihm noch in dasselbe Loos folgen müssen, ohne die Frucht ihrer Anstrengungen zu erleben?

New-York.

A. D.




Schlauheit der Elster. Nach einer mühseligen entomologischen Excursion kam ich vor einigen Jahren an einem heißen Junitage, ziemlich erschöpft und nach Speise und Trank verlangend, auf einem Schulzenhofe an, dessen Besitzer mir seit vielen Jahren befreundet waren. Während die gastlich sorgliche Hausfrau in der Küche Kaffee für mich braute und der Schulze dem Großknecht noch einige dringliche Anweisungen zu geben hatte, stellte ich mich an das offene Stubenfenster, um mich an dem bunten Treiben der Thierwelt auf dem Hofe zu weiden. Der Schulze war offenbar ein Liebhaber von Federvieh, denn außer den gewöhnlichen Thieren dieses Schlages – zahlreichen gemeinen Hühnern, Tauben, Gänsen und Enten – bevölkerten kollernde Truthähne mit ihren Weibern, radschlagende Pfauen, Cochin- und andere Fremdhühner den Hof, und Perlhühner erhoben ihr ohrenzerreißendes Zetergeschrei, als der muthwillige Spitz hinter ihnen zu jagen begann. Schwäne, Schwangänse und türkische Enten zogen Linien und Kreise auf dem anstoßenden Teiche.

Fast verwirrt von dem Gewimmel und Getön, fiel mein Blick über die Umzäunung des Hofes auf einen freien Platz am Rande eines prächtigen Eichenwaldes. Hier erging sich eine große Hauskatze in auffallendem Spiel und merkwürdigen Sprüngen. Ich entdeckte bald, daß sie es mit einer unglücklichen Gefangenen, mit einem armen Mäuschen, zu thun hatte, welches sie in der bekannten grausamen Weise ein wenig frei laufen ließ, um es, wenn das geplagte Thier eben in ein Loch zu schlüpfen vermeinte, rechtzeitig immer wieder in den mörderischen Krallen zu haben. Plötzlich ertönte über der Mordscene hoch vom höchsten Eichbaume hernieder das laute Gekacker einer Elster, die sich sofort auf einen der niedrigsten nach außen herabhängenden Zweige des Baumes setzte und lüsternen Blicks auf das Treiben der Katze mit der Maus herabsah. Ihr Erscheinen war von der argwöhnischen Katze nicht unbemerkt geblieben, doch warf diese der unwillkommenen Gesellschafterin mit halbgewandtem Kopfe blos einen tückischen Blick zu und ließ sich übrigens in ihrem Spiel nicht stören. Jetzt ließ sich aber die Elster unter beständigem, lebhaftem Gekacker auf die Erde nieder und näherte sich der Mörderin von hinten. Diese wandte sich behende und machte, ihr Opfer kaum aus den Augen lassend, einen Sprung nach der Elster, die indeß schon wieder auf ihrem Zweige saß. Die Katze wandte sich wieder zur Maus, die ihrem Ende nahe schien, immer aber noch die Kraft besaß, einen Schritt oder zwei sich fortzuschleppen. Wie sich die Katze über sie hermachte, war auch die Elster schon wieder da und diesmal der Katze näher auf den Fersen, als das erste Mal, so daß diese sich zornig wandte und abermals einen vergeblichen Sprung nach der Elster that, die alsbald wieder auf ihrem sichern Zweige thronte. Als die Katze zur Maus zurückkam, lag diese in den letzten Zügen. Im Nu war die Elster wieder da und diesmal der Katze so nahe, daß sie fast ihre Schwanzspitze berührte. In größter Wuth fuhr nun die Katze auf, und da ihr die Elster wieder ebenso gewandt entschlüpfte wie die vorigen Male, rannte sie nach dem Eichbaume und kletterte in blindem Eifer an demselben einige Fuß hoch empor, wohl, um die Feindin weiter zu verfolgen. Darauf hatte diese aber offenbar nur gewartet, flog zu dem todten Mäuschen, entführte es in die Lüfte und ließ der beschämten Katze das leere Nachsehen.

So erzählte ein glaubwürdiger Freund und Naturkundiger.

C–s.




Desinfections-Pulver. Der Kaufmann und volkswirthschaftliche Schriftsteller Herr D. Born aus London, jetzt in Berlin, legt in letzterem Orte eine Desinfectionspulver-Fabrik an. Das betreffende Pulver besteht aus einer feingemahlenen Mischung von Kalk und Kohle, zwei Substanzen, deren jede ein kräftiges Mittel gegen Fäulniß- und Verwesungsgase ist, da sie dieselben sofort im Entstehen binden und für die atmosphärische Luft unschädlich machen. Namentlich besitzt die Kohle eine fabelhafte Aufsaugungsfähigkeit für schädliche und giftige Luftarten. In Verbindung mit Kalk wirkt diese Eigenschaft so schnell und kräftig, daß das Desinfectionspulver, auf und in übelriechende Gegenstände gestreut, sofort diesen Geruch beseitigt. Bei dem Mangel an öffentlicher und Privatgesundheitspflege, namentlich in Bezug auf Luft, erwarten der Fabrikant und alle bis jetzt zu Rathe gezogenen Aerzte, Chemiker etc. einen großen, wohlthätigen Erfolg von dem Gebrauch dieses Pulvers im Privatleben, namentlich in Schlafzimmern und in Excrementen-Gefäßen, von welchen in deutschen Wohnungen unendlich viel zerstörendes Gift, besonders Ansteckungen aller Art und eine Menge Lungen-, Hals- und sonstige Krankheiten entwickelt, erzeugt oder begünstigt werden. Das Pulver soll sehr billig auf den Markt kommen und Jedem leicht zugänglich gemacht werden. Ein Pfund für fünf Silbergroschen soll, wie versichert wird, für einen gewöhnlichen Hausstand vollkommen auf einen Monat ausreichen.




Ein neuer Dichter in der Werkstatt. Neben Carl Weise, dem wackern Drechslermeister von Freienwalde, ist vor Kurzem ein anderer tüchtiger Arbeiter mit einer kleinen Sammlung meist lyrischer Poesien in die Oeffentlichkeit getreten. Es ist der Porcellandreher Fr. Jacob Müller in Nauendorf bei Ohrdruff in Thüringen, dessen „Poetische Bilder aus dem Leben“ wohl eine Empfehlung auf ihren Weg verdienen, obschon seine Muse weder stofflich noch formell die Weise’s erreicht und hier und da sich etwas phrasenreich ausspricht. Der Verfasser ist der Sohn braver Landleute in Mettlach an der Saar und hat sich lediglich aus sich selbst herausgebildet, da er schon im dreizehnten Jahre in der Fabrik sein Brod verdienen mußte.




Berichtigung. In der kleinen Mittheilung über die „Oefen“ im Salzburger Gebirge in Nr. 7 d. Bl. S. 112 Zeile 25 v. o. muß es heißen „nicht an jene passen“, anstatt: meist an jene passen. Durch diese Verwechselung ist gerade das Entgegengesetzte von dem ausgedrückt, was der Verfasser wollte.

D. Red.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 160. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_160.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)