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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

zehnjähriger Ehe seine Gemahlin abermals zur Wittwe und hinterließ ihr, außer einer kleinen Tochter, eine enorme Schuldenlast. … Es mag ihr nun freilich gefallen, in Lindhof unumschränkt die Herrin spielen zu dürfen, denn wie ich höre, hat sie auf dem Gute ihres Sohnes weder Sitz noch Stimme.“

Eine Magd aus dem Forsthaus unterbrach hier das Gespräch, indem sie, mit Scheuereimer und Kehrbesen bewaffnet, durch unzweideutige Bewegungen zu erkennen gab, daß jetzt ihr Herrscheramt hier beginne. Das Fernrohr wurde eiligst zusammengeschraubt, und während der Oberförster daran ging, die Fenstersimse an der Gartenseite von den Umarmungen der Schlingpflanzen vollends zu befreien, nahmen Frau Ferber und Elisabeth die inmitten der Zimmer zusammengestellten Möbel in Angriff, um deren ursprünglichen Glanz mittels Staubtuch und Bürste wieder herzustellen.


5.

Pfingsten war vorüber. Die Glocken, die ehernen, hatten sich in’s Stillleben zurückgezogen und blickten droben schwarz und unbeweglich durch die Schalllöcher, als seien sie die Särge des melodischen Lebens, das während der Feiertage die Thürme umbraust hatte. Die bunten Glöckchen im Walde aber, lose auf grünem Stengel hängend und ihres feierlichen Amtes wohl bewußt, konnten das Fest nicht vergessen.

Droben im alten Schloß Gnadeck harmonirte die nachhaltige Festtagsstimmung mit der des Waldes, obgleich Ferber seine Geschäfte übernommen und außerdem die unvermeidlichen Antrittsbesuche in L. abzumachen hatte. Frau Ferber und Elisabeth hatten sich durch Sabine bedeutende Aufträge eines Weißwaarengeschäfts in L. zu verschaffen gewußt und waren nebenbei im Garten beschäftigt, der auch in diesem Jahre noch nach Kräften seinen Tribut abgeben sollte. Daß trotz dieser Rührigkeit immer noch ein sonntäglicher Hauch durch die Räume des Zwischenbaues wehte, lag in der gehobenen Stimmung der Familie selbst, die den Einfluß eines glücklichen Wendepunktes in ihrem Leben ungeschwächt fortempfand und sich jeden Augenblick angeregt fühlte, das Sonst mit dem Jetzt zu vergleichen; das Waldleben, so ungewohnt und neu, wirkte fast berauschend auf die Gemüther.

Die zärtlichen Eltern hatten Elisabeth das Zimmer mit den Gobelins angewiesen, weil es die schönste Aussicht bot und gleich bei der ersten Musterung des Zwischenbaues von dem jungen Mädchen für das hübscheste und gemüthlichste erklärt worden war. Die unheimliche Thür, die nach dem großen Flügel führte, hatte man wieder zugemauert; die hohen Eichenflügel mit den Messingschlössern und Riegeln bedeckte das Mauerwerk und ließ nicht ahnen, daß jenseits die Wüstenei begann. Den Hintergrund des Zimmers füllte eines der neu hergerichteten Himmelbetten aus; in der Nähe des Fensters befand sich der alterthümliche Schreibtisch, außer einem altmodischen Porcellan-Schreibzeug und den nöthigen Schreib-Utensilien auch noch zwei hübsche, kleine Vasen voll frischer Blumen auf seiner Platte tragend, und draußen auf dem breiten Steinsims, von der Krone eines Syringenbusches schmeichelnd umspielt, stand der gelbe Messingkäfig, in welchem Hänschen mit dem ganzen Neid einer verzogenen Bravoursängerin seine schmetternden Triller vor denen der Waldvirtuosen geltend zu machen suchte.

Als das Zimmer eingerichtet wurde und Frau Ferber aller Augenblicke einen neuen Gegenstand brachte, um den kleinen Raum auch recht anmuthend auszuschmücken, da trat der Vater endlich an die längste Wand, breitete die Arme darüber und verbannte den kleinen Divan, der eben hereingeschoben werden sollte, wieder in das Nebenzimmer.

„Halt, diesen Platz reservire ich mir!“ rief er lachend. Er holte eine große Console von dunklem Holz und befestigte sie an der Wand, die gerade an dieser Stelle eine sehr breite Holzleiste zeigte. „Hier,“ fuhr er fort, indem er eine Büste Beethoven’s darauf stellte, „hier soll er, der Einzige, ganz allein thronen!“

„Aber das sieht ja abscheulich aus,“ meinte Frau Ferber.

„Na, warte nur. Morgen oder übermorgen wirst Du Dich überzeugen, daß mein Arrangement nicht so sehr zu verwerfen ist und daß für Elisabeth noch ein ganz besonderer Vortheil aus den vorgefundenen Möbeln entspringt.“

Am folgenden Tag, es war der Pfingstabend, fuhr er mit dem Oberförster nach der Stadt, und als er gegen Abend zurück kehrte, kam er nicht durch das Mauerpförtchen. Das große Thor wurde weit geöffnet, und vier kräftige Männer, trugen einen großen, glänzenden Gegenstand durch die Ruinen. Elisabeth stand gerade in der Nähe des Küchenfensters und war – zum ersten Mal in der neuen Wohnung – mit der Zubereitung des Abendbrodes beschäftigt, als die Männer mit ihrer Last den Garten betraten.

