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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Terrain, durch denselben Paß der Salzburger Alpen, Männer hin und her, die sich ebenfalls, aber freilich in ganz anderer Weise, mit dem Heil des Vaterlandes beschäftigten. Es waren Gestalten des Volkes, ohne Macht, ohne einflußreiche Stellung. Aber über eine weittragende Macht geboten sie, über jene gewaltige Macht der Begeisterung, welche ihres Sieges gewiß ist, und wenn es auch nur der Sieg des schönen Beispiels wäre. Es waren nicht Männer der langen Rede mit kurzem Sinn, sondern Männer der großen patriotischen That von wenig Worten: die Tiroler Vaterlandsvertheidiger von 1809.

Wie lebhaft trat mir dies denkwürdige Jahr 1809 vor die Seele, als ich auf jener Bergstraße die schöne Wanderung von Golling nach Werfen in Begleitung eines befreundeten Mannes zurücklegte, dessen Dasein um mehr als ein Menschenalter weiter als das meine in die hinter uns liegenden Zeiten der Eltern und Großeltern zurückragte! Ein alter, silberhaariger Tirolergreis in ungebeugter Rüstigkeit, in Geist und Herzen wetterfest, wie der Fels seiner Berge, aber als ein im Auslande fortgebildeter Mann der Wissenschaft vorurtheilsfreier, als viele seiner im Wahne der „Glaubenseinheit“ befangenen Brüder. Er war unter den Vaterlandsvertheidigern gewesen, die unter Hofer’s Leitung gegen die französisch-baierische Macht ihr Blut so opferfreudig vergossen. In seinem Gedächtniß spiegelten sich die Thaten und Begebenheiten jener Epoche mit den Farben der Wahrheit ab.

Die Bilder der Erinnerung schweben für den Eingeweihten, der sie zu sehen vermag, auf allen Fluren des Tiroler und Salzburger Landes, soweit dasselbe von den Kriegsereignissen berührt wurde. Zunächst jedoch war es für uns die schöne, prangende Natur der stolz-frohen, weithin ragenden Gebirgswelt, die unsern Genuß in Anspruch nahm. Der tiefblaue Herbsthimmel hing wie ein lachendes Zelt über die weiten, grünen Thalmatten von Golling, und die Salzach kam, ein lebendiger Wegbegleiter, fröhlich rauschend da herab, wo zu klüftigen Bergschwingungen der Blick des Wanderers hinaufdringt.

Der Salzachbach hat sich tief in das Flötzkalkgebirge eingewühlt; in Urzeiten bildete er einst in Pongau, jenseit Werfen, einen See, bis er die Kluft weiter und weiter im Laufe der Jahrtausende auswusch und, nach Norden strömend, sich sein Bett in der Salzburger Ebene schuf.

Hinter Golling tritt man in den eigentlichen Paß Lueg ein, der das Innere der Gebirgswelt erschließt. Zuvor aber übersieht man ein großartiges Gemälde, gebildet von den schroffen Wänden des 7600 Fuß hohen Tännengebirges, welches sich von dem westlich darangrenzenden Hagengebirge scheinbar mit solcher Gewalt losgerissen hat, daß sich beide Massen, in wildromantische Zacken zerklüftet, schroff und felsengipfelig entgegenstarren. Zu diesem Einschnitt hinein zieht sich der imposante Weg des Paß Luegs, in den Senkungen seiner steil abfallenden Berge wild und prachtvoll decorirt vom Dunkelgrün der spitzen Tannen, von Farrenkraut und Steinmoos, vom hellen, herbstlich gelben Laub der Buchengebüsche, die mit dem braunen Ahorn drastisch abwechseln. Es ist eine immer sich verschiebende Coulissenscenerie. Die Stauden der üppig wuchernden Hagebutte hängen mit ihren glanzrothen Früchten von den steinigen Wänden herab und werden nur überboten von der hellen, schreienden Scharlachfarbe der Berberitzenbeere, deren federbuschartige Trauben das Auge blenden im hellen Sonnenschein. Dahinter der grünblaue Dufthauch der aufsteigenden Berggipfel und tief unterhalb der Straße das bald klare, stillfließende, bald über Steine dahintosende grünweiße Wasser der Salzach! Immer enger wird die eigentliche Paßclause, bis die Felsen, die den Fluß einschließen, sich endlich nur noch in einer Entfernung von fünfundzwanzig Schritten gegenüberstehen. Bald am Eingang und so ziemlich am höchsten Punkt der Straße hat man die alten Befestigungsbauten in etwas verbesserter Art wieder eingerichtet, so daß bei guter Vertheidigung nicht leicht ein feindlicher Durchgang möglich ist. Hier befindet sich auch eine Höhle, das Kroatenloch genannt, weil sie 1742 diesen Kriegerschaaren zur Befestigung diente. Der eigentliche Paß zieht sich in ungleicher Enge zwei Stunden lang dahin und bietet oben bei der einsamen Capelle Brunegg die dankbarste Uebersicht dar, besonders auf die altersgrauen Steinwände des Hagengebirges.

