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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

„Ich weiß nicht,“ sagte Richard mit einem Blick auf Bernhardine und die Generalin, „ob auch die andern Herrschaften –“

„Das versteht sich wohl von selbst!“ rief Bernhardine mit großer Lebhaftigkeit. „Ein Vortrug von Ihnen findet bei uns die gespannteste Aufmerksamkeit! Und wenn wir auch nicht so studirt sind, Ihre Auseinandersetzung wird uns Alles klar machen. Es ist eine Mähmaschine?“

„Und ein Räderwerk, das die sprödesten Schollen zermalmt.“

„Ich freue mich unendlich, sie über den Acker gehen zu sehen! Die Maschine ersetzt die Kräfte der Menschen und befreit diese zu würdigern Arbeiten. Eine humane Seele kann sie nur mit vollster Genugthuung betrachten!“

Die Geheimräthin und Juliane lächelten über diesen Eifer. Die Baronin schwieg. Sie schien in ihrem Kopf einen Gedanken zu wälzen.

In diesem Augenblick ging die Thüre aus und zwei neue Gestalten traten in den Saal.




2.

Wie man leicht sehen konnte, waren es gleichfalls Mutter und Tochter, gebildete Frauen, die aber durch ihre Erscheinung und ihr Benehmen mit den schon anwesenden auffallend contrastirten. Während diese in eleganter und immerhin auch kostbarer Kleidung dastanden, war der Anzug der Beiden von einer Einfachheit, die fast ärmlich ließ. Ebenso groß war der Unterschied im Ausdruck der Gesichter. Die Damen aus der Residenz zeigten großes Selbstgefühl und vollkommene Zuversicht. Man sah ihnen an, sie hatten dem Hause durch ihren Besuch eine Ehre erwiesen; die Absichten, die sie hergeführt, waren im Grunde für den Eigenthümer nur schmeichelhaft, aus allen Gründen rechneten sie auf eine achtungsvolle Gastfreundschaft. Die Mienen der neu Eingetretenen dagegen waren resignirt, und selbst aus der Freundlichkeit, womit sie grüßten, sprach ein Hauch von Kummer, eine unüberwindliche Gedrücktheit der Seele. Die Gesichter waren nicht nur wohlgebildet, sie hatten einen edlen Schnitt, aber Kleinmuth und ein gewisser Unmuth darüber, die sich beide in ihnen malten, ließen sie nicht zu ihrer Wirkung kommen.

Es waren arme Verwandte im Hause des Reichen: Frau von Weiden und ihre Tochter Marie. Sie waren nicht nur arm, sie waren reich gewesen und arm geworden. Noch vor wenigen Jahren durften sie glauben, sich in guten, behaglichen Verhältnissen zu befinden. Aber der plötzliche Tod des Vaters enthüllte ihnen, daß das Vermögen durch den Speculanten, dem es nicht genügt hatte, bis auf wenige Trümmer verschuldet war. So lastete die Armuth mit doppeltem Gewicht auf ihnen.

Die Wittwe, durch ihren verstorbenen Mann verwandt mit der Baronin, war von dieser eingeladen worden, in Hainsfeld sich aufzuhalten, bis für sie oder ihre Tochter eine angemessene Beschäftigung oder irgend eine passende Stellung auskäme. Seit vierzehn Tagen befanden sie sich hier, und zwar hatten sie zuerst eine Wohnung im Hauptgebäude, neben der Baronin, inne. Als aber die Damen aus der Residenz kamen, die sich gewissermaßen selbst eingeladen hatten, mußten sie ihre Zimmer abtreten und einen entfernteren Seitenflügel beziehen.

Marie war eine von den Gestalten, die auf den ersten Blick Antheil und Mitleid einflößen. Sie glich einer Blume, welche durch die Ungunst der Witterung in ihrer Entfaltung aufgehalten worden und nun eben da, wo sie am schönsten erblühen sollte, schon zu welken beginnt. Ihr bräunlicher Teint war gebleicht, ihr Gesichtsausdruck leidend. Sie war nicht mehr, was sie gewesen, sondern der Schatten ihrer selbst geworden und sie wußte es! Wenn übrigens die Baronin sie die „kleine Marie“ nannte, so durfte man das nicht eigentlich nehmen: sie war größer, als Juliane, und stand etwa zwischen dieser und Bernhardine. Aber durch ein eigenthümlich in sich gekehrtes Wesen, womit sie sich nach außen klein machte, schien der Ausdruck doch gerechtfertigt.

