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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

so daß die Bohnen nach allen Seiten hin auf das Pflaster flogen, und ging in das Haus. Man hörte durch das offene Fenster, wie sie droben in ihrer Stube die Thür zuschlug und den Riegel vorschob.

Elisabeth war stumm vor Ueberraschung, aber auch vor Schmerz. Sie wäre der Unglücklichen so gern näher getreten, doch jetzt sah sie, daß sie jeden Gedanken daran aufgeben mußte.

Seit einer Woche ging sie täglich hinunter in’s Schloß. Fräulein von Walde hatte sich merkwürdig schnell erholt, seit jenem Nachmittag, wo sie, wie die Baronin zärtlich betonte, Heilung in dem von ihr eigenhändig bereiteten Kaffee gefunden hatte und wo Herr von Hollfeld angekommen war. Sie übte aus allen Kräften einige vierhändige Musikstücke und vertraute Elisabeth endlich an, daß in die letzten Tage des August das Geburtsfest ihres Bruders falle; sie wolle dasselbe diesmal ganz besonders verherrlichen, weil sie mit ihm zugleich die glückliche Rückkehr des Vielgereisten zu feiern gedenke. An diesem Tage sollte er sie zum ersten Male nach langer Zeit wieder spielen hören; sie wußte, daß sie ihn damit freudig überraschen würde.

Elisabeth sah diesen Uebungsstunden stets mit einem Gemisch von Freude, Angst und Widerwillen entgegen … Sie wußte selbst nicht warum, aber Schloß und Park waren ihr plötzlich lieb und vertraut geworden; ja, sie fühlte sogar für jene Bank, auf der sie mit Herrn von Walde gesessen hatte, eine Art zärtlicher Zuneigung wie für einen alten Freund, so daß sie stets, um an derselben vorüberzukommen, einen kleinen Umweg machte … Angst und Widerwillen dagegen flößte ihr Herrn von Hollfeld’s Benehmen ein. Nachdem sie einigemal seine Versuche, ihr in den Weg zu treten, durch schleuniges Ausweichen vereitelt hatte, kam er eines Nachmittags ohne Weiteres auf Fräulein von Walde’s Zimmer und bat um die Erlaubniß, der Stunde beiwohnen zu dürfen. Zu Elisabeth’s Schrecken versicherte ihm Helene mit freudestrahlenden Augen, sie heiße ihn doppelt willkommen als einen Bekehrten, der ja früher der Musik keinen Geschmack habe abgewinnen können … Er erschien nun beharrlich jedesmal, legte stillschweigend bei seinem Kommen einige frischgepflückte Blumen vor Helene auf das Clavier nieder, in Folge dessen sie consequent verschiedene falsche Accorde griff, und setzte sich in eine Fensterecke, von wo aus er den Spielenden gerade in das Gesicht sehen konnte. Er hielt, so lange musicirt wurde, die Hand über die Augen, als wolle er sich gänzlich den Eindrücken der Außenwelt entziehen, um im Reich der Töne zu versinken. Elisabeth bemerkte jedoch sehr bald zu ihrem Verdruß, daß er sein Gesicht nur so weit bedecke, als es von Helene gesehen werden konnte; hinter der vorgehaltenen Hand starrte er unausgesetzt zu ihr selbst hinüber und verfolgte jede ihrer Bewegungen. Sie erbebte unter diesen Augen, die, sonst so nichtssagend und leer, ihr gegenüber stets in einem eigenthümlichen Feuer aufglühten, so daß sie oft die größte Selbstbeherrschung nöthig hatte, um unbeirrt weiter zu spielen.

Helene hatte augenscheinlich keine Ahnung von der Hinterlist, mit welcher Hollfeld seinen Zweck zu erreichen suchte. Sie machte öftere Pausen und unterhielt sich lebhaft mit ihm, d. h. sie sprach dann fast immer allein und meist sehr hübsch. Jede seiner einsilbigen Antworten, so banal und gewöhnlich wie sie waren, nahm sie auf wie eine Gunst, wie einen Orakelspruch, dessen Sinn man stets tiefer zu suchen habe.

Wenige Minuten vor dem Schluß der Stunden entfernte er sich stets. Gleich das erste Mal jedoch hatte ihn Elisabeth beim Nachhausegehen bemerkt, und zwar durch eines der Corridorfenster im ersten Stock, von wo aus man einen bedeutenden Theil des Parkes überblicken konnte, wie er wartend vor dem Waldweg auf und ab ging, den sie passiren mußte. Sie durchkreuzte seinen Plan, nicht ohne heimliches Lachen, indem sie Miß Mertens besuchte und sich über eine Stunde bei ihr aufhielt. Dort wurde sie stets mit offenen Armen aufgenommen und gewann die Gouvernante allmählich so lieb, daß sie zuletzt gar nicht mehr an deren Thür vorbeigehen mochte, ohne auf ein Plauderstündchen einzukehren.

