Seite:Die Gartenlaube (1866) 104.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

gegeben wurde. Es ist unglaublich, aber es ist wahr! O mein Gott, Caroline, Caroline … weshalb hast du mir das angethan?“

Er verabschiedete den Burgvogt und zog sich wieder in sein Zimmer zurück, das abermals für lange Zeit die Folterkammer für ihn wurde, in welcher er, von entsetzlicher Ungeduld gepeinigt, Alles auf sich einstürzen lassen mußte, was ihn innerlich empörte, durchwühlte und beschämte.

Endlich war im kleinen Schlosse das volle Leben erwacht; die Stallthüren öffneten sich und die Pferde wurden herausgeführt, um gestriegelt zu werden; die Hunde heulten bei der Morgenfütterung. Die Revierjäger sammelten sich auf dem Hofe. Im Innern des Gebäudes wurden Thüren aufgemacht und geschlossen; Diener eilten über Corridor und Stiegen; Herder ging hinaus und forderte den ersten ihm begegnendem Lakaien auf, ihn beim Grafen zu melden; er bitte um eine Audienz, er verlange dringend Gehör.

Der Diener führte ihn in das Arbeitszimmer des Grafen und hieß ihn hier warten. Dann trat er in das Schlafcabinet des gnädigen Herrn; wenige Augenblicke nachher erschien er wieder, beschäftigt, die beiden Flügel der Thür vor der Erlaucht zu öffnen, der Graf trat bereits völlig gekleidet ein. Er war Soldat und der früheste Morgen fand ihn stets in voller Thätigkeit.

Ein triumphirendes Lächeln zuckte um seine Lippen, als er in Herder’s Züge blickend die unverkennbarsten Zeichen furchtbarer Aufregung wahrnahm.

„Mein lieber Hofprediger,“ rief er aus, „so früh schon wollen Sie mich sprechen? Was ist’s, was führt Sie her? Sie scheinen aufgeregt, haben Sie unruhige Träume gehabt in Ihrem Thurmzimmer?“

„Träume, Erlaucht? nein, man wirft den Dichtern ihre Träume vor, ich bin kein Träumer und war nie wacheren Sinnes, als in der vergangenen Nacht…“

„Sie erschrecken mich, was machte Sie so wach? Sie haben doch nicht am Ende ein Erlebniß gehabt von jener Art, die nach Shakespeare’s Ausspruch ein Philosoph wie Sie sich nicht träumen läßt, also mit ‚wachem Sinne‘ beobachtet? Setzen Sie sich, erzählen Sie mir, was ist Ihnen begegnet?“

Der Graf warf sich in einen Sessel und sah Herder mit Blicken an, die in diesem Alles, was von Zorn in ihm war, hätten aufkochen machen, wenn sein Zorn nicht schon ohnehin in Siedehitze gewesen wäre.

„Erlaucht,“ sagte er bleich, leise, mit zitternder Lippe, „ich bin es meiner Stellung und meinem Namen schuldig, nicht zuzugeben, daß man mich wie ein Kind behandelt, welchem man eine Komödie vorspielen kann, um dasselbe eine Moral daraus ziehen zu lassen …“

Des Grafen Gesicht verlor den spöttischen Ausdruck, seine Brauen zogen sich zusammen.

„Eine Komödie?“

„Ja, eine Komödie,“ versetzte Herder sehr laut und heftig.

„Mein lieber Hofprediger, es scheint, Sie nehmen eine Komödie sehr tragisch,“ entgegnete der Graf. „Eine hübsche Komödie mit einer guten Moral anzusehen, kann auch uns Erwachsenen nicht schaden, besonders wenn die Moral auf uns paßt!“

„Ich kann Niemandem das Recht einräumen, zu beurtheilen, ob eine Moral auf mich paßt oder nicht, darüber ist allein mein Gewissen Richter.“

„Gewiß, gewiß, wer leugnet das? Auch giebt kein Dichter sein Stück mit einer Moral anders, als in der Absicht unser Gewissen anzuregen, damit es sein Richteramt übe.“

„Aber wenn das Stück verfehlt und schlecht ist, so übt nicht unser Gewissen, sondern die Kritik ihr Richteramt. Lassen wir es, Erlaucht. Ich bin gekommen, um Ew. Erlaucht zu sagen, daß ich verlange mit der Hauptdarstellerin in der Komödie, von der wir sprechen, zu reden. Sie verbirgt sich hier im Schlosse vor mir, ich aber habe den festen Willen, sie zu sehen, augenblicklich, bevor sie etwa von hier abreist.“

Der Graf antwortete in offenbarer Verlegenheit.

