Seite:Die Gartenlaube (1866) 004.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

hier hat er mir einige Dinge gesagt, die Du nicht zu wissen brauchst, über die ich alter Kerl mich aber ebenso gefreut habe, wie dazumal, als unser alter Schulmeister nach dem Examen zu mir sagte: ‚Karl, Du hast Deine Sache wacker gemacht.‘ .… Nun hat mir der Durchlauchtigste aufgetragen, Dir darüber zu schreiben, und er will auch die nöthigen Befehle geben – dreihundert und fünfzig Thaler Gehalt, Holzbedarf frei. Ueberlege Dir’s, das Ding ist so übel nicht, und der grüne Wald ist mir doch tausend Mal lieber, als Eure vermaledeiten Dachkammern, wo Nachbars Katzen miauen und wo der Rauch aus Millionen Kaminschlünden Euch in die Augen beißt.

Daß Du mir nun aber nicht etwa denkst, ich sei auch so einer von den Fuchsschwänzen, welche die Gnade ihres Herrn benützen, um ihre Angehörigen in’s Aemtchen zu bringen. Siehst Du, wenn Du nicht wärst, was Du bist, d. h. wenn Du Deine Sache nicht gelernt hättest, da bisse ich mir eher die Zunge ab, als daß ich meinen Herrn mit Dir betrügen möchte; hinwiederum würde ich jeden wildfremden Menschen mit Deinen Kenntnissen und Gesinnungen ebenso warm empfehlen, wie Dich … Nichts für ungut, aber Du weißt es ja, daß ich niemalen ein Freund von unklaren Begriffen gewesen bin.

Da kömmt nun aber noch ein Casus, der besprochen sein will. Eigentlich müßtest Du bei mir wohnen, und das ginge auch, wenn Du ein Junggeselle wärst, der nur vier Wände für sein Ich und einen Kommodenkasten für seine Vatermörder und dergleichen Zeugs brauchte. Für eine ganze Familie habe ich jedoch schlechterdings keinen Platz in meinem einsamen, alten Rattennest von Forsthaus, das längst eine eingreifende Cur nöthig hätte; aber die gestrengen Herrn von droben denken nicht eher dran, als bis die einbrechenden Balken den Streusand über die einhundertundfünfzigste Eingabe schütten. Das nächste Dorf ist über eine halbe, die nächste Stadt eine ganze Stunde entfernt vom Forsthaus – läßt sich durchaus nicht einrichten; denn Du kannst bei dem Hundewetter, wie wir’s zum Oefteren hier erleben, nicht so weit laufen.

Da hatte aber die alte Sabine, meine Haushälterin, die hier im nächsten Dorfe geboren ist, einen pudelnärrischen Einfall. Das alte Schloß Gnadeck – der brillante Nachlaß des hochseligen Herrn von Gnadewitz – liegt, wie ich Dir schon schrieb, ohngefähr einen Büchsenschuß weit vom Forsthaus. Nun meinte Sabine, als sie noch eine rüstige Dirne gewesen sei – das ist, nebenbei gesagt, weit über ein Vierteljahrhundert her – da habe sie als Stubenmädel bei den Gnadewitzens gedient. Damals sei das neue Schloß noch nicht vollständig eingerichtet gewesen und habe nicht ausgereicht für die vielen Gäste, die jedes Jahr die großen Jagden mitgemacht hätten. Da sei nun der sogenannte Zwischenbau auf Schloß Gnadeck – wahrscheinlich ein Verbindungsgebäude zwischen zwei Hauptflügeln des Schlosses – ein wenig aufgefrischt und hergerichtet worden. Sie selbst hat droben die Betten machen und lüften müssen, wobei sie sich immer sehr gefürchtet haben will. Na, ich glaub’s gerne; es steckt ja ohnehin unter der alten Bandmütze ein ganzer Wust von Teufelsspuk und Hexengeschichten, sonst ist sie aber eine ganz respectable Person, die meinen Haushalt am Schnürchen hat.

Sie behauptet nun steif und fest, der Bau könne noch nicht so arg zerfallen sein; denn er habe damals sehr fest ausgesehen und gäbe doch vielleicht für Dich und die Deinen noch eine ganz hübsche Wohnung. Möglich wär’s schon; aber ob Deine Kinder sich nicht vor dem Hans Ruprecht und dergleichen fürchten, wenn sie in dem alten Mauerwerk hausen sollen?

