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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Die Thür ging auf und – Marie trat ein. Richard lächelte.

Marie, nicht ohne Befangenheit, aber mit der Miene eines gefaßten Entschlusses, mit einem gehobenen, edlen Ausdruck, näherte sich und sagte: „Lieber Vetter, meine Mama schickt Ihnen hier die Bücher zurück und läßt herzlich dafür danken.“

Sie legte zwei zierliche Bände auf den Tisch an der Seite.

Richard nickte freundlich. Marie sah ihn an. „Dann,“ fuhr sie fort, „möchte ich Sie um Verzeihung bitten. Ihre Mama hat uns Ihre Verlobung mitgetheilt und ich bin fortgegangen, ohne Ihnen Glück zu wünschen.“

Dem jungen Mann entriß das Bewußtsein des wirklichen Sachverhalts einen Laut, der ihn beinahe verrathen hätte. „Deswegen!“ rief er.

„Ich verlasse Sie,“ erwiderte das Mädchen, „und es wäre mir sehr unlieb, wenn in Ihnen eine falsche Meinung von mir zurückbliebe.“

„Gutes Bäschen, das hätte ich Ihnen nicht übel ausgelegt.“

„Sie hätten’s aber dürfen!“ entgegnete Marie. Mit einem Bedenken und zugleich mit Selbstgefühl in ihren Zügen fuhr sie fort: „Auch die Andern haben geschwiegen. Und als ich allein war, fiel mir ein, ich könnte Ihnen vorkommen wie sie.“

„Und das wollen Sie nicht?“

„Nein!“

Richard nickte beifällig und mit einem Lächeln, das ungefähr hieß: darin leitet Dich ein gutes Gefühl.

„Wenn ich geschwiegen habe,“ sprach Marie weiter, „so hat das einen anderen Grund. Ich habe nichts gemein mit jenen Damen. Gar nichts!“ Sie schaute ihn an, ihre Wangen rötheten sich, ihre Augen schimmerten von Empfindung. „Ich wünsche Ihnen wirklich und aus tiefster Seele alles Gute. Nichts in der Welt kann mir lieber sein, als zu wissen, daß Sie glücklich sind.“

„Ah!“ rief jener, und eine Ahnung überkam ihn von dem Zustande des Herzens, welches diese Worte eingegeben hatte.

Das Mädchen sah zu Boden. Dann erhob sie den Blick und sagte: „Glauben Sie nicht, daß ich deswegen, weil ich nicht davon sprach, kein Auge gehabt habe für die Schönheit Ihres Gutes, für Ihren Eifer als Landwirth und für Ihre vortreffliche Verwaltung. Ich habe das Alles recht gut gesehen und meine wahre Freude daran gehabt; aber ich habe es für mich behalten. Ich mochte auch nicht den Schein auf mich laden, als ob ich Ihnen damit schmeicheln wollte.“ Und mit einem Selbstgefühl, das ihre feuchten Augen glänzend machte, setzte sie hinzu: „Wir armen Leute haben unseren eigenen Stolz. Und das ist sehr nöthig!“

Richard schaute sie mit großen Augen an.

Sie, mit herzlicher Güte, fuhr fort: „Mich freut es, wenn es guten Menschen auch gut geht und wenn Alles zusammenpaßt. Ich habe mir gesagt: mein Vetter hat Alles, was ein Mann sich wünschen kann. Ein herrliches Gut, eine außerordentliche Freude daran, einen Trieb, es zu verbessern, zu verschönern, und die Mittel dazu. Seine übrigen Verhältnisse stimmen damit überein, und es fehlt ihm nichts, nichts als eine Frau, die ihn versteht und die mit ihm harmonirt. Wenn er diese findet, dann ist Alles beisammen und er ist ganz glücklich! Und nun habe ich vor meinem Abschiede noch die Freude gehabt, zu hören, daß sie gefunden ist.“

Richard war ernst geworden und erröthete. Nicht ohne Verwirrung sagte er: „Sie sind gut! Und – Sie wollen also fort?“

Marie schaute ihn verwundert an. „Ich bin gekommen,“ erwiderte sie, „den zu meiner Beschämung versäumten Glückwunsch nachzutragen und Abschied zu nehmen. Ich kann Ihnen betheuern, es ist mir nichts angenehmer, als Hainsfeld mit der Gewißheit verlassen zu können, daß hier das Glück zurückbleibt, so reich, so vollkommen, wie man es auf dieser Erde haben kann!“

„Freundlich, freundlich!“ rief jener erregt. „Aber gehen Sie denn gern, Marie?“

„Jetzt – ja!“

(Schluß folgt.)




