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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Orten leben und die Disposition zu dieser Krankheit in sich tragen, den Ausbruch derselben befördert. Von den vielen Hundert Cholerakranken, mit welchen Verfasser verkehrte, hatte auch nicht ein einziger eine Bauchbinde (die aber auch in der Nacht nicht abgelegt werden darf) getragen.

Vorläufig mögen diese wenig Beispiele hinreichen, um in Kürze auf die Wirkung kleiner und unbedeutend scheinender Ursachen aufmerksam gemacht zu haben. Betrachten wir nun diejenigen Leiden bestimmter Organe etwas genauer, welche gar oft durch scheinbar ganz geringfügige Dinge nicht blos in ihrer Heilung gehindert, sondern sogar lebensgefährlich werden können.

Die Krankheiten des Magens und Darmcanals, zumal wenn sie entzündlicher oder geschwüriger Natur sind und mit Schmerzen, Appetitlosigkeit, Aufstoßen, Brechen, Durchfall etc. einhergehen, werden am häufigsten durch den Genuß unpassender Speisen und Getränke incommodirt und in der Regel von Seiten der Aerzte durch Arzneimittel maltraitirt. – Kalte und reizende, auch kohlensäurereiche Getränke wirken bei den allermeisten dieser Krankheiten der Heilung dergestalt entgegen, daß bisweilen aus einem heilbaren ungefährlichen Leiden ein chronisches und gefährliches hervorgeht. So kann z. B. der Magenkatarrh dadurch zur Magenverhärtung getrieben werden. Nur beim Blutbrechen ist Kaltes (das Verschlucken von Eisstückchen) zur Stillung der Blutung erforderlich.

Was nun die Speisen betrifft, so muß, zumal bei schmerzhaften Magenleiden (ganz besonders beim Magenkrampfe in Folge eines Magengeschwürs), alles Feste fern bleiben, und wenn dieses auch nur aus kleinen Körnchen oder feinen Schalen bestände. So können z. B. schon Compots aus Beeren ihrer Schalen und Körnchen wegen, Suppen mit Gries, Gräupchen, Nudeln, Reis etc., ungeschältes Obst, undurchgeschlagene Hülsenfrüchte, schlecht gekautes Fleisch etc. dadurch gefährlich werden und sogar den Tod herbeiführen, daß sie sich auf wunde, geschwürige Stelle des Magens oder Darmes auflagern und zur tödtlichen Durchbohrung dieser Organe Veranlassung geben. Schon mancher Nervenfieber-Reconvalescent, den selbst der Arzt außer aller Gefahr erklärte, starb noch und zwar ziemlich schnell, weil sich ein fremder Körper (Weinbeerkern, Pflaumenschale) in ein vernarbendes Typhusgeschwür eingelegt und dadurch eine Darmdurchbohrung (mit nachfolgender Bauchfellentzündung) erzeugt hatte. Man sieht hieraus, mit wie großer Vorsicht derartige Kranke gespeist werden müssen. So ist auch bei der Ruhr, überhaupt bei allen Brech- und Durchfallskrankheiten, ganz besonders aber beim Magenkrampfe, weil dieser in der Regel von einem (runden) Magengeschwüre veranlaßt wird, die Wahl der Nahrungsmittel von weit größerer Bedeutung als die meist ganz unnütze oder sogar schädliche Heilkünstelei.

Wenn also bei Magen- und Darmleiden der Genuß fester Nahrung nachtheilig ist oder doch werden kann, so dürfen natürlich nur dünn- oder dickflüssige (breiige) Speisen genossen werden, die aber trotz ihres Flüssigseins doch auch genug Nahrungsstoffe zur Ernährung unseres Blutes und Körpers besitzen müssen. Und unter diesen stehen zwei natürliche Nahrungsmittel obenan, d. i. weiches Ei (aber ebenso das Weiße wie das Dotter) und kräftige Fleischbrühe; an sie schließen sich dann zwei künstliche Nahrungsmittel, nämlich (an Stelle des Fleisches) das sogenannte Liebig’sche Fleischextract[1] und (um das Fett zu ersetzen) ein reizloses Malzextract[2]. Die Milch, obschon das beste Nahrungsmittel, wird deshalb selten vertragen, weil ihr Käsestoff im Magen (zu Quarkstücken) gerinnt und dann beschwerlich wird.

Gegen Verstopfung, welche sehr gern Magenleiden begleitet, wende man niemals Abführmittel, immer nur Klystiere (von warmem Wasser mit etwas Oel, Salz oder Seife) an, aber freilich müssen diese recht ordentlich in den Darm hinaufgespritzt werden (s. Gartenl. 1855, Nr. 21). – Wer, zumal gleich beim Beginne einer Verdauungsstörung, diesen hier gegebenen Rathschlägen folgt, wird’s sicherlich nicht bereuen sich von Arzneien fern gehalten zu haben.

Bock.




Die Mutter Gottes.
Ein Beitrag zur geheimen Geschichte der französischen Revolution.
I.


