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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

den schönen Eugen fast abgöttisch. Er erwiderte diese Liebe mit jener ruhigen Zärtlichkeit, die seinem Wesen entsprach, unterwarf sich allen ihren Anordnungen und gewahrte nicht, wie der Einfluß wuchs, den das energische Mädchen allmählich über ihn gewann. Dem Bruder zu Liebe hatte sie einen Herzenstraum aufgegeben, sie konnte es nicht über sich gewinnen, den damals kaum fünfzehnjährigen Knaben zu verlassen, und wenn sie auch zum Lohne für ein ihm geopfertes Glück nicht von ihm verlangte, daß er unverheirathet bleiben sollte, so setzte sie stillschweigend voraus, daß er doch nie eine Wahl treffen würde und könne, die sie nicht billigte.

Als nach dem Tode des Vaters der Bankier Ellernburg in Paris den jungen Mann auf ein Jahr zu sich einlud, war sie es, die ihm eifrig zuredete, diese Aufforderung anzunehmen. Sie fühlte sich ja ihres Bruders, seines Herzens wie seiner Gedanken, so sicher, die stille, praktische und reiche Cousine Marie, die sie heimlich für ihn bestimmt, schien ihm so gut zu gefallen, sein ganzer Sinn wie seine Richtung war so ernst und solid, so ganz wie die aller Ellernburgs, daß sie nicht im Traume daran dachte, er könne ihr in dem modernen Babel verloren gehen. Seine Briefblätter ließen anfangs diese Ruhe vollkommen gerechtfertigt erscheinen, bis endlich eine immer höher steigende Temperatur das Postpapier versengte. Er hielt keine bestimmten Posttage mehr ein, er schrieb kurz und verworren. In welche Hände war er gefallen? Eine ungeheure Angst überschlich sie plötzlich, aber sie redete mit Niemand davon, sie traf alle Anstalten zur Abreise.

An demselben Tage, wo sie ihren Koffer packte, um in der Nacht L. zu verlassen, mit eigenen Augen zu sehen, mit eigenen Ohren zu hören, wie es um den Geliebten stand, erhielt sie die Nachricht seiner Verlobung und nahe bevorstehenden Heirath mit einer „Sängerin“, so hatte Eugen Jeanneton genannt, abgesehen von all’ jenen bekannten Namen, mit denen Liebende den Gegenstand ihrer Anbetung zu bezeichnen pflegen. Isidore schloß sich hierauf drei Tage lang in ihrem Zimmer ein, den vierten hielt sie eine Familienversammlung und erklärte mit fester Stimme die Verlobung ihres Bruders. Die Cousine Marie warf bei dieser Gelegenheit eine Theetasse auf die Erde.

Eine ganze Woche lang sprach man im Städtchen nur von diesem Ereigniß, später redete man über die Neuangekommene nicht minder heftig, aber viel länger. Längst schon führte man im grauen Hause, dessen grünvergitterte Comptoirfenster im Erdgeschoß jedes Kind kannte, den Haushalt zu Dreien, längst schon hatte sich die junge Französin in der Kirche und auf der Promenade gezeigt, und doch wendeten sich die Augen jedes Vorübergehenden neugierig zum ersten Stock, der Wohnung der jungen Frau.

Die Verwandten empfingen in echt kleinstädtischer Weise den unwillkommenen und unerwarteten Eindringling, das heißt kalt und mißtrauisch, und gaben sich nicht die geringste Mühe, ihr schlechtes Französisch zu verbessern, um einen Verkehr mit Jeanneton zu ermöglichen. Isidore küßte bei der ersten Begegnung ihre neue Schwägerin so eisig auf die Stirn, daß die junge Frau zusammenschauerte. Die Schwägerinnen redeten sehr selten miteinander und sahen sich so wenig wie möglich. Beide empfanden vom ersten Augenblick die Verschiedenheit ihres Wesens, wie eine Kluft, über die es keine Brücke gab, Beide haßten sich, weil Jede die Erste in dem Herzen des geliebten Mannes sein wollte. Nach einer thränenvollen Scene zwischen ihrem Bruder zog sich Isidore für den größten Theil des Tages in ihre Zimmer zurück und Jeanneton suchte sie nie dort auf. Sie hatte sich ein kleines Cabinet, das an ihr Schlafzimmer stieß, genau so eingerichtet, wie jenes geliebte Stübchen in der Rue du Faubourg Poissonnière im vierten Stock. Dort hing ihre Drossel, die sie aus ihrer Heimath mitgebracht. Keine andere Hand, als die ihrige, durfte den Vogel berühren oder das Zimmerchen in Ordnung halten, und wäre Eugen nicht schon längst von ihr bezaubert gewesen, ihr Anblick, wenn sie den zierlichen Besen in der weißen Hand, das kostbare Morgenhäubchen auf dem dunkeln Haar im weißen Peignoir über die Schwelle trat, hätte es dahin gebracht. Ihren eleganten Salon, Wohnzimmer genannt, bewohnte sie nur in den Stunden, in denen Eugen bei ihr war, und nur ihm zu Liebe erklärte sie dessen Einrichtung reizend und behaglich. Es war auch in der That nichts da, was sie störte oder beängstigte, wenn sie ihn ansah, wenn sie sein hübsches Gesicht in ihren Händen hielt, wenn sie in seine Augen sich versenkte und den berauschenden Liebesworten lauschte, die von seinen Lippen strömten.

