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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

begegnet. Sie hatte sehr verweint ausgesehen und war augenscheinlich im Moment außer Stande gewesen, zu sprechen, denn sie hatte ihm nur einen Gruß zugenickt und war rasch weiter gegangen. Diese Nachricht ließ Elisabeth keine Ruhe; um keinen Preis hätte sie mit ihrem Besuch bei der Gouvernante bis nach Beendigung der Stunde warten können; denn das arme, einsame Wesen brauchte sicher Trost und ein Herz, an dem es sich ausweinen konnte.

Jenseits der großen Wiese, die an den Saum des Waldes stieß, lag ein allerliebster Pavillon. Ein dunkles Gebüsch umschloß den zierlichen Bau von drei Seiten und ließ die helle Fronte um so leuchtender hervortreten. Das kleine Haus hatte bisher verschlossen gestanden; die Läden waren jedoch meist zurückgeschlagen, und durch den Spalt, den ein verschobenes Rouleau bildete, hatte Elisabeth gesehen, daß der innere Raum sehr elegant eingerichtet war. Als sie heute aus dem Walde trat, sah sie sogleich, daß die Thüren des Pavillons offen standen. Ein Bedienter mit einem leeren Präsentirteller trat heraus und winkte ihr, hinüber zu kommen. Beim Näherschreiten erkannte sie bald Fräulein von Walde, die Baronin und Hollfeld, die den Kaffee tranken in dem einzigen Zimmer, aus welchem der Pavillon bestand.

„Sie kommen heute ein wenig zu früh, liebes Kind!“ sagte Helene, als das junge Mädchen über die Schwelle trat.

Elisabeth sagte ihr, daß sie Miß Mertens zuvor einen Besuch machen wolle.

„Ach, lassen Sie das heute!“ rief Helene lebhaft, aber sehr verlegen, während die Baronin mit einem unbeschreiblich malitiösen Lächeln von ihrer Häkelarbeit aufsah. „Wissen Sie, daß diesen Morgen ein großes Packet neuer Musikalien aus Leipzig angekommen ist?“ fuhr Fräulein von Walde fort. „Ich habe sie schon ein wenig durchgestöbert, meist prächtige Sachen. Vielleicht finden wir noch eine brillante Pièce für unser Concert… Setzen Sie sich; wir gehen dann zusammen in’s Schloß.“

Sie bot Elisabeth ein Körbchen mit Kuchen und legte ihr eine schöne Birne auf den Teller.

Herr von Walde’s Hund sprang in diesem Augenblick über die Schwelle. Sofort richteten sich beide Damen aus ihrer bisherigen Stellung auf. Helene blickte gespannt nach der Thür und gab sich offenbar die größte Mühe, so freundlich und harmlos wie möglich auszusehen. Die Baronin aber warf ihre Arbeit in den Korb; sie untersuchte die silberne Kaffeekanne, ob sie noch heiß sei, stellte eine Tasse nebst Zuckerschale zurecht und zog einen Stuhl aus der Ecke an den Tisch. Das impertinente Lächeln war verschwunden, dafür lagerte sich ein gewisser Ernst auf ihre Stirn, und die ganze Erscheinung präparirte sich, einen würdevollen und imposanten Eindruck zu machen. Hollfeld eilte beim Erblicken des Hundes sogleich hinaus in den Garten und trat nach wenigen Minuten mit Herrn von Walde wieder ein, der, wie es schien, von einem Ausflug zurückkam, denn er trug einen staubgrauen Ueberzieher und einen runden Filzhut.

„Wir haben schon gefürchtet, lieber Rudolph,“ rief Helene ihm entgegen, während sie sich erhob und ihm die Hand hinreichte, „Dich für heute ganz entbehren zu müssen.“

„Ich fand in L. mehr Geschäfte vor, als ich erwartet hatte,“ erwiderte er und setzte sich nicht auf den ihm gebotenen Stuhl, sondern neben seine Schwester auf das Sopha, wodurch Elisabeth gezwungen wurde, sobald sie die Augen erhob, ihm in das Gesicht zu sehen, denn er saß ihr gerade gegenüber. „Uebrigens,“ fuhr er fort, „bin ich schon seit einer halben Stunde wieder zurück; allein Reinhard hatte mir eine Privatangelegenheit mitzutheilen und verlangte eine sofortige Entscheidung von mir … deshalb wäre ich beinahe um das Vergnügen gekommen, den Kaffee bei Dir zu trinken, liebe Helene.“

„Der böse Reinhard,“ schmollte Fräulein von Walde, „er hätte auch ein wenig warten können, die Welt würde ja wohl nicht gleich aus den Fugen gegangen sein.“

„Ach, liebes Kind,“ seufzte die Baronin, „das sind Dinge, die wir nie ändern werden … Wir sind eben für unser ganzes Leben verurtheilt, die Sclaven unserer Untergebenen zu sein.“

Herr von Walde wendete ruhig seinen Kopf nach ihr und ließ seinen Blick langsam über ihre ganze Gestalt gleiten.