Bei dem Dichter Oskar von Schweden.[1]

Die schwedische Sprache, von welcher Tegnér mit Stolz singt:

Männlich und edel erklingst Du, Sprache des Ruhms und des Sieges,
     Rein wie Metall Dein Klang, fest wie die Sonne Dein Gang.
Wo die Donner reden, der Sturm, Du wohnst auf den Höhen,
     Nicht geboren für niedriger Thäler Genuß.
Spiegle Dein Antlitz im Meer, befreie die männlichen Züge
     Endlich vom fremden Staub – wenn es vielleicht nicht zu spät!

gehört bekanntlich mit unserer deutschen zu demselben großen germanischen Sprachstamme, und die schwedische Literatur hat mit der deutschen, der sie in ihrem Entwickelungsgange mehrfach ähnelt, das gemein, daß sie einer vorübergegangenen Glanzepoche nachtrauert und in den Erscheinungen der Gegenwart, wie edel sie sich auch darstellen, nur ein Epigonenthum erblickt.

Jedes Volk, das eine Kunst, eine Literatur besitzt, hat eine solche Epoche nachzuweisen; sie ist eine naturgemäße. Der Volksgeist, der Blüthen und Früchte trieb, hat, wie ein Baum, ein Ackerland seine Kraft aufgebraucht und bedarf der Erholung. Aber zu beklagen sind die Talente einer solchen Epoche. Den edelsten Geistern, auf die ein Volk für alle Zeiten stolz ist, oft ebenbürtig, fehlt ihnen nur der originale Stoff, die aus der Reibung religiöser, socialer, politischer Zustände hervorbrechende neue Weltanschauung. Es ergeht ihnen, wie den modernen Baumeistern, welchen die Aufgabe wird, die in bewegten Zeiten unvollendeten Dome auszubauen.

Es ist eine bedeutende Gruppe von Dichtern, die jetzt in Schweden leben, und es war mir eine Freude, einzelne kennen zu lernen, unter ihnen den Prinzen Friedrich Oskar von Schweden, Herzog von Ostgothland, der, 1829 geboren, mit seinen Gesängen auf die schwedische Flotte den goldenen Preis errungen und um sein Vaterland sich das schöne Verdienst erworben hat, Herder’s „Cid“ und Goethe’s „Tasso“ in seine Muttersprache zu übertragen und zum kostbaren Besitze Schwedens zu machen. Dieses Land bietet jetzt die eigenthümliche Erscheinung, daß zwei Brüder, der eine, welcher als Carl der Fünfzehnte den Thron innehat, und der andere, der einst König sein wird, um den poetischen Lorbeer ringen, während der erstere noch einer zweiten Kunst, der Landschaftsmalerei huldigt, und die Hallen und Gemächer seiner Paläste mit Gemälden schmückt, welche die Freude eines jeden Gastes wecken.

Der Prinz von Schweden führte eben für den aus seinem Schlosse Bekaskog verweilenden König die Regentschaft, als ich ihm vorgestellt wurde. Im Vorzimmer fand ich Generäle und Minister versammelt, und als ich den Saal betrat, in dem sich der Prinz befand, schritt mir eine sehr hohe schlanke Gestalt in militärischem dunkelblauem Rocke entgegen, an dem uns unter mehreren Sternen ein kleines rothes Kreuzlein entgegenglänzte und auffiel, der Orden Carl’s des Dreizehnten, der, nur für Freimaurer höchsten Ranges bestimmt, von dem Prinzen als Großmeister getragen wird. Der schwarze Vollbart und das dunkle Haupthaar contrastirten schön mit dem leuchtenden Eigenthume der meisten nordischen Männer und Frauen, den blauen Augen. Die ganze Erscheinung machte den Eindruck einer edlen Ritterlichkeit, als träte sie uns aus einem goldenen Rahmen in einer Gemälde-Galerie entgegen.

„Ich grüße Sie, meine Herren,“ begann der Prinz in correctem,

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 804. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_804.jpg&oldid=- (Version vom 2.1.2023)
  1. Wie unsere Leser wissen, war der Marschall Bernadotte, einer der Heerführer unter Napoleon, 1810 von dem König Carl dem Dreizehnten zu dessen Thronfolger und zum Kronprinzen von Schweden vorgeschlagen und von den Ständen des Reichs einstimmig als solcher angenommen worden. Infolge dessen bestieg er 1818 als Carl der Vierzehnte Johann den schwedischen Thron. Sein einziger Sohn Oskar folgte ihm im Jahre 1844. Oskar war ein geistreicher und wissenschaftlich hochgebildeter Mann, der sich auch als Schriftsteller, namentlich durch sein in mehrere Sprachen übersetztes Werk „über Strafe und Strafanstalten“ ausgezeichnet hat, wie er sich ebenso und nicht ohne Glück in der musikalischen Composition versuchte. Diese Schriftstellerader scheint sich auf seine beiden Söhne, den jetzigen König von Schweden, Carl den Fünfzehnten Johann, und dessen Bruder Oskar, Herzog von Ostgothland, vererbt zu haben. Der Erstere machte sich besonders durch eine Reihe lyrischer Dichtungen bekannt, die von einer wahren poetischen Begabung zeugen, und auch der letztere, Prinz Oskar, ist ein Dichter von Gottes Gnaden, für uns Deutsche aber noch dadurch besonders beachtenswerth, daß er den Schweden mehrere unserer größten deutschen Meisterwerke durch vorzügliche Uebertragungen erschlossen hat.
    D. Red.