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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

die Frau oder erklärte Braut eines Andern, dann mußten all’ die Gerüchte verstummen, welche Isidor beflecken konnten; wohl schnürte es ihr das Herz zusammen bei dem Gedanken an das Schicksal, das sie an der Seite eines wilden, zornwüthigen Mannes erwartete – aber sie blieb fest, sie drängte das Schluchzen, das ihr nahe war, zurück, rang den Lippen ein Lächeln ab und reichte Vigili die Hand. „Da ist meine Hand,“ sagte sie mit fester Stimme, „wenn Du ein armes Madel, ein gering’s, verleumd’tes Geschöpf wieder zu Ehren bringen willst – dann sag’ ich Ja und will Dein Weib sein, redlich und treu …“

Vigili schrie auf und wollte sie im Uebermaß des Entzückens in die Arme schließen, aber sie wehrte ihn ab und fuhr hastig und mit glühenden Wangen fort: „Eine einzige Bedingniß ist dabei … daß es gleich richtig gemacht wird und wir gleich die Stuhlfest halten …“

„Ho,“ rief lachend der Schmied und drückte sie trotz ihres Widerstandes fest an sich, „wirst doch nit glauben, daß ich meinem Wort umsteh? Mir ist’s lieber heut’ als morgen … Heda, Lenz,“ rief er durch die aufgerissene Thür in die Werkstatt hinaus, „lauf hinüber zum Schullehrer … er soll Alles liegen und stehen lassen und herüberkommen und soll alle seine Schreibereien mitbringen, es giebt eine Hochzeit in der Schmiede!“

Der Gerufene ließ nicht lange auf sich warten und war kaum im Stande, sein Erstaunen und seinen Aerger zu verbergen, als er das verstoßene Mädchen plötzlich als die Braut eines der Reichsten im Dorfe vor sich sah; Vigili, ungestüm in der Freude wie im Zorn, ward es nicht gewahr und schwatzte in den Lehrer hinein, wie es gehalten werden sollte und wie er seiner Braut Alles verschreibe, Haus und Hof und die Schmiede und sich selbst. Der Lehrer unterbrach ihn nur einige Augenblicke, indem er in verstelltem Unmuth ausrief, nun habe er das Wichtigste von seinen Papieren vergessen und müsse es noch holen.

Nach wenig Secunden kam er wieder, der Erfolg zeigte, daß er sie wohl zu benützen verstanden.

Eben war der Vertragsentwurf seinem Ende nahe, ein paar Männer aus der Nachbarschaft, die schnell als Zeugen und Beiständer gerufen worden, waren eben erschienen, als die Thür hastig aufging und das Pfarrfräulein eintrat, die ganze Versammlung mit funkelnden Augen überfliegend.

„Also wirklich?“ sagte sie höhnisch. „Es giebt wirklich Hochzeit hier? Nun, ich bitte die Störung zu verzeihen, welche mein Erscheinen mit sich bringt; ich habe nur eine Pflicht zu erfüllen: dieser Frau, die Mitglied des Tugendbundes ist, muß ich zu Hülfe kommen! … Folgt mir, gute Frau … arme, bedauernswerthe Mutter, kommt mit mir, ich und mein hochwürdiger Herr Onkel bieten Euch eine Freistatt an, da Ihr doch in diesem Hause nicht mehr bleiben könnt …“

Sie faßte die Hand der Schmiedin, die ihr verwundert folgte, und wollte sie zur Thür führen, aber Vigili sprang ihr in den Weg. „Was giebt’s mit der Mutter?“ rief er. „In dem Haus ist sie daheim … warum soll sie fort?“

„Weil man einer braven, christlichen Frau nicht zumuthen kann, unter einem Dache zu leben mit einer solchen ehrvergessenen Person!“

Franzi schrie laut auf und schlug die Hände vor das thränenübergossene Angesicht; Vigili stand zwischen Beiden, bald roth, bald blaß, und betrachtete sie wechselnd mit funkelnden Augen. „Ehrvergessen?“ stammelte er. „Und das sagen Sie ihr so in’s Gesicht? Das läßt sie sich sagen?“

„Warum nicht? Sie verdient keinen andern Namen.“

„Und was hat sie gethan?“ rief Vigili wieder. „Wir wissen wohl, was geschehen ist in der selbigen Nacht, und wissen auch, daß sie nichts gethan hat, daß man die Franzi so schimpfen darf …“

„So? Wißt Ihr das so gewiß?“ entgegnete die Ergrimmte keck. „Nun denn, so erfahrt, was ich aus Schonung bis jetzt verschwieg, was ich immer verschwiegen hätte, versuchte sie nicht mit solcher Keckheit, sich in ein ehrliches Haus einzudrängen … Nicht wegen ein paar armseliger Stücke Holz stellte ich sie damals zur Rede, nein, weil ich sie vorher belauert hatte, wie sie aus der Stube des Herrn …“

„Franzi,“ unterbrach der Schmied sie wüthend, „Du sagst nichts? Also ist das wahr?“