„Ich sehe, unsere kleine Komödie hat nicht ganz die Wirkung gehabt, welche bei ihrer Aufführung beabsichtigt war,“ sagte er lächelnd. „Ich bin der ‚Hauptdarstellerin‘, wie Sie sagen, jetzt jedoch schuldig, sie vor einer zu scharfen Kritik, die, wie es scheint, auf sie eindringen will, in Schutz zu nehmen.“

„Demoiselle Caroline Flachsland ist meine Braut,“ sagte Herder mit größter Bestimmtheit, „ich bestehe darauf, sie augenblicklich zu sprechen.“

„Ich habe ihr versprochen, sie wieder von hier abreisen zu lassen, ohne daß sie mit irgend Jemandem in Berührung gekommen; ich werde dies Versprechen halten.“

„Mir gegenüber kann es keine Gültigkeit haben, ich bitte Ew. Erlaucht auf das Allerdringendste und Entschiedenste, mir zu sagen, wo Demoiselle Flachsland sich befindet, wenn Ew. Erlaucht die ganze Angelegenheit nicht eine für uns Alle gleich ärgerliche und verdrießliche Wendung nehmen sehen wollen …“

„Hartnäckiger Schwarzrock!“ murmelte der Graf zornig zwischen den Zähnen. „Ich glaube, er droht mir in meinem eigenen Hause … aber was ist da zu thun? Wohl denn,“ fuhr er laut fort, „ich will mit der Dame reden; wenn dieselbe mich des Wortes, das ich ihr gab, entbindet und einwilligt, Sie zu empfangen, so ist’s gut; willigt sie nicht ein, dann müssen Sie sich darein finden und die Predigt, welche Sie ihr zu halten beabsichtigen, schon aufschieben, bis sie außerhalb meines Schutzes ist. Vorher möchte ich jedoch, lieber Herder, daß Sie freundlich anhörten, was ich Ihnen als Freund sagen muß. Ich habe mir allerdings einen kleinen Scherz, eine kleine ‚Komödie‘ wenn Sie wollen, mit Ihnen erlaubt, aber ich habe geglaubt, Sie würden sie leichter nehmen und nicht so zornig eine Kränkung darin sehen. Was ist geschehen, was Sie so empört? Ist meine Neckerei mit einer Gespenster-Erscheinung etwas so gar Ungewöhnliches? Hat diese einen so wunden Nerv bei Ihnen getroffen …“

„Ja, als ein Einmengen in meine persönlichsten, innersten Angelegenheiten,“ fuhr Herder auf.

„Aber sie geht aus von Ihren wärmsten Freunden, von der Prinzessin Sidonie, der treuesten und theilnehmendsten Gönnerin Ihrer Braut, von mir und endlich von Ihrer Braut selbst, die wir dazu überredet, verführt haben, wenn Sie wollen… Niemand anders weiß darum; die wenigen meiner Diener, welche dabei in’s Geheimniß gezogen werden mußten, der Hofmarschall, ein Lakai, ahnen nichts von der eigentlichen Bedeutung; sie wissen nur ganz im Allgemeinen, daß es sich um eine kleine Neckerei handelt … Bedenken Sie das und seien Sie vor allen Dingen sanft gegen Ihre Braut. Wir, die Prinzessin und ich, sind ja allein die, von denen der Gedanke ausging, und bedenken Sie, daß ein liebendes Herz, welches sich von dem Gegenstand seiner Leidenschaft gekränkt fühlt, oft zu chimärischen, schwärmerischen Mitteln greift, diesen Gegenstand zu sich zurückzuführen; daß die Phantasie in solchen Lebenslagen erkrankt und auf Wege geräth, welche ein nüchterner Geist thörichte nennt … denken Sie, daß Demoiselle Flachsland gewiß nicht in leichtsinnigem Muthwillen handelte, als sie dem Drängen der Prinzessin nachgab, sondern sich sehr unglücklich fühlte …“

„Ich danke Ihnen, Herr Graf, für diese Freundes-Ermahnung,“ antwortete Herder kühl, „aber ich muß Ew. Erlaucht jetzt in der That bitten …“

„Nun ja, ich gehe schon,“ versetzte der Graf.

Der Graf ging. Herder schloß sich ihm an.

„Wie, Sie wollen nicht hier warten? Bleiben Sie, bis ich zurückkomme!“

„Es ist sicherer daß ich Ew. Erlaucht begleite,“ erwiderte Herder entschlossen.

Der Graf schwieg, innerlich in großer Empörung über seinen harten, unbeugsamen Hofprediger, von dem nun einmal alle seine Worte abprallten ohne Eindruck zu machen, der einen gnädigen Spaß eines regierenden Herrn mit so stolzer Unschmiegsamkeit und respectwidriger Männlichkeit aufnahm. Er ärgerte sich bereits und verwünschte es, im Eifer der Bewunderung für Alles, was Prinzessin Sidonie in ihrer „schönen Seele“ trug, auch auf diesen ihren Einfall eingegangen zu sein, der nun eine so ernsthafte Wendung nahm, und so schickte er einen herzhaften Soldatenfluch durch den grauwerdenden Bart, als er in das kleine Entresolzimmer trat, welches als Wohnzimmer der jungen Dame diente.

„Wenn wir drüben an der Thür des Schlafzimmers anklopfen, werden wir sie erschrecken,“ sagte er dann, „gehen Sie, ein Frauenzimmer von der Schloßdienerschaft herbeizuholen, das uns bei der Demoiselle anmeldet, ich warte hier! Oder ziehen Sie die Klingelschnur dort!“

Herder wollte die Klingelschnur ziehen, auf welche der Graf deutete.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 104. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_104.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)