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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

sind und Sie umsponnen haben mit ihren Räthseln und Geheimnissen.

Herder ist vollständig besänftigt, beruhigt und versöhnt.“

Nachdem die Dame diesen Brief an den Grafen Wilhelm zu Schaumburg adressirt und auf den Tisch gelegt, ließ sie sich von ihrem Mädchen Shawl, Hut und Fächer reichen und sich von Herder aus dem Schlosse führen. Es war leicht, dies ungesehen zu verlassen; die wenigen Diener, welche darin zurückgeblieben, waren im Innern, in den einzelnen Zimmern mit ihren Arbeiten beschäftigt.

Die lebhafte und anziehende Unterhaltung, welche die Prinzessin mit ihm führte, ließ Herdern den Weg nach dem Badeorte nur zu kurz erscheinen. Als man im Angesichte desselben angekommen war, beurlaubte sie ihn. Auf seine Bitte, ihr am andern Tage aufwarten zu dürfen, entgegnete sie, sie werde noch am heutigen Nachmittage abreisen.

„Werden Sie mich dabei zur Ueberbringerin eines Briefes an Ihre Braut machen?“ fragte sie zugleich, ihn ernst ansehend.

„Ich werde noch heute durch die Post an sie schreiben,“ versetzte er leicht erröthend.

Mit freundlichem Lächeln reichte sie ihm die Hand und wandte sich ab, um jetzt, von ihrem Mädchen allein geleitet, ihre Wohnung aufzusuchen.

Herder schlug den Weg nach seinem Wohnort ein. Er war dabei bald in sehr ernste Gedanken versunken.

Er war freilich überzeugt, daß seine Braut völlig unschuldig an dem sei, was ihn so furchtbar empört hatte, so lange er an ihre Mitwirkung dabei geglaubt. Er war auch dem Grafen versöhnt; alle Schuld trug ja diese bezaubernde Prinzessin, von der als einem Engel von Güte Caroline ihm oft geschrieben und deren persönlicher Liebenswürdigkeit sein Zorn nicht hatte widerstehen können. Aber das Ergebniß des ganzen Abenteuers war für ihn die Erfahrung, daß sein Verhältniß zu seiner Braut Gegenstand längerer Erörterung und Besprechung zwischen diesen Frauen und dem Grafen Wilhelm gewesen sein mußte, vielleicht der Besprechung bei vielen Personen noch außer diesen, und bei diesem Gerede, diesen Erörterungen, so viel war ebenfalls klar, ward auf ihn nicht das vortheilhaftere Licht geworfen. Wie viel Kränkendes, wie viel Verleumdendes mochte da schon von vorschnell und giftig urtheilenden Zungen gesprochen sein! Es war hohe Zeit, dem Allen ein Ende zu machen!

Als Herder heimgekommen, setzte er sich sofort nieder, um an Caroline Flachsland zu schreiben. Er sagte ihr, daß sie ihn in der kürzesten Zeit erwarten könne, daß er kommen werde, um die Schritte zu thun, welche nöthig, ihr Schicksal auf immer mit dem seinen zu vereinigen.

Im Frühjahre 1773 führte er seine Braut in seine stille Pfarrwohnung in Bückeburg heim.

Am Nachmittage jenes Tages aber trat der Rittmeister Baron Fauriel sehr bewegt, in hohem Grade aufgeregt in das kleine Wohnzimmer, welches Fräulein Antonie Sponheim sich während der Dauer ihrer Badecur in einem der einsamst gelegenen Häuser des Bades Eilsen gemiethet hatte. Er fand sie ruhig lesend am Fenster sitzen.

„Antonie,“ rief er eifrig aus, als er kaum die Schwelle überschritten, „welche Begebenheiten sind das! wie ist Ihnen das möglich geworden! der Graf hat mir heute auf der Jagd gesagt: ‚Ich willige in Ihren Wunsch, gehen Sie noch heute zu Ihrer Braut, es ihr anzukündigen‘, und als ich ihm danken wollte für diese rasche Sinnesänderung, hat er mich abgewiesen mit den Worten: ‚Ach, danken Sie mir nicht, aber fragen Sie nicht, gehen Sie.‘ .… Wie haben Sie das zu Stande gebracht!?“

„Ganz einfach,“ antwortete sie lächelnd, „wie ich es Ihnen sagte, durch meine Kunst, als Schauspielerin; ich habe ein paar Rollen gespielt! Es ist nur schade, daß Sie mich nicht darin sehen konnten, in diesen Rollen, aber ich denke, der Erfolg meines Spiels reicht hin, Sie zu überzeugen, daß ich’s gut gemacht habe und daß ich weiter nichts bin, als wofür ich mich gebe – eine Schauspielerin. Willst Du mich nun auch noch als solche, mein Freund?“

Der Officier zog sie an seine Brust und drückte sie freudig an sein Herz, dann aber fuhr er fort:

