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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

herrscht, machen einen eigenthümlichen Eindruck auf den Beschauer. Hier wird kein Rollen eines Wagens vernommen, von den öden Dünen dringt kein Geräusch herüber und von einer Brandung des Meeres ist an der Ostküste nicht die Rede. Kein lautes Wort wird hier gewechselt, und selbst der uns beim Eintritt empfangende Hund des Entenfängers schlägt nicht an, sondern bleibt ebenso stumm wie sein Herr. Hier vernimmt man nichts, als den zeitweiligen Ruf eines Vogels und das durch Ab- und Zufliegen von Enten hervorgebrachte Geräusch. Das einzige Wort, welches wir von unserm Führer, dem alten Fänger, zu hören bekommen, ist das Gebot eines möglichst geräuschlosen Verhaltens. Hieraus giebt er uns einen Wink ihm zu folgen und zeigt uns den Fang.

Derselbe geschieht folgendermaßen. Der Wärter begiebt sich hinter die ihn verdeckende Wand mit einem Topf brennenden Torfs in der Hand, damit er von den Enten nicht gerochen werden kann, zu dem je nach dem herrschenden Wind die beste Ausbeute versprechenden Graben und wirft vor dessen Einmündung in den Teich etwas Futter in das Wasser. Dadurch gelockt kommen die abgerichteten und nicht flugfähigen Enten herbeigeschwommen und ziehen fast regelmäßig mehrere ihrer wild lebenden Schwestern zu deren Verderben mit sich nach der Nahrung verheißenden Stelle. Kaum haben diese sich aber in den breiten, unverdächtig aussehenden Graben bis zu der Stelle begeben, wo die Netze beginnen, so tritt der Fänger hinter der ihn verbergenden Wand hervor. Erschreckt fliegen die getäuschten Vögel empor, um sich der drohenden Gefahr durch die Flucht zu entziehen; doch das übergespannte Netz hemmt ihren Flug, und da auch der Rückzug nach dem offenen Teich durch den an der Mündung stehenden Mann scheinbar abgesperrt ist, suchen sie sich nach der andern Seite hin zu retten und schwimmen weiter und weiter in den immer dichter umsponnenen Graben hinein, bis sie endlich in den letzten engen Netzen festsitzen. Der Fänger hakt nun diese los, dreht den darin befindlichen Wildenten den Hals um und wirft sie in eine dazu bestimmte Hütte, wo sie ihren letzten Athem aushauchen. Die Zahl der auf solche Weise in Sylt gefangenen Enten mag sich täglich durchschnittlich auf vierhundert, jährlich auf dreißigtausend Stück belaufen, da der Fang nur während des Herbstes betrieben wird. Am einträglichsten ist derselbe bei stürmischem, trockenem Wetter, gegen welches die Enten auf dem Teiche Zuflucht suchen, während an regnerischen Tagen fast gar nichts gefangen wird. Die Vögel werden dann durch das Triefen der über die Gräben gespannten Netze auf letztere aufmerksam gemacht. Die für gewöhnlich in die Koje einfallenden Arten sind Krickenten, Pfeifenten und Spießenten, sonst auch die Stockenten und selten die Knäck- und Löffelenten. Die auf der Insel ziemlich häufig vorkommenden Brand- und nordischen Eiderenten sind, so viel ich in Erfahrung bringen konnte, nie in der Koje gesehen worden. –

Jagd, Fang und andere Freuden, sowie der Umgang mit den freundlichen und liebenswürdigen Bewohnern hatten uns allmählich den Aufenthalt auf der Insel sehr angenehm gemacht, da aber der Entenfang von Tag zu Tag schlechter ausfiel, so entschlossen wir uns zur Abreise und traten dieselbe in Gesellschaft eines Hamburger Kaufmanns und einer aus Zigeunern bestehenden Künstlergesellschaft an – um leider erst nach unendlichen Schwierigkeiten und Hindernissen wieder auf das Festland zu gelangen.

Th.




Aus dem Tagebuch eines hypochondrischen Laien.[1]
II.
3. Die Folgen der Hypochondrie.


Der geneigte Leser, wenn er sich in den im ersten Abschnitte unsers Artikels angeführten Quellen gespiegelt und, in einer oder einigen derselben das Bild seines Gemüthszustands erkannt hat, dürfte zunächst nun die Angabe der Mittel erwarten, die er anzuwenden habe, um schnell und sicher von seinem erkannten Uebel zu genesen. Der Verfasser glaubte aber, wohlmeinend, einen Abschnitt über die Folgen voranschicken zu müssen, um durch das abschreckende Bild derselben den Leidenden für die Anwendung der Mittel ernstlicher geneigt und für die Wirkung leichter empfänglich zu machen.

