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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Die Menge wagte keine Gewaltthat. „Geht, ihr Kinder!“ rief die Theot, „ich bin aus den Mauern der Bastille zurückgekehrt in die Freiheit, ich werde auch aus dieser Gefahr erlöset. Stimmt den Gesang an zu Ehren des Höchsten.“

Ein Lied erschallte, die Schwärmer umarmten sich, es schien Allen gewiß, daß sie in den Tod gingen, aber sie freuten sich auf den Augenblick, wo sie ihrer finstren Lehre geopfert wurden. Sénart drängte sie auseinander. In der Mitte des Saales schwamm in einer Blutlache die Leiche Briot’s. Ein Messer war ihm durch’s Herz gestoßen.

„Der hat es bezahlen müssen, Du sollst dafür aufkommen,“ sagte Sénart drohend zu Dom Gerle. „Deine Frommen sind Teufel.“

Die Gensdarmen umgaben ihre Gefangenen. Mit Gesang zog die Versammlung aus den Räumen, lächelnd, wie überselig, umhalsten sich die Schwärmerinnen, und, unten auf der Gasse angelangt, segnete die Mutter das Volk. Nur der von Sénart hoch emporgehaltene Befehl des Wohlfahrtsausschusses hielt die Menge ab, Befreiungsversuche zu unternehmen.

Eine Stunde darauf schlossen sich die Kerkerthüren von la Force hinter den Mitgliedern des Bundes ‚der Mutter Gottes‘.

Die Ausschüsse hatten ihren Zweck erreicht. Es blieb nun die Anklage zu erheben, die Vadier und Lacoste unter dem Namen „Verschwörung des Auslandes“ in schärfster Weise vor den Convent brachten. Cäcilie Renault’s angeblicher Mordversuch ward mit hineingezogen und das Ganze für ein Machwerk Pitt’s ausgegeben, der Robespierre und die Freiheit stürzen wolle. Beißende Anspielungen auf den Dictator blieben nicht aus. Er erschien als Götze einer gefährlichen politisch-religiösen Gauklerbande, aber Alles war durch die gewandte Feder Barrière’s so in Achtung gehüllt, daß es eines geübten Auges bedurfte, um den Mordstahl zu erblicken der sich hinter der scheinbaren Sorge für Robespierre barg.

Alle die Häupter und Aristokraten des Bundes wurden durch den öffentlichen Ankläger des Todes schuldig erklärt. Ebenso Cäcilie Renault.

Vadier trat zu Robespierre in’s Zimmer. „Maximilian,“ sagte er, ihn starr anblickend, „wir haben Deine Feinde heute verurtheilt. Es sind die Feinde der Freiheit. Sie werden morgen sterben. Reiche mir Deine Rechte und schütteln wir uns Beide die Hände, Du bist uns Dank schuldig und wir haben Dich der Freiheit erhalten.“

Robespierre gab ihm die Hand. Als Vadier ihn berührte, zuckte er zusammen, wie von glühendem Eisen getroffen. Er fühlte die Schläge, die ihn trafen, er hörte den Angstruf seiner Freunde, alles Blut kam auf ihn, er sträubte sich unter der Last des Mordes und wagte nicht ihn zu mißbilligen.

Am 17. Juni bestiegen die ‚Kinder der der Mutter Gottes‘ das Schaffot. Man führte sie, alle mit rothen Hemden bekleidet, auf zehn Karren dahin. Sartines starb zuletzt. Frau von St. Amaranthe und ihre Tochter hielten sich umschlungen, bis der Henker sie auseinanderriß. Sie starben mit Verwünschungen oder Verzeihung auf ihren Lippen für Robespierre, den sie Alle für den Urheber ihres Unglücks ansahen. Keiner von ihnen hat Feigheit oder Zaghaftigkeit in der Stunde des Todes blicken lassen, und das Grab schloß sich über Alle, ohne daß die eigentlichen Zwecke des mystischen Treibens klar zu Tage getreten sind; auch die Herkunft der schönen St. Amaranthe ist mit tiefem Geheimniß bedeckt geblieben.

Katharine Theot starb zwei Wochen nach ihrer Einkerkerung. Dom Gerle blieb lange im Gefängnisse. Wer ihn rettete, ist nie bekannt geworden.

Robespierre war am 17. Juni für Niemand sichtbar. Er erlag der furchtbaren Gewißheit, daß Mit- und Nachwelt alle Schuld und alles Verbrechen auf ihn häufen werden, Verbrechen, gegen die zu protestiren er nicht mehr wagte.

Vom 17. Juni 1794 an begann der Boden unter seinen Füßen zu schwinden.

George Hiltl.


Sándor mit Tartar auf dem Eise der Donau.
(S. S. 31.)

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 28. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_028.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)