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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

oder zu dictiren, um die größte Wirkung hervorzubringen. Hätte Schubart um meine Zeit in Frankreich gelebt, so wäre er vielleicht ein so bedeutender Redner wie Mirabeau geworden, in Deutschland wurde er ein Zeitungsschreiber.

In seinem vielgelesenen Blatte erhob er muthvoll die Fahne der Freiheit, kämpfte er mit den Waffen des Spottes und der Begeisterung gegen katholische und protestantische Jesuiten, gegen geistlichen und politischen Despotismus, für Aufklärung, Toleranz, voll Liebe zum Vaterlande. Jetzt erst hatte er den eigentlichen Schwerpunkt gefunden, den ihm allein zusagenden Wirkungskreis, aus einem armen Schulmeister für Kinder war er der Lehrer des Volkes geworden. Seine Erfolge wirkten auch günstig auf seine Sittlichkeit und sein Familienleben zurück. Alle liebenswürdigen und guten Eigenschaften des zwar leichtsinnigen, aber gemüthvollen Mannes entwickelten sich und blühten in dem geeigneten Boden des bürgerlichen Lebens auf.

Doch das Schicksal wurde nicht müde, ihn zu verfolgen und zu prüfen. Da der Bürgermeister von Augsburg dem Erscheinen des Blattes Hindernisse in den Weg legte, so wanderte Schubart nach dem nahen Ulm, wo seine Zeitschrift ihren Höhepunkt der Verbreitung erreichte und er selbst an der Seite seiner Frau und der indeß herangewachsenen Kinder die glücklichsten Tage verlebte. Sein Name wurde in ganz Deutschland mit Achtung genannt, sein in der That großes Talent fand immer mehr Anerkennung und sein Charakter gewann mit jedem Tage an Festigkeit und Zuverlässigkeit. Natürlich fehlte es dem witzigen Journalisten, dem Vorkämpfer für Recht und Freiheit nicht an offenen und geheimen Gegnern, obgleich er die ohnehin so engen Schranken der damaligen Preßgesetzgebung niemals überschritten hatte.

Plötzlich wurde Schubart, durch Bubenlist auf Würtembergisches Gebiet gelockt, auf Befehl des Herzogs von den gemeinen Schergen der Gewalt verhaftet und auf den hohen Asperg gebracht, wo er zehn Jahre widerrechtlich von demselben Tyrannen gefangen gehalten wurde, vor dem ein größerer Dichter, Friedrich Schiller, noch zur rechten Zeit entfloh. Vergebens verwendeten sich die ersten Männer Deutschlands für die Freilassung des Unglücklichen; Herzog Carl blieb unerbittlich, da er, damals in seinem pädagogischen Stadium, den gefangenen Dichter erziehen und bessern wollte.

Sein Werkzeug war der bekannte Oberst Rieger, die widerlichste Erscheinung eines militärischen Pietisten, ein Frommer im Soldatenrock, zugleich mit der irdischen und himmlischen Fuchtel bewaffnet, in der einen Hand die Bibel und in der andern die Kriegsartikel, ein doppelter Despot und eitler Narr dazu. Seinen Quälereien und Torturen war es endlich gelungen, den Geist des Gefangenen zu verdüstern, seinen Muth zu brechen und seine Seele mit den Schreckbildern der Hölle zu erfüllen. Die Einsamkeit des Kerkers, Krankheit des Körpers und das Bewußtsein früherer Schuld unterstützten die Bemühungen des militärischen und geistlichen Zuchtmeisters, so daß Schubart selbst mit der Zeit ein Pietist aus Verzweiflung wurde. Seine Belehrung schaffte ihm manche Erleichterung; er durfte jetzt Bücher lesen, die ihm bis dahin vorenthalten waren, sein geliebtes Clavier wieder spielen und Besuche empfangen; ja sein Peiniger wurde förmlich stolz auf seinen berühmten Gefangenen, den er wie ein Wunderthier den Fremden auf Asperg zeigte. Er ließ sich von ihm bei seinem Geburtstage ansingen, klatschte dem in einem Festspiel auftretenden „Prologus“ Beifall und rief laut „da capo! als dieser ihn mit den Worten: „Edler Rieger!“ anredete. Wenn aber Schubart nach seiner Meinung in der Kirche nicht andächtig und eifrig betete, oder der halbverrückte Rieger eine Anwandlung seines so häufigen üblen Humors hatte, so ließ er ihn seine Ungnade schmerzlich genug empfinden, indem er ihn durch Entziehung der kleinen Freiheiten peinigte und mit wahnsinnigen Strafreden und Schmähungen überhäufte.

