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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

ruhiger Bewunderung sagen: er ist ein Mann, er ist ein Heros gewesen, unvergleichlich in seiner Mannestugend für alle Zeiten. Die Griechen, die Römer, die alten Germanen, die Eidgenossen der Schweiz, alle tapferen Kriegsvölker der Geschichte würden seinem Heldenmuth den Lorbeer der Verehrung gereicht und ihm ein Monument der Poesie gesetzt haben. Er ist aber nur ein Tiroler Bauernanführer gewesen, und wenn man auch seine merkwürdigen Thaten nicht geringschätzig übersehen hat, was nur von Wien aus geschah, so begnügte man sich doch am meisten damit, als ein wunderbares Exempel anzustaunen, wieviel riesenmäßige Strapazen sowohl sein Körper wie sein Geist vertrug, ehe er allmählich zusammenbrach. Diesem großen, starren, spröden, aber durch und durch edelmüthigen Charakter war es wie so vielen andern Tirolerhelden heiliger Ernst, die Unantastbarkeit des Vaterlandes zu retten, und wenn sie dabei zugleich für das Haus Oesterreich mit einer unterwürfigen Anhänglichkeit in’s Feuer gingen, die weder durch die Geschichte gerechtfertigt, noch mit den Begriffen echter staatlicher Freiheit zu vereinen war, so verkleinert doch dies die Größe ihrer Thatkraft und die Reinheit ihres Strebens nicht.

Damals war nun hier die Salzburger Alpengegend das Hauptkampfterrain. Der französische Marschall Lefebvre führte das Obercommando über unsere Feinde, und trotzdem der Kronprinz Ludwig von Baiern manchen verständigen Gegenrathschlag geltend zu machen suchte, wurde durch den französischen General, der sein bequemes Hauptquartier in Salzburg hielt, den tapfern baierischen Truppen eine sehr unvortheilhafte Stellung in den Bergen angewiesen. Sie lagen besonders vertheilt und eingezwängt in dem Theile, in dem wir uns befinden, in dem der Salzach, und drüben in jenem der Salach, welches von Reichenhall nach Lofer hinführt. Sie konnten umgangen oder durch Paß-Ueberrumpelungen auseinander gesprengt werden.

Hierauf gründete das Talent Speckbacher’s, durch die höchste Terrainkenntniß unterstützt, einen ausgedehnten strategischen Kriegsplan. Es sollte auf vier Punkten zu gleicher Zeit operirt werden; sieben Compagnien Tiroler wurden über die Moosalpen in’s Unkener Seitenthal geschickt, damit sie bei Unken in’s Salachthal einbrechen konnten. Eine andere Abtheilung ward gegen den Steinpaß bei Unken dirigirt, um den Feind in die Seite zu fassen. Den offenen Beginn des Kampfes über den Strub- oder Loferer Hauptpaß wollten Speckbacher und Thalguter mit den Unterinnthaler und Meraner Mannschaften selbst übernehmen. Das Pinzgau’sche Tauernvolk hatte Wallner zur Erstürmung des Passes Laftenstein zu commandiren, und der Capuzinermönch Haspinger sollte mit seinen Innsbruckern den Paß Lueg zu erobern suchen.

Es war in der Nacht zum 25. September, als auf den Bergspitzen Feuerzeichen loderten, ein Signal für die losbrechenden Tiroler. Ich stand unter Speckbacher am Strub-Passe, und unser Hauptmann Blatzl aus Pillersee führte uns zum Angriff gegen die Truppen des Grafen Waldkirch. Das Bataillon zog sich, von mehreren Seiten bedrängt, nach Unken zurück, ein furchtbarer Retiradenkampf in einem sehr schmalen Thale mit herabhangenden Waldrändern, aus denen überall versteckte Schützen ihre Stutzen abfeuerten und andere sogar auf die Straße herabdrangen, um die Truppen in Unordnung zu bringen. Nach zwei Stunden endlich erreichte der Feind Unken, wo er noch mit wahrer Verzweiflung die halbzerstörte und von den Bauern vertheidigte Brücke nehmen mußte.

Ich will den Kampf nicht weiter erzählen; er wurde fast ganz in der Ordnung ausgeführt, wie ihn Speckbacher ersonnen hatte: Unsere Feinde, die Baiern, bewährten sich voll unverwüstlicher Tapferkeit in diesem ganzen unglücklichen Kriege, in dem, ohne jede Spur von materiellem oder idealem Gewinn, Brudervolk gegen Brudervolk sich zerfleischte. An Scenen entfesselter Leidenschaft und blinder Rachewuth fehlte es nicht, aber es zeigte sich dabei, daß die erhitzten Gemüther der Tiroler immer noch leichter zur Großmuth umzustimmen waren, als die der baierischen Soldaten, welche ihre militärische Ehre durch den Muth und das Kriegsglück der Bauern gekränkt wähnten. Auch die gemsenartige Schnelligkeit im Springen, Klettern, Verfolgen, im geschickten Rückzug, sowie die Ausdaner und gewaltige physische Körperkraft waren auf unserer Seite. Ich glaube, daß hiervon keine größeren Beispiele bei Murten und Sempach durch die alten riesigen Schweizer gegeben sind, als sie die Helden Tirols gaben. Hans Roth aus Hall hatte solche Stärke, daß er einst in einem Scharmützel zwei völlig armirte Soldaten in’s Genick packte und so stark gegeneinander stieß, daß sie todt zur Erde stürzten. Als es bei einer andern Gelegenheit galt, eine gedrängte militärische Colonne anzugreifen, packte er mit jeder Hand einen auf dem Wahlplatz liegenden todten Soldaten und stürzte sich mit der Last dieser beiden Leichen, sie wie ein Schild vorhaltend, ein zweiter Arnold von Winkelried. mit so heftigem Ansturm gegen die feindliche Linie, daß er der Freiheit eine Gasse gewann.

