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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

diesem wunderbaren Künstlerleben Anfang und Ende verknüpft. Zwischen jenem im Anfang dieser Blätter geschilderten Concert im landständischen Saal zu Wien und dem Heute liegen vier und vierzig Jahre. Wieder ist es ein Concert, gegeben von Franz Liszt, wieder sehen wir ihn am Flügel. Aber statt einer dichtgedrängten Menge ist es diesmal nur ein einziger Zuhörer, der den Tönen lauscht, ein Greisenantlitz, Pio Nono, der Papst von Rom. In einem Gemach des Vaticans spielt der Abbé Liszt vor dem Papst und die schwermüthigen Augen des Greises leuchten auf bei den Weisen, die jener ernste Mann im dunklen Priestergewande den Saiten entlockt. Ein ander Mal aber sehen wir die Beiden, wie auf unserm vortrefflichen Bilde, und hinter ihnen eine Schaar hoher Würdenträger der Kirche, darunter das kluge Gesicht des Cardinals Antonelli, durch die prachtvollen Kreuzgänge wandeln, welche sich an Roms Hauptkirche, die Kirche auf dem Laterane, schließen, jene Kirche, von deren Balcon der Papst dem versammelten Volk den Segen zu spenden pflegt. –

Nur einmal in meinem Leben ist es mir vergönnt gewesen, Franz Liszt zu sehen und zu hören; schon vor langer, langer Zeit, im Jahre 1842 zu Leipzig. Es war im Gewandhause, in jenem weltbekannten Concertsaale. Er spielte eine Beethoven’sche Sonate, seinen galop cromatique und seine Transcription des Schubert’schen Erlkönigs. Da lösten sich endlich „alle Bande frommer Scheu“, die sonst so besonnenen Leipziger wurden fast so erregt, wie das Publicum eines italienischen Theaters. Die begeisterte Jugend stand auf den Stühlen fast athemlos, mit glühenden Wangen, ungestüm klopfendem Herzen und leuchtenden Augen. Keine Bewegung, kein Ton ging uns verloren. Kein Blick seiner Augen streifte uns, er hatte zu viel zu thun mit jenen enthusiastischen, älteren, erwachsenen Damen, die muthiger als Andere zu ihm auf das Orchester kletterten und von dem Lorbeerkranz, den man ihm um das Notenpult gewunden, Blatt um Blatt abrissen. Ich glaube, man theilte sich auch in einen seiner Handschuhe, der vergessen auf dem Flügel lag. Friedlich war aber diese „Theilung der Erde“ nicht, und Mancher kam zu spät, nicht nur „der Poet“.

Als ich später Liszt’s wunderschönes Gedenkbuch Chopin’s las und mir die Thränen auf gar manches Blatt niederfielen, hörte ich dazwischen immer wie aus weiter Ferne die Prestissimo gespielten Octaven der Begleitung des Erlkönigs und das Sturmsausen der Melodie und sah den schlanken, bleichen Mann, wie er mit einer unnachahmlich stolzen Bewegung das Haar von der Stirn zurückwarf.

Und, so sehe ich ihn noch oft – nicht Franz Liszt, den ernsten Priester, nur Franz Liszt, den unvergleichlichen Künstler.





Eine unheimliche Schönheit.
Von Hermann Dorner.


Auch wenn unter den Schlangen keine wäre, die, mit dem todbringenden Gifte versehen, uns ein ernstliches Leid zufügen könnte, wir würden dennoch stets mit einem natürlichen Widerwillen an sie herantreten. Die Schlangen sind häßliche Thiere! Mögen sie noch so lebhafte Farben aufweisen, mag ihr Leib in noch so eleganten Windungen sich schlingen: der pyhsiognomische Ausdruck oder das Gesicht der Schlangen ist unheimlich, widrig und boshaft. Man denke sich diesen Gesichtsausdruck bei einem Menschen – wie würde man zurückbeben vor dem Blick voll Arglist und Falschheit, vor der platten, kraftlosen Stirn, dem breiten, lippenlosen Maule! Und nicht blos die Häßlichkeit des Thieres, sondern auch das Widerspruchsvolle in seinem Bau, die auffällige Lebensweise, das fremdartig Eigenthümliche desselben gegenüber anderen Thieren ist es, was jede Annäherung, jedes Vertrautsein mit ihnen erst als eine Frucht vernunftstarker Ueberlegung oder forscherlichen Strebens bei uns aufkommen läßt. Das natürliche Gefühl entfernt uns von ihnen; der Naturmensch flieht oder tödtet alle Schlangen, wo er sie findet.

