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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Eingabe an den König feierlich Protest erhoben. „Ob uns,“ sagten sie, „jener Vorwurf der Unfähigkeit mit Recht treffen könne?“ „Darüber etwas anzuführen, geziemet sich nicht für uns. Daß wir aber den Vorwurf geflissentlicher Unredlichkeit nie auf uns laden und verdienen werden, dafür sichert uns das innere Gefühl dessen, was wir Gott, unserem Landesherrn, der Welt und uns selbst schuldig sind.“

Zu gleicher Zeit gab das Kammergericht noch in einem andern Falle einen Beweis seiner Unabhängigkeit und Furchtlosigkeit. Auf Veranlassung des pietistischen Ministers von Wöllner wurde eine besondere „Glaubenslehre“ im orthodoxen Sinne ausgearbeitet und in die Landesschulen eingeführt. Das elende Machwerk wurde von verschiedenen Seiten und auch von dem reformirten Prediger Gebhard in Berlin nach Gebühr in einer besonderen Schrift gewürdigt. Der Verleger derselben, Buchdrucker Unger, hatte das Manuscript nach Vorschrift bei dem Ober-Consistorium eingereicht und der Ober-Consistorialrath Zöllner ohne Anstand die Erlaubniß zum Druck ertheilt. Nichtsdestoweniger wurde das Buch nachträglich auf Befehl des Ministers confiscirt. Der Buchdrucker verklagte hierauf den Ober-Consistorialrath Zöllner auf Schadenersatz, in keiner andern Absicht, als die Maßregeln des Ministeriums der verdienten Lächerlichkeit preiszugeben. Das Kammergericht entschied jedoch zu Gunsten des beklagten Censors, welcher mit Fug und Recht der von dem Minister hinterher verbotenen Schrift die Druckerlaubniß ertheilt hatte, und verurtheilte somit indirect die Regierung, indem das Urtheil wörtlich ausführte: „Beklagter Censor würde sogar die der Regierung schuldige Ehrfurcht verletzt haben, wenn er angenommen hätte, sie wolle lieber den einmal angenommenen Vorsatz blindlings verfolgen, als besseren Gründen Gehör geben.“

Ein Jahr darauf wohnte der damalige Kronprinz, der spätere König Friedrich Wilhelm der Dritte, einer Sitzung des Kammergerichts in Berlin bei. An den künftigen Herrscher richtete bei dieser Gelegenheit der damalige Kammergerichts-Director Kircheisen die denkwürdigen Worte: „Mein gnädigster Herr! auch Sie dürfen in Zukunft Gehorsam und Liebe von Millionen erwarten. Auch in Ihnen wird der Unterthan seinen Gesetzgeber verehren und sich in eben dem Grade unter die Gesetze willig beugen, in welchem er die Güte derselben erkennt. Auch Sie werden den zu ihrer Ausübung berufenen Richter wählen, durch Ihren Befehl seinen Ausspruch vollziehen lassen, aber auch Verurtheilte begnadigen und damit ein Recht ausüben, welches – mag es auch mit Mißbilligung der Unvollständigkeit des Gesetzes, worauf der Urtheilsspruch beruhet, verknüpft sein! – zu den köstlichsten Vorzügen des Thrones gehört und nur, wie ein Schatz, eine sparsame Verwaltung erfordert.

Aber unmittelbare Schärfung einer durch das Gesetz gelinder bestimmten Strafe oder unmittelbare Entscheidung des kleinsten Rechtsstreites würde Ihnen mit Recht das Vertrauen des Volkes auf Ihre Gerechtigkeit entziehen, aus welchem Vertrauen doch ein so großer Theil der Glückseligkeit eines Königs beruht. Die gesittete Welt, dies mächtige Tribunal, ist dahin übereingekommen, sich mit dem Worte Machtspruch Ungerechtigkeit als verschwisterte Idee zu denken.

Gesetzt die unmittelbare Entscheidung wäre zufällig recht, würde sie nun deshalb regelmäßig, gesetzmäßig sein? und wäre sie ungerecht, was kann ein König von einem durch Gesetze im Zaum gehaltenen Volke erwarten, wenn er selbst das Beispiel ihrer willkürlichen Verletzung giebt? Der scharfsinnige Montesquieu sagt in seinem Buche über den Geist der Gesetze:

‚in den despotischen Staaten darf der Fürst richten, nicht so in den monarchischen; sonst würde die Verfassung zerstört, die Form der gerichtlichen Entscheidung aufgehoben, die Gemüther aber mit bleichender Furcht erfüllt werden. Vertrauen, Ehre, Liebe und Sicherheit würden zugleich mit der Monarchie selbst fallen und verschwinden.‘“

So urtheilte, sprach und handelte das Kammergericht zu Berlin vor mehr als fünfzig Jahren unter dem Absolutismus, ohne Menschenscheu und Furcht vor der Ungnade der Könige und der Willkür der Minister. Damals galt noch in Preußen der alte, schöne, ehrenvolle Spruch: „Es giebt noch Richter in Berlin.“

Max Ring.




Blätter und Blüthen.


Verdienstvolle Deutsche in Amerika. Unter diesem Titel gedenken wir von Zeit zu Zeit kurze Mittheilungen über einzelne ausgezeichnete Männer zu geben, welche Deutschland der neuen Welt geliefert hat und deren Namen und Verdienste im alten Vaterlande viel zu wenig bekannt sind. Die Thaten eines Sigel, Schurz, Willich u. A. erscheinen in den Zeitungen und sprechen für sich selbst; die nicht minder bewunderungswerthen Leistungen Anderer in den verschiedensten Berufsgebieten laufen Gefahr, in Amerika vergessen zu werden, weil sie von Deutschen vollbracht wurden, und in Deutschland – weil sie von deutschen Amerikanern vollbracht wurden. Wahrlich, die Welt ist oft ungerecht gegen wahres Verdienst!