Mein hochwürdiger Begleiter, dessen nicht unbekannte Person von Manchem errathen werden mag, schritt schweigend neben mir her; aber was ihn in sich gekehrt machte, konnte nicht die drückende Gluth der Sonne sein, denn diese war lange schon gebrochen, indem sie weiße Wolkennebel aus den feuchten Bergen hatte hervordampfen lassen, mit ihnen den Himmel mehr und mehr umschleiernd. Es war die Erinnerung, die den alten Mann mit ihrem ebenso schmerzlichen, wie erhebenden Gefühl an das Innenleben fesselte und ihn abzog von den sonst so mächtigen Eindrücken der Außenwelt. Als wir oben auf der Paßhöhe ausruhten, brach er das lange Schweigen.

„Nicht gar weit von hier,“ sagte er, „liegen im tiefen Flußbette der Salzach merkwürdige, vom Gebirge herabgestoßene Felsblöcke, auf welchen man vermöge künstlich angebrachter Wege und Stege umherklettern und bewundern kann, wie sie umbraust und umzischt werden von der wilden Wasserfluth. Diese von Baum und Moos bewachsenen Trümmer tragen den unerklärbaren Namen ,die Oefen’ und locken wohl manchen Reisenden an. Ich habe mich nicht entschließen können, Sie dorthin zu führen, denn diese Schlucht im Paß Lueg ist in gewissem Sinne mein Kirchhof. Nur einmal saß ich auf jenen Felsblöcken in der Abendstunde, umbraust von den wilden Fluthen. Ein tiefes Grauen erfaßte mich, denn ich hatte ein Recht, mir einzubilden, an diesen Felsen seien dereinst die Gebeine meines unglücklichen Vaters zerschmettert, der im Paß Lueg mit manchem Biedermann den Heldentod für das Vaterland fand.“

„Es geschah das an einem für mich unglücklichen, für Tirol glücklichen Kriegstage, am 25. September,“ fuhr der alte Herr mit erhobener Stimme, mit lebendig aufleuchtenden Augen fort. „Solcher Aufschwung, solche höchste Anspannung von Kraft kann in jedem Jahrhundert nur Einmal über einen Volksstamm kommen, um dann von einer längeren Ruhe abgelöst zu werden. Es ist eine maßlose psychische und physische Reibung der Kräfte, wobei sich aller vorhandene Lebensmuth wie ein elektrischer Strahl entladet. Mein Vater war ein Freund des Rothbartes, des merkwürdigen Krieger-Mönches Haspinger, der schon in seinen dreißiger Jahren auf seine Umgebung eine solche Macht der Beredsamkeit ausübte, daß nur Wenige seinem Aufruf zum Kriegszug widerstanden. Und doch war dieser Mann keineswegs ein phrasenhafter, salbungsvoller, bilderreicher Sprecher, wie so viele seines Standes, die Alles durch das Wort hartnäckig durchzusetzen wissen. Nicht wie ich ihn später oft und viel gesehen, als er Pfarrer zu Traunfeld war, als er zu Hietzing oder zu Salzburg in seinem späten Alter lebte, steht er vor mir, diese nachfolgenden Eindrücke gehen alle in dem ersten auf: ich sehe ihn im Geiste immer und immer vor mir, wie er 1809 als Feldprediger in unsere friedliche Behausung trat, meinen Vater begrüßte und, dessen Hand mit der Rechten festhaltend, mit der Linken das Crucifix emporhob und ihn mit dem ernsten, aber ebenso verzückten wie feierlichen Blick in die Augen sah. ,Wenn Dir Das heilig ist, Toni, und der Herr ruft Dich, so mußt Du kommen und wirst leben, ob Du auch stirbst. Denn die da bleiben, werden sterben und verloren sein, ob sie auch leben in Ruhe und Ueberfluß.’[1] Jenen Blick vergesse ich nie! Es lag in diesen Augen so viel unumstößliche Ueberzeugung für das, was der Mund sprach, daß diese Ueberzeugung, vom Ton der Rede gehoben, auch auf die Massen berückend und ansteckend wirkte, obschon die Worte vielen verständigen Widerlegungen Raum boten. Das Volk wurde somit durch das überzeugt, wodurch es sich am leichtesten und liebsten überzeugen läßt: durch die sympathische und doch zugleich tyrannische Wirkung der Persönlichkeit.

Auf einen Wink meines Vaters verließen wir Andern, meine Mutter, ich und meine Geschwister, das Zimmer. Haspinger folgte uns bald, und darauf nahm mein Vater seinen Stutzen von der Wand, und nachdem er mit meiner Mutter gesprochen, die viel weinte, und uns Allen ,Behüt’ Euch Gott!’ gesagt, verließ er schon gegen Abend unsern Hof. Nur wenige Tage konnte ich es daheim aushalten, denn alles junge, kräftige Volk zog den Compagnien zu. Ich war schon zwanzig Jahre alt und da mich meine Mutter nicht fortgelassen haben würde, so schlich ich heimlich fort und ein älterer Camerad, der bei dem Meraner Hauptmann Peter Thalguter stand und mit diesem nach St. Johann ging, nahm mich dieses Weges mit. Dort versammelten sich damals viel Schützenmannschaften um ihren Oberanführer Joseph Speckbacher.

Der galt mir, da ich ein Jüngling war, als Ideal, und jetzt, da ich ein Greis bin, muß ich mit kalter Ueberlegung, mit

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 811. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_811.jpg&oldid=- (Version vom 21.12.2022)
  1. Im Pusterthaler Dialekt gesprochen.