Du weißt, daß ich mich schwer geärgert habe über das nichtsnutzige Vermächtniß des ‚hochseligen Herrn von Gnadewitz‘ und es deshalb nicht über mich gewinnen konnte, das alte Nest, seit meiner Versetzung hierher, auch nur ein einziges Mal anzusehen. Auf Sabine’s Aussage hin hat mir jedoch einer meiner Burschen gestern Nachmittag auf einen Baum klettern müssen an der einzigen Stelle, wo man in das Kukuksnest sehen kann; er sagt aber, es läge da drin Alles durcheinander wie Kraut und Rüben. Da war ich nun heute Morgen drin in der Stadt bei den Herren vom Gericht: aber sie gaben mir die Schlüssel nicht heraus ohne eine Vollmacht Deiner Frau und thaten überhaupt so ängstlich, als lägen die Schätze von Golkonda in den alten Rumpelkammern. Keiner von denen, die damals versiegelt haben, konnte mir sagen, wie’s drin aussieht; denn sie waren wohlweislich draußen geblieben in der Meinung, es möchten einige Zimmerdecken die Freundlichkeit haben, auf ihre weisen Köpfe zu fallen, und haben sich begnügt, das Hauptthor mit einem Dutzend handgroßer Amtssiegel zu beklecksen. Wäre mir nun am allerliebsten, wenn wir die Dinge in Gemeinschaft besehen und überlegen könnten; deshalb entscheide Dich möglichst rasch und mache Dich dann mit den Deinen auf den Weg –“

Hier ließ Elisabeth das Blatt sinken und richtete die leuchtenden Augen in athemloser Spannung auf Ferber.

„Nun, und was hast Du beschlossen, lieber Vater?“ fragte sie hastig.

(Fortsetzung folgt.)




Die Sängerrunde am Weinsberger Thurm.
I.


Nur eine Stunde von Heilbronn, durch einen hohen Bergrücken von ihm getrennt, liegt Weinsberg; in zehn Minuten fährt man’s mit der Eisenbahn, und doch wie ganz anders wird plötzlich der Charakter der Gegend! Dort der Neckar mit flachen Ufern, unbestimmte Fernsicht, moderne Häuser, lärmende Fabriken, Wunsch und Blick schweifen in die Weite; hier ein stilles, von grünen Bergen umschlossenes Thal, in seiner Mitte auf steilem, isolirtem Bergkegel die Ruinen der Weibertreu, ihr zu Füßen das alte, amphitheatralisch gebaute Städtchen mit der grauen, romanischen Kirche, der säulengestützten alten Linde. Dem Wanderer wird plötzlich so heimathlich zu Muthe, er möchte hier rasten, ist es ihm doch, als wäre er da einmal in früher Jugend gewesen oder als müsse er die Gegend im Traume einst gesehen haben; fast thut es ihm leid, daß auch dieses trauliche Thal von der modernen Schlange durchzischt wird. In diesem lieblichen romantischen Weinsberg lebte seit 1818 als würtembergischer Oberamtsarzt Justinus Kerner, und die Eisenbahn war noch nicht vollendet, als er starb.

„Aus Weinsbergs Friedhof hebet sich mein Grab,
Wann mit dem Dampfroß ihr vorüberflieget.“

Ja, dort rechts ist der Kirchhof, unter dem epheuumrankten Granitsteine ruht der müde, blinde Sänger im gemeinsamen Grabe mit seiner Gattin. „Friederike Kerner und ihr Justinus“ sagt die einfache Inschrift auf der Metallplatte.[1] Oben am Weg, der zur Weibertreu führt, am äußersten Ende des Städtchens, unweit der Kirche und dem unlängst für Kerner errichteten Denkmal, steht unter Bäumen und Reben schalkhaft versteckt das kleine Dichterhaus, wo einst die Ritter des Geistes ihre Tafelrunde hielten und mit ihnen welches Gefolge von Knappen! Wie in einem romantischen Zauberspiele oder in einer laterna magica wechselten da bunt durcheinander Könige und Bauern, Philosophen, Studenten, Dichter und Edelfrauen, Diplomaten, Pietisten, Somnambule, Verrückte, Teufel, Geister und anderes Volk. Für Alle hatte das kleine Häuschen Platz, bot Jedem gastliche Aufnahme. Wie war das möglich? Dehnten sich die Wände? War hier nicht Zauberei im Spiel? Man hat Kerner oft Geisterseher und Magier genannt. Geister hat er nie gesehen, es auch nie, selbst im Scherze nicht, behauptet, und mit dem Bösen stand er auch nicht im Bunde, aber ein Amulet trug er bei sich, das Alle magnetisch anzog, alle Menschen ihm dienstbar machte: den durch nichts zerstörbaren Glauben, jeder Mensch habe seine guten vortrefflichen Seiten und diese müsse man in ihm erkennen, das Uebrige als menschliche Zuthat geduldig ertragen; in jedem Menschen schlummere, wenn auch oft durch Schlacken versteckt, ein göttlicher Funke, den man wecken und pflegen müsse. Und mit dieser

  1. Wir brauchen unsern Lesern nicht auseinanderzusetzen, was unsere deutsche Literatur, ja unser deutsches Volk in Justinus Kerner besaß. Wer kennt nicht den gemüthvollen Humoristen, den herzenswarmen Lyriker, der zu den hervorragendsten Mitgliedern der schwäbischen Dichterschule zählt, den Verfasser der „Seherin von Prevorst“, den Sänger jenes hinreißenden Abschiedsliedes „Wohlauf noch getrunken den funkelnden Wein!“[WS 1] das wir Alle schon gesungen haben, im Freundeskreise, wenn wir „nicht mehr beim ersten Glase saßen“. –
    D. Red.

Anmerkungen (Wikisource)

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_004.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)