Charakteristisch war von Seiten der schon Anwesenden der Willkomm. Die Damen aus der Residenz dankten dem Gruß mit einer Herablassung, in der sie sich für eben so großmüthig wie höflich zu halten schienen. Die Freundlichkeit der Baronin und Richard’s war herzlicher, aber man sah doch, wie sich’s Beide mit ihnen recht leicht machten! Dem jungen Mann begegnete es, durch eine Handbewegung zu grüßen, in welcher der Vertraulichkeit so wenig Achtung beigegeben war, daß das Gesicht Marie’s in leises Beben gerieth und ihre Lippen auf einen Moment die Farbe verloren.

Juliane, die sich dermalen von Allen am sichersten fühlte, trat einen Schritt gegen sie vor und sagte mit auffallender Güte: „Wo kommen die Damen her? Sie sehen ein wenig angegriffen aus, liebe Marie!“

Die Angeredete zuckte, aber sie erwiderte geduldig: „Wir kommen vom Garten.“

„Und vorher,“ setzte Frau von Weiden hinzu, „sind wir auf dem Felsen gewesen, wo Marie das Schloß gezeichnet hat, um ein Aquarellbild davon zu machen. Droben war es heiß!“

„Sie zeichnen und malen?“ fragte die Gelehrte beifällig. „Das Erste, was ich höre.“

„Blos zu meinem Vergnügen,“ erwiderte Marie.

„Sieh, sich, eine Künstlerin! Und das erfährt man erst jetzt? Nun begreif’ ich übrigens Ihre Ausflüge, Ihr einsames, träumerisches Wesen und die geringe Aufmerksamkeit, welche Sie der Oekonomie zu schenken für gut finden!“

Der Zusatz war als eine Art von Scherz mit Leichtigkeit hingeworfen. Marie sah ihr betroffen forschend in’s Gesicht.

„Nun,“ fuhr jene fort, „das können Sie doch nicht leugnen! Sie waren nie dabei, wenn Herr von Hainsfeld uns herumführte und wenn es hier etwas zu sehen und zu lernen gab!“

Die Lippen der Kritisirten verzogen sich zu einem schüchternen Auedruck von Spott und sie sagte: „Das Interesse für die Landwirthschaft war durch die Herrschaften aus der Residenz so gut vertreten, daß ich nicht den Muth hatte, mit ihnen zu wetteifern!“ Mit einer Stimme, in welcher die Ironie sich gänzlich verlor, setzte sie hinzu: „Herr von Hainsfeld wird verzeihen!“

„O,“ rief dieser fast lachend, „ich mache durchaus keine Ansprüche!“

Das war in einem Tone gesagt, der auf das Mädchen keine gute Wirkung äußern konnte. Sie erröthete und warf einen Seitenblick auf ihn, der eine Klage enthielt.

Bernhardine fand sich nun bewogen, auch ein Wort zu sagen. „Von einem Wetteifer,“ bemerkte sie, „kann hier keine Rede sein; es handelt sich blos um einen Antheil, von dem ich in der That nicht begreife, wie er fehlen kann. Was sind Gedanken, die man sich macht, und einsame Phantasien gegen die Anschauung der Natur und der Einrichtungen, wodurch sie immer schöner und gedeihlicher wird! Nun, morgen,“ setzte sie mit Bedeutung hinzu, „werden Sie hoffentlich die Gelegenheit nicht vorbeigehen lassen! Baron Richard wird uns morgen theoretisch und praktisch in zwei Maschinen einweihen, die aus England gekommen sind.“

(Fortsetzung folgt.)




Ein untergehendes Volk.

An der Nordküste Anatoliens, wo das Waldgebirg Aghatsch zu den Wogen des schwarzen Meeres hinabsteigt, befindet sich ein meilenweites Lager. Hier haben Dreißigtausend von jenen Tscherkessen einstweilige Unterkunft gefunden, die nicht länger unter dem Joche der „Ungläubigen“ leben mochten, sondern vorzogen auszuwandern und in muhammedanischem Lande sich eine neue Heimath zu gewinnen. Die Zeitungen haben uns von dem Elend dieser Auswanderer wiederholt berichtet, das allerdings furchtbarer nicht gedacht werden kann. Unter ärmlichen, unsauberen Filzzelten (Burkas), in düsteren und feuchten Erdgrubenhütten oder luftigen Zweigbaracken liegen hier diese Dreißigtausend. Auf plumpen Lodken (Segelfahrzeugen mit Rudern versehen) sind sie ausgefahren von den Ufern des Rion, aus Gelendschik, Anaklia, Ossurgeti, Poti, Redut-Kaleh, oder wo es ihnen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 788. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_788.jpg&oldid=- (Version vom 31.12.2022)