Welcher Deutsche drüben – und welcher Amerikaner hüben, außer ganz Wenigen, denkt wohl im Traume daran, daß seit Jahren die große Mehrzahl aller Leuchtthürme und Baken, welche die Schifffahrt in den Gewässern der Union erleichtern, die Schiffbrüche vermindern, zahlreiche Verluste an Menschenleben verhüten und das Gefühl der Sicherheit in der Brust Tausender erwecken, welche diesen gefährlichen Küsten entlang schwimmen, daß diese zahlreichen Leuchtthürme von zwei Deutschen erbaut sind und neue von ihnen immer noch erbaut werden? Es gehört keine gewöhnliche Sachkenntniß zu solchen Bauten, sondern in vielen Fällen ein Ingenieurtalent, ein Reichthum an geistigen Hülfsmitteln und eine Hartnäckigkeit in der Ueberwindung von Schwierigkeiten, wie alles dieses nur großen Erfindern eigen ist. Es gehören außerdem, wenn der Betreffende ein amerikanischer Deutscher ist, noch, ganz besondere Stärke des sittlichen Charakters und geschäftliche Gewandtheit dazu, um eingeborne Mitbewerber um solche Aufgaben auszustechen, die Verleumdungen Brodneidischer zu entwaffnen, die oft wunderlichen Vorurtheile der Aufsichtsbehörden gegen „europäische Neuerungen“ zu besiegen und bei alledem von dem Schandfleck der Corruption unberührt zu bleiben, der fast allen amtlichen Verhältnissen hier zu Lande anhängt. Solche Männer sind die Brüder Anton und Hugo Lederle, welche im Dienste der Vereinigten Staaten und unter specieller Aufsicht der dem Flotten-Departement untergeordneten „Leuchthaus-Behörde“ zu Washington den Neu- und Umbau, Verbesserung und Unterhaltung aller Leuchtthürme und Signalfeuer – der Erstere an den fünf großen Seen des Nordwestens, der Letztere am Hudsonflusse und an der atlantischen Küste von Maine bis Florida hinab besorgen.

Geborene Badenser und durch die Revolution von 1848 nach der Union verschlagen, haben sie ihre jetzige verantwortliche und bedeutende Stellung lediglich sich selbst zu verdanken, haben sich durch ruhige Beharrlichkeit und unübertroffene Tüchtigkeit und Biederkeit die Bahn zu Posten gebrochen, welche Fremdgebornen sonst fast unzugänglich sind, und vereinigen ein Jeder in seinen Händen mehr Verwaltungsgeschäfte, als man anderweit drei oder vier Fachgenossen anvertraut. Unablässig eilen sie auf den ihnen zu Gebote gestellten Dampfern Tausende von Meilen hin und her, die Verwaltung überwachend, die Einkäufe für so viele Stationen besorgend und vertheilend, Neubaupläne entwerfend und der Behörde unterbreitend und schließlich sie sammt allen neuen Verbesserungen im Leuchthauswesen prüfend und einführend. Und doch erscheint ihr Name in keinem amtlichen Berichte!!

Bekannter schon, wenn auch lange nicht nach Verdienst, ist der Name Röbling’s, eines Preußen, des Erbauers der Niagara-Hängebrücke, welche die New-Yorker Centralbahn mit der canadischen Great-Western-Bahn verbindet, eine der Hauptverkehrsadern zwischen dem großen Osten und dem großen Westen Amerika’s. Dieses Wunderwerk der Welt ist in Abbildungen und Beschreibungen auch in Europa längst sattsam bekannt, so daß wir einer ausführlicheren Schilderung überhoben sind. Allein wer, der es nicht mit eigenen Augen gesehen und immer wieder gesehen, ohne sich daran satt sehen zu können, ahnt das Großartige des hier in’s Werk gerichteten Unternehmens? Wenn man zuerst von oben die riesigen vier Taue, an welchen der ganze Bau aufgehängt und ausgespannt ist, die gewaltigen massiven Thürme, welche die Taue tragen, und die große Länge der Brücke sammt deren Tragfähigkeit angestaunt hat – wir haben sie schon in ihrer ganzen Länge von 1280 Fuß mit schweren Eisenbahnfrachtwagen und außerdem mit Tausenden von Menschen und Fuhrwerk aller Art (im unteren Stockwerke) bedeckt gesehen, ohne daß sie merklich nachgab – dann gönne man sich das Anschauen derselben von Weitem, von unten an der Wasserfläche, von allen Seiten, wo er wie ein feines Spinnengewebe erscheint, das hoch über einem schaurigen Abgrunde und einem schäumenden, meeresgleich bewegten Strudel in die Luft hingehängt ist! Welche Leichtigkeit, Zierlichkeit, Schönheit, welches Ebenmaß in allen Verhältnissen! Man wird zweifelhaft, ob man dem großen Naturwunder zwei Meilen oberhalb, das man mit demselben Blicke ganz überschauen kann, dem riesigen Wassersturze, oder dem kühnen Wunderbau von Menschenhand mehr Staunen schuldet. Und nun lasse man sich von einem deutschen an der Brücke Angestellten, der die ganze Geschichte des Baues mitgemacht hat, dieselbe erzählen, um das hier Geleistete ganz zu würdigen.

Es war hier von Anfang bis zu Ende Alles, aus einem Menschengehirne heraus zu schaffen; nichts als der rohe Kupferdraht war gegeben, der aus England bezogen werden mußte. Die sinnreichen Maschinen, um

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