Frau von St. Amaranthe[3] war eine der schönsten Damen ihrer Zeit. Diese Eigenschaft hatte 1794 in Paris ihre Vortheile und Gefahren, allein Frau von St. Amaranthe schien sich nur der ersteren zu erfreuen, denn inmitten der Schreckenszeit führte sie ihren Haushalt, ihre Lebensweise in einer den herrschenden Grundsätzen so entgegengesetzten Art, daß alle Welt über die Blindheit oder Duldsamkeit des Wohlfahrtsausschusses von Paris erstaunt war. Frau von St. Amaranthe unterhielt Verbindungen mit den Emigrirten, in ihrem Hause hatten sich vor Ausbruch der Revolution Leute aller politischen Schattirungen bewegt, was allein genügte, die Person verdächtig zu machen; Frau von St. Amaranthe hatte sogar in ihren Salons die Bilder Ludwig’s des Sechszehnten und Maria Antoinette’s an den Wänden hängen, und um das Maß voll zu machen, verheirathete sie ihre sehr reizende, sechszehnjährige Tochter mit dem Sohne des ehemaligen Polizeiministers Sartines, der zwar Paris mit seiner jungen Gattin verließ, dessen royalistische Freunde jedoch von nun an vielfach bei Frau von St. Amaranthe verkehrten. Man erwartete in der Nachbarschaft der kühnen Frau täglich die verhängnißvolle Kutsche mit den Gensd’armen des Wohlfahrtsausschusses vor dem Thore des Hotel St. Amaranthe halten zu sehen, man horchte, ob nicht das bekannte Angstgeschrei ertöne – umsonst. Frau von St. Amaranthe blieb nach wie vor im ungestörten Besitz ihres Glanzes; ihre Gewohnheiten, ihre offen zur Schau getragene Neigung zum Königthume hemmte Niemand und der Zauber ihrer Persönlichkeit schien sie vor Kerker und Schaffot bewahrt zu haben.

Diese sichere Stellung in einer von Gefahren wimmelnden Epoche war übrigens nicht das einzige Räthsel, welches bezüglich der Persönlichkeit für Frau von S. Amaranthe zu lösen blieb. Welches Ursprungs war sie? Woher kam sie? Niemand wußte es zu sagen. Sie hatte eines Tages das große Hotel gekauft, welches einst der bekannte Schriftsteller Helvetius gebaut und bewohnt hatte, in diesen prächtigen Räumen eröffnete sie Salons, in denen, wie gesagt, die noble Gesellschaft vor und nach dem Ausbruche der Bewegungen verkehrte. Frau von St. Amaranthe behauptete, die Wittwe eines Edelmannes, eines Officiers, zu sein, der am 6. October bei den Vorfällen in Versailles ermordet worden sei. Ueber gemordete, verschwundene oder gefallene Menschen ließ sich nun freilich zu jener Zeit keine genaue Nachforschung anstellen, und so mußte man denn die Behauptung der Frau von St. Amaranthe gelten lassen, obwohl Mancher die Sache anders wissen wollte und namentlich über den Vater der schönen Tochter wunderliche Gerüchte umliefen.

Zum Erstaunen Aller kehrte sogar nach kurzer Abwesenheit der Schwiegersohn der Frau von St. Amaranthe, Herr von Sartines, mit seiner Frau nach Paris zurück, nahm Wohnung in dem Hotel seiner Schwiegermutter und man sah ihn wenige Tage später öffentlich am Arme eines alten Herrn, Namens de Quesvremont, den die Volksstimme als einen Ludwigsritter und geheimen

  1. Das Liebig-Pettenkofer’sche Fleischextract genieße man in guter, fetter Fleischbrühe, wodurch es schmackhafter und noch nahrhafter wird.
  2. Unter den Malzextracten kann der Verfasser nach seiner Erfahrung ganz besonders empfehlen: Das chemisch-reine, von Dr. Linck bereitete Malzextract, welches ganz frei von Weingeist und Kohlensäure ist, nur einen kleinen Zusatz feinen Hopfens hat und in Stuttgart von Heinsius verkauft wird; das kleberhaltige Malzpräparat des Dr. Döbereiner in Freiburg an der Unstrut, welches außer seinem Eiweiß-(Kleber-)Gehalte auch noch die phosphorsauren Salze der Gerste enthält; das Trommer’sche Malzextract. Diese Malzextracte können in Wasser, Bier, Milch etc. genossen werden und nach Bedürfniß in kleinerer oder größerer Quantität (s. Gartenl. 1862, Nr. 19).
  3. Gewiß erinnern sich unsere Leser und namentlich unsere Leserinnen noch mit Vergnügen der geistreichen Skizze „Prinzessin Champagner“ (1865 Nr. 43 und 44), in welcher dieselbe Frau von St. Amaranthe, welche die Hauptperson der obenstehenden geschichtlichen Skizze bildet, im Cabinet der Madame Tussaud zu London eine so hervorragende Rolle spielt
    Die Red.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_009.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)