„Das ist jedoch noch nicht Alles! Als wir von der Jagd zurückgekommen, war der Graf kaum einige Minuten in die Arnsburg getreten, als ein Diener herbeigestürzt kam, der mich augenblicklich zu ihm beschied. Der Diener führte mich in ein kleines Entresolzimmer, eines der Fremdenzimmer; dort stand der Graf, einen Brief in der Hand, offenbar in hohem Grade betroffen, zornig, erregt. Er rief mir entgegen: ‚Lassen Sie sich ein Pferd satteln, Baron, und sprengen Sie augenblicklich nach Eilsen. Gehen Sie zu Ihrer Braut, fragen Sie dieselbe nach der Prinzessin Sidonie von Birkenfeld … ich will wissen, wo sie ist, augenblicklich, Ihre Braut muß Kunde davon haben, eilen Sie!‘“

„Sagen Sie dem Grafen,“ versetzte Antonie, „die Prinzessin, meine hohe Gönnerin, weile, so viel ich wisse, an ihrem gewöhnlichen Aufenthaltsorte Darmstadt …“

„Aber weshalb setzt denn der Graf voraus, daß sie hier ist, daß Sie darum wissen, Antonie, Sie haben doch nicht am Ende …“

„Die Prinzessin gespielt? Ja, mein Freund, ich war so kühn! In Ihrem Mitleid mit dem leidenden Herzen der Freundin hatte die Prinzessin einen Plan ersonnen, den die Freundin auszuführen sich weigerte; ich übernahm ihn und in meinem Mitleid mit dem leidenden Herzen der Prinzessin setzte ich dem kleinen moralischen Lustspiel einen zweiten Act zu, worin noch Herder und Caroline, Graf Wilhelm von Schaumburg und Prinzessin Sidonie auftraten …“

„Um Gotteswillen,“ rief der Rittmeister erschrocken aus, „wenn das der Graf erfährt …“

„So muß er sich sagen, daß er selbst Regisseur des Stückes war, und darf nicht klagen, daß der Vorhang nicht eher fiel, oder besser, die Darstellerin der Hauptrolle nicht eher hinter den Coulissen verschwand, als bis das Stück zu Ende war. Und zu Ende ist es, kehren Sie zu Ihrem Gebieter zurück und sagen Sie ihm, von Prinzessin Sidonie wisse ich nichts, aber ich sei sehr glücklich durch seine Huld und sehe mit freudiger Spannung der Stunde entgegen, wo Seine Erlaucht sich die Gemahlin hochihres Rittmeisters Baron Fauriel werde vorstellen lassen. Er wird dann ein schüchternes, unter Theaterschminke verblühtes, überall gegen die Hofsitte verstoßendes Wesen an mir finden, das ihn nicht im Geringsten an Prinzessin Sidonie erinnern soll!“

Antonie lachte hell und fröhlich auf bei diesem Gedanken, während sie in das ein wenig verdutzte Mienenspiel ihres Geliebten blickte.

„Ich sehe,“ sagte sie, ihren Arm um seinen Nacken schlingend, „die Angst erfaßt Sie vor einem solchen Chamäleon von Mädchen, vor einem solchen rollenwechselnden Geschöpf; seien Sie ruhig, Geliebter, für Sie werde ich immer nur die eine Rolle des treuesten Weibes spielen.“

„Auch als Rolle?“ fragte der Rittmeister neckend.

„Nein, nein, keine auswendig gelernte Rolle, sondern mehr als Heldin der italienischen Komödie, die nur spricht, was Kopf und Herz im Augenblicke eingeben.“

„Also doch immer Komödie!“ rief der Rittmeister lächelnd aus.

„Ja, Freund, eine Komödie ist nun einmal das Leben. Seien Sie zufrieden, wenn es für Sie nie zum Trauerspiel wird! Und nun eilen Sie zu Sr. Erlaucht zurück, der ungeduldig Ihrer harren wird!“

Das that die Erlaucht in der That, und ihre Ungeduld steigerte sich zu zornigem Verdruß, als sie den Bericht des Rittmeisters vernommen, daß Demoiselle Sponheim nichts von der Prinzessin wisse, daß diese nicht in Eilsen sein könne. Er kam jetzt auf den Gedanken, daß Demoiselle Flachsland es gewesen, welche ihn mystificirt habe, und um es zu ergründen, um sich zu überzeugen, ob er Prinzessin Sidonie gesehen oder eine Andere, ließ er sofort Postpferde bestellen und reiste am andern Morgen nach Darmstadt ab.

Er kam nach acht Tagen zurück, wie er gegangen, unverlobt … er muß die wirkliche Prinzessin Sidonie nicht ganz der Vorstellung entsprechend gefunden haben, welche ihr persisch-mythisches Urbild in ihm erweckt hatte. Der Graf ist als Wittwer gestorben. Man weiß nicht, ob er je den Zusammenhang der Dinge erfahren; vielleicht hat Prinzessin Sidonie diesen Zusammenhang errathen und den Seelenfreund eingeweiht, denn so viel ist gewiß, Seine Erlaucht haben nie geruht, den Rittmeister Baron Fauriel aufzufordern, ihm seine Braut vorzustellen.



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