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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

hat. Dagegen war es ihm eine Leichtigkeit, Tage lang Hunger und Durst zu ertragen oder zwanzig Stunden hindurch ununterbrochen seinen berühmten Sechserzug zu fahren, dessen Pferde so scharf in die Hand gingen, daß sie den Wagen mehr mit den Zügeln, als den Strängen zu ziehen schienen und starke Männer die Führung kaum zwei Stunden lang auszuhalten vermochten.

Eine merkwürdige Eigenthümlichkeit des Mannes war auch die, daß er bei Tage schlecht, in dunkelster Nacht dagegen ausgezeichnet gut sah, was ihm bei nächtlichen Unfällen manchmal sehr zu statten kam. Des Grafen Liebenswürdigkeit und Heiterkeit im Umgang, seine Liberalität und sein fürstlicher Reichthum machten sein Haus zu einem steten Sammelplatz der besten Gesellschaft, unter welcher namentlich die Künstler immer gut vertreten waren. Daß Sándor emsig die Pferdezucht betrieb und ein treffliches Gestüt unterhielt, war bei seiner Liebhaberei und seinem Besitz fast selbstverständlich. In den Ställen zu Bajna konnte man die schönsten, besten Thiere des In- und Auslandes sehen; hier standen auch seine Lieblingsrosse, deren Namen im Lande so berühmt und bekannt waren, wie derjenige ihres Herrn, darunter Tartar, das berühmteste von Allen. Unter den vielen Reiterstücklein, die Graf Sándor auf diesem ausgeführt hat, wollen wir einige herausheben und erzählen.

Eines schönen Morgens ritt Graf Sándor von seinem Gute Raro nach Raab. Er hatte dabei den breiten Donau-Arm zu passiren, welcher die Insel Klein-Schütt bildet; um zur Fähre zu gelangen, hätte er einen großen Umweg machen müssen; das war nicht seine Sache, er wählte den geradesten Weg und warf sich mit Tartar in den breiten, reißenden Strom. Unverzagt kämpfte das edle Thier gegen denselben; schon war das Ufer ganz nahe, hier aber auch das Wasser am tiefsten, die Fluth am heftigsten. Ihr vermochte der starke Reiter nicht zu widerstehen, sie hob ihn aus dem Sattel und er mußte das Ufer schwimmend erreichen. Tartar aber, anstatt seinem Herrn zu folgen, kehrte sofort um und schwamm die ganze lange Strecke zurück zu dem zitternd am Ufer harrenden Reitknecht, welcher nicht gewagt hatte, es dem Grafen nachzuthun. Dieser befand sich in einer keineswegs beneidenswerthen Situation auf einer einsamen Strominsel. Zwar benützte er seine Zeit und die Sonne, um die durchnäßten Kleider gründlich zu trocknen, doch ward ihm der Tag gewaltig lang, bis endlich spät der Reitknecht mit Fährleuten erschien, um den Donau-Robinson zu erlösen.

Es mußte wieder nach Raro zurückgeritten werden. Um den Weg abzukürzen, wählte der Graf eine schmale, in den Park führende Brücke, welche jedoch für Pferdehufe nicht berechnet war; in der Mitte brach Tartar durch die morschen Breter hinab in den tiefen Sumpf, aus dem er sich nur mit der größten Anstrengung rettete. Sein Reiter aber hatte das zierliche Brückengeländer erfaßt und schwebte zwischen Himmel und Erde; da dasselbe ihn nicht zu ertragen vermochte, so mußte er, Hand um Hand vorgreifend, sich zu erhalten suchen, bis es ihm gelang, mit einem Schwung auf den Unterbalken und darauf fortrutschend, an das Ufer zu kommen. Hier wartete Tartar geduldig, ward bestiegen und es war noch Zeit genug, im Vorüberreiten den kranken Obergärtner zu besuchen, vor dessen Bett im ersten Stockwerk plötzlich der Graf hoch zu Roß erschien. Das furchtbare Gepolter und der Schreck stellten den Mann sofort wieder vollkommen her.

Ein andermal ließ sich Graf Sándor sein Leibpferd Tartar gesattelt und gezäumt in das Schlafzimmer seines Ofener Palais im zweiten Stock bringen, saß daselbst auf und ritt, begleitet von seinen lustig kläffenden Hunden, gemüthlich die steinerne Haupttreppe hinab in den Hof, wo die Insassen in lautlosem Schreck seiner harrten. Aber ohne Fehltritt kamen die Beiden unten an und flogen nach dem Donauquai. Es war im Spätwinter, der breite Strom befand sich unter mächtigem Eisgang, die Kettenbrücke war damals noch nicht vorhanden. Aber Graf Sándor wollte nach Pest, und wenn er Etwas wollte, so setzte er es auch durch. Anfänglich war kein Fährmann zu finden, jeder zuckte die Achsel, wenn er den Bietenden nicht geradezu auslachte. Aber dieser erhitzte sich; „tausend Gulden!“ Diesem Zauberwort konnten die Ofener Fergen doch nicht widerstehen, ihrer sechs sprangen in die Fähre, mitten unter sie der Graf auf dem Tartar dessen Sattel er während der Ueberfahrt nicht verließ. Es war ein grausiger Anblick, dieser Kampf der tollsten Wagehalsigkeit mit den entfesselten Elementen; in riesiger Anstrengung mußten die braven Schiffer ihren Sold verdienen, alle Augenblicke schoben sich ungeheure Eisschollen vor, unter, hinter, neben dem Boote zusammen, als wollten sie es zerquetschen; das Rollen der Wasser, das Knirschen der sich reibenden Blöcke, die mit der Gewalt von Kanonenschüssen zerspringende Decke des Flusses verwirrten die Sinne und ließen das Unternehmen noch gefährlicher erscheinen, als es an und für sich schon war. Auf beiden Ufern waren daher Hunderte zusammengelaufen und harrten mit angstvoller Spannung des Ausgangs. Aber glücklich kamen die Waghälse nach unsäglicher Arbeit hinüber und zufrieden sprengte der Graf durch die ihm zujauchzende Menge.