Miß Mertens war meist traurig und niedergeschlagen. Sie fühlte, daß ihr Bleiben in Lindhof immer unmöglicher wurde. Die Baronin, ihrer Herrschermacht und der damit verknüpften Thätigkeit plötzlich enthoben, langweilte sich jetzt öfter bis zum Sterben. Ihren Verwandten gegenüber mußte sie die Maske der Harmlosigkeit und Zufriedenheit vornehmen, was ihr wohl herzlich sauer werden mochte, sie war also gezwungen, ihre üble Laune hinter den verschlossenen Thüren ihres Appartements zu lassen, dort aber wurde sie nachgerade unerträglich; nicht für Bella, denn dem Kind gegenüber, in welchem sie bereits mehr die geborene Baronesse, als ihre Tochter sah, ließ sich die Dame nie zu Ausschreitungen hinreißen; vor ihrer alten Kammerfrau aber hatte sie, man wußte nicht warum, „einen heillosen Respect“, wie der Hausverwalter Lorenz sich ausdrückte, und der niederen Dienerschaft durfte sie nicht zu nahe treten, ohne den Herrn des Hauses herauszufordern; mithin wurde all’ der verbissene Groll gegen die unglückliche, wehrlose Gouvernante geschleudert.

Gar oft sagte diese unter Thränen, nur die Liebe zu ihrer alten, alleinstehenden Mutter bewege sie immer wieder, diesen Martern sich zu unterwerfen. Die alte Frau lebe fast nur von dem, was ihr die Tochter schicke, deshalb sei sie gezwungen, ein öfteres Wechseln der Stellung, der pecuniären Verluste wegen, zu vermeiden… So betrübt sie nun aber auch meist war, ihre sanften Züge hellten sich ganz gewiß auf, wenn Elisabeth den Kopf durch die Thür steckte und mit ihrer fröhlich frischen Stimme hereinrief, ob sie kommen dürfe. Mit dem Eintritt des jungen Mädchens flohen die Bekümmernisse und Sorgen, und wenn sie auf dem kleinen Sopha am Fenster dicht nebeneinander saßen, so fand ein Gedankenaustausch zwischen den Beiden statt, bei dem die Gouvernante sich in die eigene Jugend zurückversetzt fühlte und Elisabeth manchen Schatz hob aus den reichen Kenntnissen und Lebenserfahrungen der älteren Freundin.

Diese kleinen Nachmittagsbesuche hatten aber auch noch einen geheimen Reiz für das junge Mädchen, den sie sich aber um Alles in der Welt nicht eingestand, obgleich sie infolge desselben schon vor der Thür ein starkes Herzklopfen zu bekämpfen hatte und ein unerklärliches Gemisch von Freude und Bangen empfand.

Die Fenster von Miß Mertens’ Wohnung sahen in einen großen Hofraum, den Elisabeth den Klostergarten zu nennen pflegte; denn er lag so still und abgeschieden zwischen den vier hohen Mauern. Einige breitästige Linden warfen eine grüne Dämmerung auf die saftigen Rasenplätze, die nur hie und da ein gepflasterter Weg durchschnitt. Inmitten des Hofes befand sich ein Brunnen, der das Haus mit einem köstlichen Wasser versorgte; auf dem Rande des mächtigen Bassins ruhten die weißen Glieder einiger Sandsteinfiguren, umhaucht von dem grünen Licht der Wipfel droben. Wenn draußen auf den Boskets und Kieswegen die Nachmittagssonne glühend und träge lastete wie flüssiges Blei, dann wehte hier unter den Bäumen eine erfrischende Kühle. Eine Thür im Erdgeschoß, die unmittelbar aus dem Arbeitscabinet des Herrn von Walde in den Hof führte, stand deshalb auch meist offen. Er selbst trat dann und wann heraus und schritt mit gekreuzten Armen auf und ab… Welcher Gedankenstrom mochte dann wohl hinter der schönen, bleichen Stirn fluthen, wenn er, eine Zeitlang gesenkten Hauptes dahinwandelnd, plötzlich sich aufrichtete, wie aus einem lieblichen Traume aufgeschreckt? Miß Mertens sagte öfter, sie finde, daß er sehr verändert zurückgekehrt sei.

Vor seiner Reise, erzählte Miß Mertens, sei ihr Herr von Walde’s Gesicht vorgekommen wie das einer Statue, so ernst und unbewegt, und obgleich sie schon damals erkannt habe, daß er ein durchaus edler Mensch sein müsse, sei sie doch stets in seiner Nähe von einer Eiseskälte überschlichen worden. Jetzt käme es ihr vor, als habe eine lebenerweckende Hand über seine Erscheinung hingestreift; selbst sein Gang sei elastischer und rascher geworden, und sie wolle darauf schwören, daß bei seinen einsamen Wanderungen durch den Hof öfter ein Lächeln über seine Züge gleite, als tauche irgend ein Wesen vor ihm auf, dessen Anschauen ihn glücklich mache. Bei dieser Bemerkung lächelte Miß Mertens selbst und meinte geheimnißvoll, er habe auf alle Fälle sehr angenehme Erinnerungen mit heimgebracht, und sie könne die stille Ahnung nicht unterdrücken, als müsse binnen Kurzem Alles anders werden in Lindhof. Sie sah aber nie, daß ihre junge Freundin bei dieser Schlußfolgerung stets mit der Hand nach dem Herzen griff, und diese selbst bemerkte es noch viel weniger, denn der schmerzliche Stich, der schneidend ihr Inneres durchdrang, ließ sie ganz und gar vergessen, ihre äußeren Bewegungen zu beherrschen.

Heute hatte Elisabeth ihre Wanderung in’s Thal eine halbe Stunde früher angetreten. Der Vater war nämlich Mittags, als er aus dem Forsthause zurückkehrte, Miß Mertens im Walde

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 146. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_146.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)