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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

ein Auge, ein Paar gekreuzter, bleicher Frauenhände, oder einen theatralisch vorgestreckten, schienenbekleideten Männerfuß zeigten. Endlich hatten sie den letzten Raum erreicht und standen vor einem hohen Thürbogen, der mit Ziegelsteinen vermauert war.

„Aha!“ sagte Ferber, „hier hat man den Zwischenbau abzuschließen gesucht von der allgemeinen Zerstörung. Ich meine, ehe wir noch länger die halsbrechende Arbeit des Suchens fortsetzen, wäre es gescheidter, die Steine herauszunehmen.“

Der Vorschlag fand Beifall und der Maurer begann sein Werk; er drang in eine tiefe Wandnische ein und versicherte, hier seien doppelte Wände. Beide Männer halfen wacker mit, und bald erschien eine mächtige Eichenthür hinter dem zerstörten Mauerwerk, das schnell hinweggeräumt wurde. Die Thür war nicht verschlossen und gab dem Druck der Männer sogleich nach. Sie traten in einen völlig dunklen, dumpfen Raum. Nur ein dünner Sonnenstrahl drang durch eine schmale Ritze und zeigte die Richtung der Fenster. Das seit so langer Zeit nicht berührte Fensterschloß sträubte sich tapfer gegen die Kraftaufwendung des Oberförsters, ebenso der Laden, den die starken Zweige der Bäume draußen fest andrückten. Endlich wich er mit lautem Gekreisch – ein grüngoldenes Sonnenlicht strömte durch ein hohes Bogenfenster herein und beleuchtete ein nicht sehr breites, aber tiefes Zimmer, dessen Wände mit Gobelins behangen waren. Der Plafond zeigte in den vier Ecken das sauber gemalte Wappen der Gnadewitze. Zum Erstaunen Aller war es vollständig meublirt und zwar als Schlafzimmer. Zwei Himmelbetten mit vergilbtem Behang, welche an den zwei langen Wänden standen, waren vollkommen eingerichtet. Das Bettzeug steckte noch in den feinen Leinüberzügen, und die seidenen Steppdecken schienen nichts an Farbe und Haltbarkeit eingebüßt zu haben. Alles, was zur Bequemlichkeit vornehmer Leute gehört, war hier vorhanden, und wenn auch unter einer Last von Staub vergraben, doch noch in völlig brauchbarem Zustande. An dies Zimmer stieß ein zweites, weit größeres mit zwei Fenstern; es war ebenfalls meublirt, wenngleich in veraltetem Geschmack und, wie nicht zu verkennen war, mit Möbeln, die man aller Orten zusammengesucht hatte. Ein alterthümlicher Schreibtisch mit kunstreich ausgelegter Platte und seltsam geschnörkelten Füßen wollte durchaus nicht zu der mehr modernen Form des roth überzogenen Sofas passen, und die goldenen Rahmen, in denen einige nicht übel gemalte Jagdstücke an den Wänden hingen, harmonirten nicht mit der versilberten Fassung des großen Wandspiegels. Aber sei es auch darum – es fehlte ja nichts, was den Raum behaglich machen konnte; selbst ein großer, wenn auch etwas verblichener Teppich lag auf dem Boden, und unter dem Spiegel stand eine große, alterthümliche Uhr. Es folgte noch ein kleines, ebenfalls eingerichtetes Cabinet, von welchem eine Thür nach Vorsaal und Treppe führte. Hinter den Zimmern lagen drei Räume von gleicher Größe, deren Fenster in den Garten sahen und von denen das eine, tannene Möbeln und zwei Betten enthaltend, jedenfalls für die Dienerschaft bestimmt gewesen war.

„Potz tausend!“ sagte der Oberförster vergnügt lachend, „da finden wir ja eine Bescheerung, die unsere bescheidenen Seelen sich nicht einmal haben träumen lassen. Na, wenn das der Hochselige wüßte, er drehte sich in seinem zinnernen Grabe um. … Das sind lauter Dinge, die wir der pflichtvergessenen Seele einer Beschließerin oder dem ungetreuen Gedächtniß eines altersschwachen Haushofmeisters verdanken.“

„Aber dürfen wir sie denn auch behalten?“ fragten Frau Ferber und Elisabeth, die bis dahin vor freudiger Ueberraschung starr gewesen waren, wie aus Einem Munde.

„Ei freilich, liebe Frau,“ beruhigte der Vater, „Dein Onkel hat Dir das Schloß vermacht mit Allein, was es enthalte.“

„Und das ist wenig genug,“ grollte der Oberförster.

