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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Strande macht einen ungewöhnlichen Eindruck auf den Beschauer, welcher Sinn und Auge für die Vogelwelt hat. Um einen ungefähren Begriff davon zu geben, wie massenhaft alle diese Vögel dort vorkommen, will ich nur bemerken, daß einer unserer Gefährten auf einen einzigen Schuß einunddreißig Stück kleine Strandläufer erlegte, ungerechnet die, welche, uns noch sichtbar, weiter seewärts niederfielen und deren Zahl gewiß auch auf zwanzig angegeben werden darf. Der Schwarm, zwischen welchen der glückliche Jäger schoß, zählte eben nach Tausenden.

Vogelkoje auf der Insel Sylt.

Welchen Massen von Vögeln man aber auch längs der ganzen Ostküste begegnet, so wollen diese doch nichts besagen gegen den anziehendsten Punkt der ganzen Insel: die Umgebung der Vogelkoje. Hier, wo der Gebrauch des Feuergewehrs verboten ist, glauben sich die klugen Thiere sicher, und hier ist der ganze Strand, die ganze Schlickmasse, das ganze Meer mit Vögeln bedeckt. Hier, und nur hier, sieht man die Enten, zu Tausenden in einem Schwarm vereint, in schußgerechter Entfernung; hier trifft man alle oben genannten Vögel, mit alleiniger Ausnahme der Gänse, in unschätzbaren Massen an; hier begegnet man endlich auch nicht selten dem Seeadler und dem Habicht, welche Beide hier reichliche Nahrung finden und vor der gefahrdrohenden Waffe des Menschen gesichert sind.

Die Einrichtung der Vogelkoje selbst ist ebenso einfach wie sinnreich. Den Mittelpunkt derselben bildet ein ziemlich großer Süßwasserteich, welcher nach dem Meere hin durch einen Damm geschützt und nach der Landseite durch die Dünen begrenzt wird. Von diesem Teich zweigen sich nach den verschiedenen Himmelsgegenden vier Gräben ab, welche mit Netzen überspannt und vorn ziemlich breit sind, nach hinten aber sich immer mehr verengern. Längs dieser Gräben ziehen sich aus Weiden- und Schilfgeflecht errichtete fächerartige Wände, die es dem Wärter gestatten, hinter ihnen wegzugehen, ohne von den auf dem Wasser befindlichen Vögeln gesehen zu werden. Die ganze übrige Fläche ist dicht mit Buschwerk, verkrüppelten Weiden und Erlen, welche nur von wenigen schmalen Gängen durchschnitten werden, bepflanzt, sodaß der inmitten befindliche Teich ein lauschiges Plätzchen für die sich niederlassen wollenden Enten abgiebt und von diesen auch stets zu Tausenden besucht wird. Das beigegebene Bild überhebt mich, meiner Ansicht nach, jeder weiteren Erklärung.

Ein Besuch der Vogelkoje, zu welchem man, nebenbei bemerkt, nicht so leicht Erlaubniß erhält, ist wirklich der Mühe werth. Die wilde Umgebung, die alten grauen, verkümmerten Bäume, deren Aeste ein wirres Gestrüpp bilden, und die unheimliche Stille, welche in der Koje trotz der massenhaft aus- und einfliegenden Enten

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 125. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_125.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)