Zunächst wollte er seinen Schwager, den Grafen Keglevich, besuchen. Wer in Pest gewesen ist, kennt die eigenthümliche Bauart der dortigen Häuser, welche einen Hof im Quadrat umgeben und deren Etagenthüren sich auf offene, säulengetragene Galerieen münden. Sándor ritt die Stiege hinauf und auf der Galerie des ersten Stocks bis vor die gerade am Ende derselben befindliche Thüre Keglevich’s, die er jedoch geschlossen fand. Jetzt war aber guter Rath theuer, denn der Gang war nur drei Fuß breit und unmöglich, das Pferd zu wenden. Da Sándor niemals aus dem Sattel stieg, um ein Hinderniß zu beseitigen, so suchte er auch jetzt, den Hengst hufen zu lassen und so verkehrt wieder zurück zu gelangen. Allein Tartar war kein Freund des Rückschritts, ward unwillig, stieg in die Höhe und machte Miene, mit seinem Reiter über das Geländer in den Hof hinab zu springen. Dieser aber wußte das Manöver des Thieres mit unnachahmlicher Geschicklichkeit zu benützen; sobald es sich wieder bäumte, wendete er es rasch auf dem Hintertheil herum, was, da die Marmorplatten der Galerie voll Glatteis waren, höchst gefährlich hätte ablaufen können, und ritt so davon. Nach Erledigung einiger dringender Geschäfte wollte Sándor wieder nach Ofen zurückkehren und begab sich in Begleitung des Grafen Szapary an die Donau. Im Begriff, in die Fähre einzureiten, schwankte diese unter dem Andrang eines Eisstoßes und Tartar fiel mit den Vorderbeinen in’s Wasser hielt sich aber noch mit der Schnauze am Schiffsrand fest bis die Schiffer den Kahn wieder genähert hatten, worauf er sich hineinschnellte; in einem Augenblick war Alles geschehen. Die Rückfahrt glich völlig dem Hinweg, nur war Tartar so ungeduldig, daß er kaum gebändigt werden konnte; noch ziemlich weit vom jenseitigen Ufer ab flog er in einem erstaunlichen Satz auf das feste Land „und mit gewalt’gem Huftritt hinter sich, wirft er das Schifflein in den Schlund der Wasser“, so daß es umschlug und wenig fehlte, den Fergen noch ein kaltes Bad zu schaffen. Wohlgemuth schlug nunmehr der Graf den kürzesten Weg zu seinem Palais ein, ritt die steile, eisbelegte Ofener Festungstreppe – schon dem Fußgänger beschwerlich – hinan und ließ den Tartar, wie gewöhnlich, auf den Hinterfüßen in den heimischen Hof tanzen.

Das waren die Thaten eines Tags; dergleichen gab es aber unzählige in Sándor’s Leben. Noch einen letzten Zug von dem Tartar: als das Pferd alt und gebrechlich geworden war, gab ihm sein Herr zum Dank für seine treuen Dienste und seine wahrhaft wunderbare Bravour das Gnadenbrod auf einem seiner Meierhöfe. Fünf Jahre lang hatte es der Graf nicht mehr gesehen; als er eines Tages kam, waren gerade die Pferde, unter ihnen der mittlerweile völlig erblindete Tartar, zur Tränke geführt worden. Laut rief der Graf den Namen und das „Hopp!“ mit welchem er ihn zu so manchem kühnen Sprung angefeuert hatte, und hellauf wiehernd flog das treue, edle Thier über den Brunnentrog hinweg, bis vor seinen Herrn und Freund, brach da nieder und verendete sofort zu dessen Füßen.

Einer der entsetzlichsten Ritte, welche Sándor jemals gewagt war der mit dem Gonos, einem Pferd seiner eigenen Zucht. Er fand, nach längerem Aufenthalt in Rom zurückgekehrt, dasselbe stutzig und verritten; es wollte durchaus nicht aus dem Stallhofe des Schlosses Bia, bis es der Graf, der darauf saß, durch Reitknechte hinauspeitschen ließ, so, daß es in blinder Wuth durchging. Es sprang zuerst über ein Bauernthor, nahm mehrere starke Umzäunungen, raste dann über Ackerfeld fort, wälzte sich, in erneuertem Koller, mit seinem Reiter in einem breiten Sumpfgraben, wobei die Kinnkette riß, setzte darauf über eine Kirchhofmauer und mähte, unaufhaltsam bockend, die hölzernen Kreuze nieder, flog wieder hinaus auf’s Feld und geradewegs einem tiefen Steinbruch zu. Umsonst wandte der Graf alle Kraft und Kunst

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