Erste Folge. Die Hypochondrie, wenn man sie einwurzeln und erstarken läßt, zerstört selbst eine eiserne Gesundheit: – Das Thier bedarf, um zu gedeihen, nur guter und genügender Nahrung, der Mensch neben dieser auch Heiterkeit des Gemüths. Ja, durch diese erhält schmale, ärmliche Kost einen solchen Kraftzusatz, daß man den heitern Armen oft in strotzender Gesundheit sieht, während der Begüterte durch seine Hypochondrie hinwelkt. Ist die körperliche Beschaffenheit auch eine befriedigende, so ist doch immer ein günstiges Verhältniß zwischen den consumirten und den wieder neu zufließenden Kräften erforderlich, wenn der Lebenssaft nicht abnehmen und der Körper zerstört werden soll. Durch die fortwährende Verstimmung des Gemüths geht aber nicht nur der Genuß gänzlich verloren, den die Nahrung gewähren muß, wenn sie wahrhaft gedeihlich wirken soll, sondern die zur Verdauung nöthige körperliche Ruhe ist zugleich auch keine vollkommene, wenn sie nicht durch Gemüthsruhe unterstützt wird. Das fortwährend beschäftigte Denkvermögen entzieht den Verdauungswerkzeugen die nöthigen Kräfte und zerstört den Körper des Hypochondristen noch sicherer und schneller, als den des arbeitenden Denkers, der sich in freudiger Thätigkeit keine Erholung vergönnt. Mangelt dem Gemüthskranken daneben auch noch gar die gesunde Nahrung, so geht er um so schneller seinem Ende entgegen, als er meistens auch der gesunden, belebenden Luft entbehrt, indem er, menschenscheu, sich im Hause eine freiwillige Gefangenschaft auflegt. Hat die Hypochondrie aber gar einen körperlichen Grund, so muß die Ursache, das leibliche Uebel, immer mit der Wirkung, der Hypochondrie zunehmen, so muß der Leib immer siecher werden, so ist Lebensverkürzung unausbleiblich; denn an dem Wahne des Hypochondristen bewährt sich das Dichterwort:

„Er bringt die Mutter um, die ihn gezeugt.“[2]

Zweite Folge. Die Hypochondrie, wenn man sie einwurzeln und erstarken läßt, macht für jeden Beruf unfähig und bringt also auch materiellen Nachtheil. – Der günstige Erfolg einer jeden Berufsthätigkeit liegt in den drei Haupt-Factoren: Sachkenntniß, Fleiß und Berufsfreudigkeit. Keiner von diesen ist entbehrlich; die Hauptzauberkraft jedoch liegt in der Freudigkeit. Ohne Freudigkeit ist wahrhafter Fleiß undenkbar und Sachkenntniß ein einrostendes Werkzeug. Wie dem Schwermüthigen aber überhaupt die Freudigkeit fehlt, so fehlt sie ihm auch insbesondere in seiner geschäftlichen Thätigkeit. „Schwermuth ist Krankheit, und Krankheit verabsäumt jeden Dienst, zu welchem Gesundheit verpflichtet ist.“[3]

Gehört der Gemüthskranke dem Handelsstande an, so ergreift er höchstens das noch mit Lust, was großen Gewinn abwirft, und beraubt sich dadurch der großen Summe, die aus vielen kleinen entsteht; so wird ihm die Freundlichkeit und Aufmerksamkeit schwer, wodurch Kunden gewonnen und gefesselt werden; so entgeht ihm in seiner Schlaffheit mancher Vortheil, den Andere bei innerer Freudigkeit erkennen und benützen. Gehört er einem wissenschaftlichen Stande an, so ist die Schwermuth seinem Berufe ein noch größeres Hinderniß; denn rein geistige Beschäftigung, unausgesetzte und anstrengende, ist, ohne Freudigkeit, mit gutem Erfolg noch weniger möglich. Ohne sie gleicht der Geist einem Uhrwerke, in welchem die bewegende Feder zerbrochen ist: man kann die Zeiger dennoch vorwärts rücken, ein wahres, lebendiges, inneres Weiterschreiten aber ist nicht möglich. Der Erfolg in jedem wissenschaftlichen Berufe also kann, ohne Freudigkeit, nur ein dürftiger sein, und dürftig, wie der Erfolg, ist dann auch der äußere Lohn, der mit den Leistungen, wenn auch nicht allezeit höher, jedenfalls doch immer rückwärts schreitet. Und welcher andern Art noch der Beruf immerhin sein mag, trübe Gemüthsstimmung muß unfähig für denselben machen, und als natürliche Folge „kommt endlich die Armuth, wie ein Wanderer, und der Mangel, wie ein gewappneter Mann.“[4]

  1. S. 1865, Nr. 29.
  2. Shakespeare.
  3. Derselbe.
  4. Sprüche Salomonis.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 126. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_126.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)