„Nun, weshalb fixirst Du mich so angelegentlich, lieber Rudolph?“ fragte die Baronin nicht ohne einen Anflug von Verlegenheit.

„Ich wollte mich nur überzeugen, ob Du in der That geeignet seiest, eine jener traurigen Rollen in Onkel Tom’s Hütte durchzuführen.“

„Stets Spott, wo ich Theilnahme suche,“ entgegnete die Dame, indem sie sich bemühte, ihrer spröden Stimme einen weichen, trauervollen Klang zu geben. „Ich könnte es nun nachgerade wissen; allein …“ sie seufzte abermals. „Nicht Jeder hat übrigens Deinen beneidenswerthen Gleichmuth, der die kleinen Bitterkeiten und nothwendigen Uebel des Lebens an sich vorübergleiten läßt… Wir armen Frauen haben leider unsere unseligen Nerven, die uns jede Gemüthserschütterung doppelt fühlbar machen. … Hättest Du mich heute Morgen gesehen, in welch’ trostlosem Zustand ich war –“

„So?“

„Ich habe einen furchtbaren Aerger gehabt… Nun, diese Miß Mertens wird es dereinst verantworten müssen!“

„Hat sie Dich beleidigt?“

„Welcher Ausdruck, liebster Rudolph! Wie könnte mich diese Person in ihrer Stellung beleidigen! … Erzürnt, auf das Aeußerste erbittert hat sie mich!“

„Nun, ich sehe mit großer Befriedigung, daß Du Dich nicht so leicht unter das Sclavenjoch beugen wirst.“

„Ich habe in der letzten Zeit unsäglich viel mit dieser albernen Person zu ertragen gehabt,“ fuhr die Baronin fort, ohne den Einwurf ihres Cousins zu beachten. „Heute Morgen nun höre ich, wie diese einfältige Mertens dem Kinde sagt, der innere Adel stehe weit über dem Adel der Geburt – als ob das zu trennen sei – sie stelle den Bettler, der ein reines Herz habe, höher als ein gekröntes Haupt, das sündige, und dergleichen mehr… Wenn ich Dir nun sage, daß Bella dereinst – so es im Rathschluß des Herrn liegt – am Hofe leben wird – ich habe eine Hofdamenstelle in B. so gut wie in der Tasche für sie – dann wirst Du begreifen, daß ich die Lehren der allzu freien Gouvernante unterbrach… Das mußt Du mir doch zugeben, lieber Rudolph, daß Bella mit solchen Ansichten bei Hofe eine klägliche Rolle spielen und sich sehr bald unmöglich machen müßte.“

„Dagegen läßt sich nichts einwenden.“

„Nun, Gott sei Dank!“ rief die Baronin aufathmend. „Ich war wirklich ein wenig in Sorge, wie Du die Entlassung der Miß Mertens, die Du wirklich weit über ihr Verdienst geschätzt hast, aufnehmen würdest… Die Person wurde dermaßen impertinent, als ich ihren Vortrag unterbrach, daß mir nichts Anderes übrig blieb, als sie fortzuschicken.“

„Ich habe ganz und gar kein Recht, Dir Vorschriften in Bezug auf Deine Leute zu machen,“ entgegnete Herr von Walde kalt.

„Aber ich suche mich darin so viel wie möglich Deinen Wünschen unterzuordnen, bester Rudolph… Ich kann Dir übrigens nicht sagen, wie froh ich bin, daß ich dies unausstehliche englische Gesicht nicht mehr zu sehen brauche.“

„Es thut mir leid, aber ganz umgehen wirst Du das doch nicht können, da sie mit Dir hier in Lindhof stets unter einem Dache sein wird; denn Reinhard, mein Secretär, hat sich vor einer halben Stunde mit ihr verlobt.“

Die Arbeit entsank den Händen der Baronin. Diesmal erschienen nicht nur die bekannten Flecken in vergrößerter Gestalt, sondern auch die Stirn war in eine dunkle Röthe getaucht.

„Hat denn der Mensch seinen Verstand verloren?“ rief sie endlich, aus ihrer Erstarrung erwachend.

„Ich glaube nicht; denn er hat ihn ja eben bewiesen,“ entgegnete Herr von Walde gelassen.

„Nun, das muß ich sagen, er zeigt sich auch hier als Alterthümler! … Welch’ eine jugendliche, blühend schöne Braut!“ rief die Dame höhnisch und wollte sich todt lachen. Hollfeld stimmte ein in das Gelächter und gab somit das erste Zeichen, daß er Theil nehme an dem Gespräch. Helene warf ihm einen trüben Blick zu, Elisabeth aber schnitt dieses Lachen tief in die Seels, und sie fühlte etwas wie Zorn in sich aufwallen.

„Nun, ich hoffe,“ nahm die Baronin wieder das Wort, „Du wirst mir nicht zumuthen, lieber Cousin –“

„Was denn?“

„Daß ich mit dieser Person noch länger zusammen sein soll.“

„Zwingen kann ich Dich freilich nicht, Amalie, so wenig es in meiner Macht steht, meinem Secretär das Heirathen zu verbieten.“

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