„Im Vergleich zu unseren Erwartungen aber eine wahre Fundgrube von Schätzen,“ sagte Frau Ferber, indem sie einen hübschen Glasschrank öffnete, der verschiedenes Porcellan enthielt, „und wenn mich damals, als ich noch hoffnungsmuthig und anspruchsvoll in’s Leben sah, der Onkel mit einem reichen Vermächtniß bedacht hätte, es würde mir sicher keinen größeren Eindruck gemacht haben, als in diesem Augenblick die unverhoffte Entdeckung, welche uns großer Sorgen enthebt.“

Elisabeth bog sich unterdessen aus dem Fenster des zuerst betretenen Zimmers und versuchte mit ihren Armen die Zweige zu trennen, welche die ganze Fensterreihe der Fronte vollständig verbarrikadirten und deshalb in den Zimmern gerade nur ein grünes Dämmerlicht zuließen. „Schade,“ meinte sie, das Ohnmächtige ihrer Anstrengung einsehend, „ein wenig Aussicht in den Wald hätte ich schon gern gehabt!“

„Glaubst Du denn,“ sagte der Oberförster, „ich würde Euch hinter dieser grünen Verschanzung stecken lassen, die jeden frischen Luftzug abwehrt? Dem soll heute noch abgeholfen werden, darauf verlasse Dich, Klein-Else.“

Sie gingen die Treppe hinab. Auch sie war in gutem Zustande und führte in eine große Halle, in deren Mitte eine ungeheure eichene Tafel, von hochbeinigen Stühlen umgeben, stand. Der Fußboden war von rothen Backsteinen, Wände und Plafond aber zeigten kunstvolle Holzschnitzereien. Dieser große Raum hatte außer vier Fenstern zwei Thüren, die sich gegenüber lagen; eine derselben führte in den Garten, die andere, die sich nur schwer öffnen ließ, aus einen schmalen, freien Platz, der sich zwischen das Gebäude und die äußere Mauer drängte. Hier hatten sich die Syringen und Haselsträucher ungemein üppig ausgebreitet, allein es gelang doch den Männern, einen Durchgang zu erzwingen und mit drei Schritten standen sie vor einem Pförtchen in der gegenüberliegenden Mauer, das hinaus in das Waldgestrüpp führte.

„Nun, sagte Ferber erfreut, „hier fällt auch das letzte Bedenken weg. Dieser Eingang ist viel werth. Wir brauchen nun nicht mehr durch die Höfe zu gehen, was jedenfalls sehr umständlich und immerhin gefährlich gewesen wäre.“

Noch einmal wurde die Wohnung durchschritten, die künftige Einrichtung derselben besprochen und der Maurer für morgen bestellt, damit er eines der Hinterzimmer zur Küche einrichte. Dann, nachdem man die Eichenthür, die nach dem großen Flügel führte, gehörig verrammelt und verriegelt hatte, wurde der Rückweg durch das Mauerpförtchen angetreten, ein Unternehmen, das für den Augenblick durch das dichte Gebüsch zwar sehr erschwert wurde, trotzdem aber doch dem ersten halsbrechenden Weg vorzuziehen war.

Als die Heimkehrenden den Garten des Forsthauses betraten, kam ihnen Sabine in Begleitung des kleinen Ernst, den man ihrer Obhut anvertraut hatte, erwartungsvoll entgegen. Sie hatte unter den Buchen auf einem weißgedeckten Tische den Nachmittagskaffee servirt und das schattige Plätzchen auf das Behaglichste eingerichtet, wollte nun aber auch wissen, wie man die Dinge droben gefunden, und schlug bei dem Bericht vor freudigem Erstaunen die Hände zusammen.

„Ach, du meine Güte!“ rief sie aus, „sehen der Herr Oberförster, daß ich Recht hatte?.… Ja, ja, die Sachen sind vergessen worden, und das ist auch gar nicht zu verwundern. Sowie der junge Herr von Gnadewitz unter die Erde gebracht war, ist der alte Gnädige über Hals und Kopf abgereist und hat alle Dienerschaft mitgenommen. Nur der alte Hausverwalter Silber ist zurückgeblieben; der war aber zuletzt ganz schwach im Kopfe und ein unmenschlich viel Zeug hat auch drunten im neuen Schloß gesteckt, da hatte er mehr als genug zu thun, daß ihm nichts unter der Hand wegkam, und da ist zuletzt das Alles da droben stehen geblieben und keine Menschenseele hat mehr davon gewußt. ... Du lieber Gott, ich habe ja jedes Stück davon unter den Händen gehabt und habe es abstäuben und putzen müssen ... Und vor der Uhr habe ich mich immer so gefürchtet denn, die spielt ein trauriges Stückchen, wenn sie schlägt und das klang so grausig durch die Stuben, wo ich mutterseelenallein hantiren mußte … Ja, damals war ich noch jung ... wo sind die Zeiten hin!“ –

Es folgte nun eine gemüthliche Stunde der Ruhe und des behaglichen Ueberlegens, während der Kaffee getrunken wurde. Weil Elisabeth gemeint hatte, sie könne sich nichts Schöneres denken, als zum ersten Mal am Pfingstmorgen da droben aufzuwachen, wenn die Kirchenglocken der umliegenden Dörfer hinauf klängen, eine Ansicht, die auch Frau Ferber theilte, so wurde beschlossen, die Renovirung mit allen Kräften schon morgen in’s Werk zu setzen, um das Beziehen der Wohnung bis zum Pfingstabend zu ermöglichen, und der Oberförster stellte alle seine Leute zur Verfügung.

Sabine hatte nicht weit von der Gesellschaft auf einer Rasenbank Platz genommen, um bei der Hand zu sein, wenn man etwas bedürfe. Um nicht ganz müßig zu bleiben, hatte sie ein paar Hände voll junger Möhren aus dem Beete gezogen, die sie eifrig schabte und putzte. Elisabeth setzte sich zu ihr und half bei der Arbeit

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_034.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)