Aehnliche Beispiele ließen sich noch manche erzählen; Vieles habe ich selbst gesehen und mehr noch von glaubwürdigen Waffengefährten gehört, und was kommen dazu für Entbehrungen, für Züge der Ausdauer, der Enthaltsamkeit, der Langmuth, der kaltblütigen Mannheit, dem Tode mit Verachtung wochenlang auf der Flucht in Schnee und Wintersturm, in ruhelosem Verfolgtsein kaltblütig in’s Auge zu sehen!“

„Ja, ja,“ sagte der alte greise Mann und richtete sich hoch auf mit schönem, freudigem Selbstgefühl, das ihn von innen her warm verjüngte, „glaubt es nur, Ihr da draußen, die Ihr in Mitteldeutschland und fern am Ufer der See wohnt und Euch rühmen dürft, Mark und Seele in Euch zu haben: auch in den Männern Tirols steckt nach wie vordem noch Seele und Kraft und urdeutsches Gemüth! Wenn wir in unserm Lande Tirol erst haben werden, was Ihr da draußen habt, den Segen geistiger Bildung unter den Massen des Volkes, diesen Gnadenquell, der stark und reich und unabhängig macht von allem Uebermuth der List und Gewalt, wenn wir frei sind vom Zelotismus finsterer und ungebildeter Pfaffen, dann werden wir stark und fest dastehen in der selbstbewußten Lebensfreude der aufgeklärten Intelligenz, wie unsere Berge im Sonnenlicht. Bis dahin aber habt Geduld mit unsern Schwächen und ertragt uns, wie wir, ein armes Land, geduldig so viele Entbehrungen und bittere Täuschungen des Schicksals ertragen haben.“

Wir schüttelten uns die Hände, der Süden und der Norden, mit herzlichem altdeutschem Druck. Der edle Greis stand auf zum Weiterwandern; von seinen eigenen Waffenthaten hatte er kein Wort erwähnt, und ich wußte doch, wie glänzend sie von Anderen gepriesen waren – ein echter Tiroler Mann voll einfacher Bescheidenheit. Ich mochte ihn nicht daran erinnern, um sein Gefühl nicht zu kreuzen.

„Aber der Tod Ihres unglücklichen Vaters im Passe Lueg?“ fragte ich.

„Er war ein so einfaches Ereigniß,“ erwiderte er, „wie die Erstürmung des Passes selbst. Beide nur Folgen des Opfermuthes, aber mit entgegengesetztem Resultat. Haspinger hatte salzburgisches Landvolk aufgeboten, der Innsbrucker Hauptmann Harrasser mit seiner Compagnie begleitete ihn und der tapfere Wirth von Stegewalden, hier dicht in unserer Nähe, unterstützte ihn mit Heldenmuth und Verschlagenheit. Der Kriegszug ging über das Tännengebirge und über die Abtenau und gerade an demselben Tage, an dem wir unter Speckbacher das Salachthal von Feinden frei machten, gewann der feurige Rothbart nach furchtbarem Kampfe diese Paßenge. Mein Vater wagte sich zu weit in’s Vordertreffen und wurde abgeschnitten. Verwundet rang er mit drei Feinden, wobei er endlich zu Boden stürzte und seine Waffe verlor; dennoch raffte er sich wieder unter seinen Gegnern empor und da die äußere militärische Linie von den Tirolern bereits vernichtet war, suchte er zu diesen hin zu entkommen. Doch nach wenigen Sätzen holte den durch einen Stich Gelähmten der eine von seinen Gegnern ein und hing sich an seine Kleidungsstücke fest; schon kamen die Anderen mit geschwungenem Säbel: da packte der Waffenlose seinen Mann und sprang mit ihm in die Salzach hinab. Das Wasser schlug an der tiefen Stille über Beiden zusammen, und wenige Secunden darauf sahen befreundete Waffenbrüder ihn ohne seinen Gegner wieder auftauchen und dem Ufer zuschwimmen – da sank er plötzlich, von einem Schusse getroffen, unter und seinen Leichnam hat man niemals wieder gesehen. Haspinger aber verfolgte den General Stengel bis beinahe nach Salzburg und eroberte auf diesem Zuge Hallein.“

Stiller zogen wir unseres Weges weiter, der Himmel war wieder blau und frei. Es ging am Blühenbach vorüber, welcher der Salzach die Gletscherwasser der Uebergossenen Alm bringt, und weiter auf der überraschenden Straße dahin an dem stattlichen Schlößchen Hohenwerfen und endlich hinein in den Flecken Werfen selbst.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 814. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_814.jpg&oldid=- (Version vom 21.12.2022)