Sie schrie laut auf; denn das war ja ein Clavier, ein schönes, tafelförmiges Instrument, das ohne Weiteres in den Zwischenbau hineingetragen und droben im Gobelin-Zimmer unter Beethoven’s Büste gestellt wurde. Elisabeth weinte und lachte in einem Athem und schlang jubelnd die Arme um den Hals des Vaters, der sein einziges kleines Capital – den Erlös aus den Möbeln in B. – hingegeben hatte, um ihr das, was die Wonne ihres Lebens war, wieder zu verschaffen. Dann aber öffnete sie das Instrument, und gleich darauf schlugen mächtige Accorde an die engen Wände, die so lange das Schweigen des Todes umfangen hatte.

Der Oberförster war auch mitgekommen, denn er wollte Elisabeth’s Freude und Ueberraschung sehen. Er lehnte jetzt stumm an der Wand, als die wunderbaren Melodieen unter den Fingern des jungen Mädchens hervorrauschten. In diesem Augenblick sprach ja die glühende, mächtige Seele, die in der lieblichen, jungen Hülle wohnte, zum ersten Mal in ihrer ganzen Gewalt zu ihm. Dieser feingemeißelte Kopf, wie wunderbar beseelt und gedankenschwer erhob er sich jetzt über der zarten Gestalt, welche der ganze Zauber des Mädchenhaften und Tiefsinnigen umwob! Bis dahin waren ja nur Neckereien und Witzworte zwischen ihr und dem Onkel hin- und hergeflogen. Er nannte sie der Leichtigkeit ihrer Bewegungen und ihrer Gedankenschnelle halber, die sie nie um eine witzige Replik verlegen sein ließ, oft seinen Schmetterling; am meisten aber „Gold-Else“, indem er behauptete, ihr Haar sei so golden, daß er es durch den dichtesten Wald blitzen und schimmern sähe, wie einst Jung Roland das Kleinod im Schild des Riesen.

Als Elisabeth geendet, legte sie beide Arme über das Clavier, als wolle sie den neuen Besitz umarmen, und lächelte glückselig vor sich hin; der Oberförster aber näherte sich ihr leise, küßte sie auf die Stirn und ging schweigend hinaus.

Von diesem Moment an kam er jeden Abend hinauf in’s alte Schloß. Sobald die letzten Streiflichter der Sonne auf den Baumwipfeln erloschen waren, mußte sich Elisabeth an das Clavier setzen. Die kleine Familie nahm Platz in der Nische des weiten Bogenfensters und versenkte sich in das Gedankenmeer des Meisters, dessen Bild von der Wand herab ernst auf die begeisterte junge Spielerin schaute. Dann dachte Ferber wohl daran, wie sich Elisabeth das Leben im Walde ausgemalt hatte als der Brief vom Försteronkel in B. eingelaufen war. Elfen und Kobolde erschienen freilich nicht; wohl aber zogen die Geister die der gewaltige Tondichter in die Töne gebannt hat, entfesselt auf dem Musikstrom hinaus und hauchten in die feierliche Stille jenes geheimnißvolle Leben, dessen Wonnen und Leiden, wenn auch durch jede empfindende Menschenbrust fluthend, auszusprechen und zu verkörpern doch nur dem Genius beschieden ist.

Eines Nachmittags saß die Familie Ferber beim Kaffee. Der Oberförster war auch heraufgekommen, hatte Zeitung und Pfeife mitgebracht und ließ es sich gern gefallen, daß ihm Elisabeth eine Tasse des dampfenden Trankes einschenkte Er wollte eben einen interessanten Artikel vorlesen, als draußen am Mauerpförtchen geläutet wurde. Zum Erstaunen Aller trat, nachdem der kleine Ernst geöffnet hatte, ein Bedienter vom Schlosse zu Lindhof ein und überreichte Elisabeth einen Brief. Er war von der Baronin Lessen. Sie begann damit, dem jungen Mädchen sehr viel Schmeichelhaftes zu sagen über sein vortreffliches Clavierspiel, das sie bei ihren Spaziergängen durch den Wald seit einigen Abenden belauscht haben wollte, und knüpfte daran die Frage, ob Fräulein Ferber geneigt sei, natürlich unter vorher festzustellenden Bedingungen, wöchentlich einige Mal mit Fräulein von Walde vierhändig zu spielen.

Der Brief war in sehr höflichem Tone gehalten; gleichwohl warf ihn der Oberförster, nachdem er ihn zum zweiten Mal durchgelesen, unmuthig auf den Tisch und sagte, Elisabeth scharf anblickend:

„Du gehst nicht darauf ein, wie ich denke?“

„Und warum nicht, lieber Carl?“ frug Ferber an ihrer Stelle.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 50. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_050.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)