„Um Gottes und aller Heiligen willen,“ rief das Mädchen und warf sich mit gerungenen Händen vor dem Fräulein auf die Kniee, „was hab’ ich Ihnen denn gethan, daß Sie mich so verfolgen? Was haben Sie davon, ein armes Madel zu Grund zu richten, ein hülfloses Geschöpf, das kein’ Menschen hat, der sich um sie annimmt… O Mutter, Mutter!“ fuhr sie mit herzzerreißendem Tone fort und hob die Arme wie beschwörend zum Himmel, „schau’ herunter auf mich, schau’ Dein unglückliches Kind, was es leiden muß, weil Du es verstoßen hast schon in der Geburt … O Mutter, Mutter, hättest Du mich lieber gleich erwürgt …“

Sie konnte vor Schluchzen nicht weiter sprechen; das Fräulein stand vor ihr wie eine Säule, sie war todesbleich und die Lippen zuckten krampfhaft, während ihr Auge starr an dem Mädchen hing: es war einen Augenblick, als wollte sie dem Eindrucke, den die letzten Worte auf sie gemacht, Raum geben, aber der Haß siegte; sie wandte sich der Schmiedin zu und sagte mit Eiseskälte: „Kommt, gute Frau, es ist wie ich gesagt…“

Sie wollte der Thür zu. „Halt!“ brüllte Vigili, der sich breit vor die Thüre gestellt hatte, „meine Mutter kommt nit über die Schwell’, so lang ich leb’ … aber das Weibsbild, das mich zum Narren gehalten hat … das noch eigens herkommt, um mich zu betrügen … das so schön thun kann und so unschuldig, als wenn sie kein Wasser getrübt hätt’ … die kommt mir auch nit lebendig aus dem Haus! Ich will einholen, was ihre Mutter versäumt hat, mit meinen Händen will ich sie erwürgen …“

Er wollte auf sie losstürzen, aber die Nachbarn warfen sich dazwischen und einer derselben schob die halb Sinnlose in die Nebenkammer, von welcher eine Thür in die Küche und von dort in’s Freie führte.

Sie taumelte hinaus; erst die frische Luft draußen weckte sie zu einiger Besinnung. „Jetzt ist es aus,“ murmelte sie vor sich hin, „jetzt mag unser lieber Herrgott mir verzeih’n, es giebt kein anderes Mittel mehr …“ Wie verfolgt und gehetzt rannte sie zwischen den Hausgärten dahin, unbekümmert um den dort noch tiefer liegenden Schnee, der ihre Schritte zu hemmen suchte, und hielt aufschreckend erst inne, als sie mit einem Male an der Rückseite des Moosrainer-Gehöftes stand … Das Herz drohte ihr stille zu stehen, denn durch die Lücken des Zaungebüsches erblickte sie Isidor, der, um frische Luft zu schöpfen, einen Morgengang durch den winterlichen Garten machte. Sie kauerte an der Umzäunung nieder, um besser Haus und Hof übersehen zu können. „B’hüt dich Gott, du lieb’s, lieb’s Haus!“ flüsterte sie dann innig, „ich dank’ dir tausend und tausendmal für all das Gute, das ich genossen hab’ in dir! B’hüt Dich Gott, Isidor … ich seh’ Euch nit wieder, aber ich will Euch zeigen, daß ich nit vergessen hab’, was ich Euch verdank’ …“ Hastig riß sie das Bündelchen auf, das sie neben sich in den Schnee gelegt, und nahm das verdorrte Kränzlein, das sie am Primiztage getragen hatte, heraus, sie streifte den Silberring, das einzige Andenken ihrer Mutter, von der Hand und drückte Beides inbrünstig an den Mund, dann erhob sie sich, zu rascher Flucht bereit, und warf die beiden Kleinode, in ein Tüchelchen gewickelt, in den Garten, daß das Päckchen unfern des dort Wandelnden zu Boden fiel …

Ehe Isidor sich besinnen und nach ihr umsehen konnte, war sie entflohen.

Verwundert nahm und öffnete er das Päckchen und erbebte in tödtlichem Schrecken, als er den Inhalt erblickte, es war offenbar ein Zeichen, das ihm Franzi geben wollte, ein Zeichen des Abschieds für immer, denn sonst hätte sie sich nie von diesen Dingen getrennt, die ihren ganzen Reichthum ausmachten … Wie kam sie hierher? Was hatte sie vor? Von trüben Ahnungen getrieben eilte er durch das Haus an das Hofthor, um vielleicht von da die Fliehende zu ereilen.

Dort trat ihm ein anderer Anblick vor die Augen und in den Weg.

Triumphirend hatte das Pfarrfräulein die Schmiede verlassen und war dem Pfarrhofe zugeeilt, als vom Wirthshause herkommend eine Schaar Männer ihr begegnete; es waren die Bauern und Einwohner des Orts, die eben eine stürmische Berathung gehalten wegen der Entrichtung des Klein- und Blut-Zehents und wegen der andern kirchlichen Angelegenheiten des Dorfs, denn die Tugendbündler und die geheimen Anhänger des Tiroler Frater begännen einander immer schroffer, immer erhitzter gegenüber zu treten. Hatte auch die gemäßigte Mehrzahl einen Beschluß gefaßt, der auf Unterhandlung und gütlichen Vergleich abzielte, so waren

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