Eines Tages erschien der spätere und mildere Commandant bei seinem Gefangenen in Begleitung eines jungen Mannes, welcher die Uniform eines Militärchirurgen trug. Der Fremde war hoch aufgeschossen; das feine, zarte Gesicht voll Sommersprossen, die Haare röthlichblond, die hervorragende Nase stark gebogen, aber von der hohen Stirn und aus den strahlenden Augen leuchtete der Himmelsstrahl des Genius. Der Commandant stellte den Unbekannten als einen Dr. Fischer dem Arrestanten vor und forderte den Letzteren auf, eine vor längerer Zeit von ihm verfaßte Recension über die damals erschienenen „Räuber“ von Schiller vorzulesen, da der eingeführte Herr gern das Urtheil Schubart’s über das neue Stück hören wollte. Dieser ließ sich nicht bitten und las seine Kritik, welche mit dem Wunsche schloß, den Dichter der Räuber persönlich kennen zu lernen.

„Da steht er vor Ihnen!“ rief der Commandant lachend, indem er auf den Fremden deutete.

Schiller?“ fragte Schubart überrascht und noch immer zweifelnd.

„Ich bin es selbst und gekommen, um meinen berühmten Landsmann zu sehen.“

Lautlos stürzte der Gefangene in die Arme des jungen Dichters, den er weinend an sein für alles Große und Schöne mächtig schlagendes Herz drückte.

Mit seinen Thränen taufte der Johannes der neuen Poesie den dichterischen Heiland seines Volkes, der das Evangelium der Freiheit und Menschenliebe verkündigte.

Einige Wochen darauf schrieb er an seine Gattin aus dem Gefängnisse: „Schiller ist ein großer Kerl, ich lieb’ ihn heiß, grüß ihn!“ Später dichtete er seine Ode an Schiller:

„Dank Dir Schiller, für die Wonne,
Die Deinem Gesang entquoll!
Meines Berges Genius, der Riese,
Ein Schätzer hohen Sangs,
Lauscht Dir, daß der Kolbe von Stahl
Entsank seiner wolkigen Rechte!“

Schubart’s Geist und Schicksal blieben nicht ohne Einfluß auf das fernere Leben Schiller’s. Als dieser in dunkler Nacht das elterliche Haus verließ und vor dem Tyrannen floh, um sich die Freiheit der Poesie zu wahren, umschwebte ihn das Bild des gefangenen Dichters auf dem Asperge, und wenn auf seinen späteren Wanderungen der Versucher an ihn herantrat, die Verführung ihm ihre weichen Arme entgegenstreckte, da erschien ihm wohl der unglückliche Tannhäuser und warnte ihn:

„Daß ihn Laura’s Zauberblick
Nicht lockt’ in der Wollust Lache.“

Mit prophetischem Mund aber verkündigte der neidlose Schubart:

„Dein Schiller wird es thun.
Gott gab ihm Sonnenblick,
Und Cherubs Donnerflug,
Und starken Arm, zu schnellen
Pfeile des Rächers vom tönenden Bogen.“

Endlich öffneten sich auch für den armen Schubart die Pforten seines Kerkers, nachdem er zehn Jahre und vier Monate ohne allen Grund gefangen gehalten wurde. Der Herzog empfing den Dichter in gnädiger Audienz und ernannte ihn gleichsam zur Entschädigung zum Hofdichter und Director des Schauspiels und der Oper. Aber die Zeit der Jugend, wo ihn das Theater lockte, war vorüber; dagegen widmete er sich mit ungebrochener Kraft der wieder aufgenommenen „Deutschen Chronik“. Mit seinem Scharfblick erkannte er die Größe und Bedeutung der eben ausgebrochenen französischen Revolution. „Die Sonne des Jahrhunderts,“ prophezeite er, „wird untergehen vom wallenden Dampfe der Leichen verfinstert, aber aus dem allgemeinen Brande, aus dem Schutte der Zerstörung wird Europa aufsteigen in neuer Gestalt.“

Nur einen Blick durfte er in das gelobte Land der Freiheit thun, nur noch kurze Zeit das Glück an der Seite seiner in schwerster Prüfung bewährten Gattin, umringt von seinen Kindern und Enkeln, genießen. Die lange Kerkerhaft und die schweren Körper- und Seelenleiden, wie namentlich auch seine Verirrungen, hatten seine Gesundheit zerstört. Vier Jahre nach seiner Freilassung starb er am 10. October 1791 und wurde auf dem äußern Spitalkirchhofe, dem sogenannten Hoppebau, begraben. Kein Denkmal bezeichnet die Stätte, wo der Dichter der „Fürstengruft“, der Sänger „Friedrich’s des Einzigen“, der „Deutsche Chronikenschreiber“ liegt. Eine schauerliche Sage aber erzählt, daß Schubart lebendig begraben und bei Oeffnung des Sarges auf dem Bauche liegend, mit blutig gekratzten Nägeln gefunden worden sei. Wie sein „ewiger Jude“ konnte der Geist des gefangenen Dichters noch im Grabe nicht die Ruhe finden, indem er, von heftigem Freiheitsdrang beseelt, seinen Sarg zu sprengen suchte. So lebt Schubart im Andenken seines Volkes, das noch heute seine Lieder singt, vor allen den rührenden Abschiedssang:

„Auf, auf, ihr Brüder, und seid stark,
Der Abschiedstag ist da!“

Max Ring.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_119.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)