Nur wenn Isidore eintrat, erwachte sie aus ihrem süßen Traume, dann war’s wie im Märchen, wenn die böse Fee durch einen Blumengarten geht und alle Knospen welken müssen. Jeanneton empfand, daß sich Eugen gleichsam in ihren Armen verwandelte, und sie selbst fühlte sich wie gelähmt ihrer Schwägerin gegenüber. Isidore hatte die Gewohnheit, über die Maßen eifrig zu nähen, zu stricken oder zu häkeln, und die junge Frau verstand eben nichts als Veilchentouffs, Rosenknospen und Frühlingsblumen zu machen, so reizend, als ob sie eben frisch gepflückt worden seien. Und von dieser Beschäftigung nie zu reden hatte ja Eugen sie so zärtlich gebeten. Sie saß also mit lässig zusammengesunkenen Händen da und sah zu, wie sich die Finger ihrer Schwägerin bewegten, und fand diese Finger so häßlich, wie die ganze Toilette Isidorens, und wußte kein Wörtchen darein zu reden, wenn die Geschwister miteinander sprachen. Erst, wenn das Fräulein sich zurückgezogen, wurde der Bann von ihr genommen und sie jubelte auf wie der Vogel, dem man das verhüllende Tuch vom Bauer genommen, das ihn geängstigt. „Liebe sie, meine Schwester,“ bat Eugen immer und immer wieder, „sie ist das zärtlichste Herz der Welt.“

Aber Jeanneton schüttelte den Kopf und sagte:. „Niemand darf sich zur Liebe zwingen, es wird doch nur ein Unding daraus und man kann nun einmal ebensowenig manche Menschen lieben, wie man manchen Kopfputz oder überhaupt manche Mode tragen kann. Versucht man’s mit Gewalt, so thut man sich selber den größten Schaden. Laß uns Beide, wir gehören nicht zu einander.“

Gleichwohl war Jeanneton möglichst freundlich gegen Isidore, wenn diese ihr auch deutlich genug zu verstehen gab, daß sie die junge Frau für das nutzloseste, unwissendste Geschöpf der Welt halte. Die Kleine versuchte wirklich die Wichtigkeit eines Waschzettels und die Nothwendigkeit eines Schlüsselkorbes und Ausgabenbuches einzusehen. Sie gab sich Mühe, an jedem Morgen in Begleitung ihrer Schwägerin einen Rundgang zu unternehmen, Schränke auf- und zuzuschließen, der Köchin Alles herauszugeben und auf’s Körnchen genau zuzumessen, gegen alle Leute sich mißtrauisch zu zeigen und nie einen Schlüssel aus den Händen zu geben. Mit staunenden Augen nahm sie die Anweisungen ihrer Schwägerin und ein Ausgabenbuch entgegen und lernte ziemlich rasch jene Worte kennen und schreiben, die im Alltagsleben die Spalten eines Ausgabenbuches zu füllen pflegen. „Es ist dies Alles nöthig zum Glück eines Mannes,“ dies war die Zauberformel, welche Jeanneton’s Geduldsfaden vor dem jähen Zerreißen bewahrte, und dazu kam wahrhafte, wirkliche Furcht vor jener steifen, unbeugsamen Gestalt mit den durchdringenden Augen und dem spiegelglatten Scheitel.

Ueber zwei Dinge dachte die junge Pariserin sehr viel nach: ob dieser Scheitel auch in der Nacht so glatt verbleibe und ob Eugen wirklich unglücklich werden würde, wenn einmal ein Schrank offen stehen bliebe, oder wenn sie vergäße, die kleinen Milchbrode einzuschreiben. Wie über alle Maßen langweilig war doch das Leben einer deutschen Frau! Jeder Tag fing mit Milch und kleinen Broden an im Ausgabebuch und endete mit Salat. Und der Küchenzettel war so wunderlich und kein Gericht wollte der jungen Frau schmecken, und wenn das kleine Stübchen mit den weißen Mousselinevorhängen nicht gewesen wäre und die köstlichen Stunden, wo Eugen allein bei ihr war, so hätte das Heimweh nach der Zauberstadt ihr Herz zusammengedrückt. So aber wehrte sie es immer von Neuem wieder von sich ab und lehnte ihre Stirn an die Schulter des Geliebten und sagte: „Du bist meine Heimath.“

Mit dem Singen ihrer kleinen Lieder kam es auch so ganz anders, als sie gedacht. Da stand wohl ein schöner Flügel in ihrem Wohnzimmer, aber Jeanneton hatte ja nie Clavier spielen lernen. Was sollte er ihr? Und Eugen bat sie auch nie darum, seltsamer Weise, ihre „braune Therese“ und ihren „kleinen Hans“ zu singen, die ihn sonst doch so sehr entzückt. Und vor Isidoren hätte sie keinen Ton herausgebracht, nie und nimmer, nicht um alle Schätze der Welt! Da begnügte sie sich denn, in ihrem kleinen Zimmer vor ihrem Vogel zu trillern und zu singen, und die Drossel sang, wie ehemals in Paris, jene kleinen Chansons nach, und Jeanneton vergaß alle ihre Sorgen. Alle Sehnsucht war ausgelöscht, sie war wieder die kleine Modistin und heut Abend wollte sie im Eldorado singen und dann würde er an dem Tischchen seitwärts links, in der zweiten Reihe etwa, sitzen, und sie würde seinen schwärmerischen Augen begegnen, die so trunken zu ihr hinschauten. Sie sah sich im weißen Kleide – ach, hier durfte sie

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