Sind doch selbst unter den Forschern die Meinungen über Schonung oder Vertilgung giftloser Schlangen sehr getheilt; während z. B. der vortreffliche Lenz es den Regierungen an’s Herz legt, Preise für die Tödtung derselben auszusetzen, während Brehm Jedem den Rath giebt, nur immer todtzuschlagen, wird von anderer Seite hervorgehoben, daß die Unkenntniß der Schlangen ein trauriges Zeichen für die naturwissenschaftliche Bildung des Volkes sei; daß man energisch dahin zu wirken habe, daß diese Unkenntniß aufhöre, und daß alle giftlosen Schlangen wegen ihrer in Fröschen, Mäusen etc. bestehenden Nahrung der größten Schonung anzuempfehlen seien.

Lenz begründet seinen Wunsch, sämmtliche Schlangen von unserm heimathlichen Boden entfernt zu sehen, mit der Behauptung, daß „auch sie schädlich sind, denn bei dem allgemeinen Abscheu, den man vor allen Schlangen hat, verbittern auch sie vielen Menschen das Leben, indem sie sich uneingeladen in seiner Nähe ansiedeln oder ihn, wenn er irgendwo unversehens auf sie stößt, heftig erschrecken“. Wollte man aber diesem Grunde nachgeben, so müßte man folgerichtiger Weise auch gegen Eulen, Käuze und noch manche andere entschieden nützliche Thiere zum Vertilgungskampf aufrufen, was Lenz selber als argen Mißgriff kennzeichnet. Eher können wir uns Brehm’s Wunsche anschließen, daß Jeder alle Schlangen, welche er nicht kennt, todtschlagen möge, weil auf diese Weise auch manche Kreuzotter ihren wohlverdienten Lohn findet; dann aber wollen wir auch nach Kräften dafür sorgen, daß der Zweifel über giftig und nicht giftig so viel wie möglich schwinde. Und dieser Zweifel ist mit der Kenntniß eines deutlichen Merkmals, welches die einzige deutsche Giftschlange kennzeichnet, gehoben: die Kreuzotter trägt über den ganzen Rücken einen breiten Zickzackstreifen und ist nie größer als zwei und einen halben Fuß.

Wir behaupteten, daß Bau und Wesen der Schlangen voller Widersprüche sei. Zum Beleg brauchen wir nur äußere und innere Organisation derselben vergleichend zu betrachten. Außen ein Wurm, innen ein hoch entwickeltes Wirbelthier mit allen Eigenthümlichkeiten des letzteren. Es fehlen der Schlange alle äußeren Bewegungswerkzeuge, sie ist ein unbeholfenes Thier, dem träge Ruhe der einzige Genuß ist, das nur unmittelbar erregt von der Außenwelt sich zu heftigen, zuckenden Bewegungen aufrafft. Das kaum bewegliche, durch den Mangel der Augenlider zum steten Starren verdammte Auge blickt uns mit fremdartigem, mannigfach wechselndem Ausdruck an; es liegt besonders im Blick der Kreuzotter etwas unwiderstehlich Fesselndes, etwas Räthselhaftes, das nicht im Einklang mit der ganzen äußern Erscheinung des Thieres zu stehen scheint. Dieser Blick ist es, was ihr seit alter Zeit in der Meinung des Volkes zu der sprüchwörtlichen Klugheit verholfen hat, denn die geistigen Eigenschaften der Schlangen deuten auf das directe Gegentheil, auf die größte Stumpfheit. Es ist das Widerspruchsvolle ihres ganzen Daseins, was ihr einen so hervorragenden Platz in der Symbolik, den Märchen und Sagen, dem Aberglauben, dem mystisch Religiösen gegeben hat. Unser nüchtern gescholtenes Zeitalter aber will, frei von Vorurtheilen, die Wahrheit an Stelle des wenn auch schönen Scheins setzen und die Schlange im Lichte realistischer Forschung betrachten.

Auch dann noch bietet sie des Interessanten und Abenteuerlichen genug. Kein anderes Wirbelthier bereitet in besonderen Organen tödtliches Gift. Nur in entsetzlicher Krankheit werden die Säfte einiger Säugethiere vom schrecklichen Wuthgift durchdrungen, aber die Schlange trägt den unheimlichen Krankheitsstoff ihr ganzes Leben hindurch, ist selbst eine permanent gewordene Krankheit in der Entwicklungsreihe der Thierwelt. Bei der Kreuzotter liegen zu beiden Seiten des Hinterkopfes, kurz hinter den Augen und theilweis von den Schläfenmuskeln bedeckt, die Giftdrüsen, deren Ausführungsgang an die Giftzähne tritt. Nicht eine schlauchförmige Blase, sondern eine aus kleinen Canälen bestehende Drüse, ähnlich den Speicheldrüsen, ist es, welche das Gift abscheidet und bewahrt. Ein feiner Canal leitet die unheilvolle Flüssigkeit unter den Augen hin zum Oberkiefer, wo derselbe nahe der Oeffnung des sichelförmigen Zahns ausmündet. Der Giftzahn selbst ist am vordersten Theile des beweglichen Oberkiefers festgewachsen, ist an seiner untern Hälfte etwas nach hinten gebogen und hat bei erwachsenen Schlangen die Größe von einem Neuntel

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 155. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_155.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)