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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

No. 49. 1865.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Der Dorfcaplan.
Erzählung aus Oberbaiern nach einer wahren Begebenheit.
Von Herman Schmid.
(Schluß.)

Bald schritten Franzi und Kathrin rüstig durch die Nacht, über das sich abdachende Gebirge gegen das breite Stromthal hin. „Schau,“ sagte Kathrin, nach einer Weile stehen bleibend, „wie warm der wällische Wind über die hohe Salv’ herstreicht, wir kriegen geschwind Thauwetter, drum geht auch der Inn so voll und thut so wild, daß man ihn bis da herauf hört …“

Franzi’s Gedanken gingen ganz andere Bahnen; sie wanderte lautlos neben der Genossin fort, bis die letzte Höhensenkung mit dem schwach aufgrauenden Morgen erreicht war. Da bot sie der Freundin die Hand und verabschiedete sich; sie müsse ihren eigenen Weg gehen, sagte sie, und Niemand dürfe wissen, wohin. Die treue Gefährtin weigerte sich auch nicht viel und gab sich den Anschein, als ob sie das ganz natürlich finde; sie nahm ebenfalls Abschied und that, als schlüge sie einen ganz andern Weg ein; als aber Franzi weit genug war, es nicht mehr bemerken zu können, kehrte sie um und eilte ihr nach. „Und wenn du’s noch so heimlich vorhast,“ brummte sie in sich hinein, „ich laß dich doch nit aus den Augen …“

Franzi hatte rasch die letzten Häuser des Dorfes erreicht, aber dort beugte sie aus und ging außen herum, unbeirrt durch den hier noch höher liegenden Schnee; erst als sie dem Ziele ihrer Wanderung näher gekommen, hielt sie aufathmend an. Jetzt erst fiel es ihr schwer auf’s Herz, was sie vorhatte – es war auch nicht zu verwundern, denn in den Schall der Schmiedehämmer, das Klingen der Ambose und das Brausen der Blasebälge mischte sich der Ton einer zürnenden Stimme; es war wieder Streit in der Schmiede und der Streitende war Vigili. Endlich faßte die Harrende einen Entschluß, trat um die Ecke und stand in der offenen Schmiedehalle, dem Zürnenden gerade gegenüber. Der Lehrbursche hatte die glühende Eisenstange auf den Ambos halten sollen, während Vigili die wuchtigen, wohlberechneten Hammerstreiche auf das glutherweichte Eisen fallen ließ, es zu formen; dem Burschen hatte sich in den noch unsicheren Händen die Stange gedreht, daß der Hammer abglitt, und der ergrimmte Meister schwang nun fluchend und scheltend den Hammer über dem Lehrling, als wolle er ihm den Kopf zerschmettern. In diesem Augenblicke fühlte er sich am Arm gefaßt und angehalten und wandte sich noch grimmiger nach dem Kühnen um, der es wagte, ihm in den Arm zu fallen. Er begegnete Franzi’s fest auf ihn gerichteten Augen, er vernahm die lang vermißte Stimme wieder, und wie draußen der Schnee vor dem warmen Wind, zerging ihm alle Wildheit, schmolz alle Starrheit und aller Zorn.

„Thu’ das nit, Vigili,“ sagte sie sanft, „Dein Zorn geht wieder mit Dir durch … folg’ mir …“

Vigili sah sie mit auflodernden Blicken an. „Du ?“ stammelte er fast athemlos. „Du kommst zu mir?“

„Nit zu Dir,“ erwiderte sie, „aber zu Deiner Mutter; ich will sie fragen, ob sie eine Magd brauchen kann …“

„Komm’ herein,“ rief Vigili und warf den Hammer dröhnend in die Ecke, „die Mutter ist drinn’ in der Stube und kocht die Morgensuppe … und wenn auch nicht als Magd, denk’ ich doch es soll sich für Dich wohl ein Platz im Hause finden …“

Mit hochklopfendem Herzen folgte ihm Franzi in die Stube, wo die Schmiedin auf der Ofenbank saß und eine Pfanne Milch über dem Feuer stehen hatte, zugleich aber, die Brille auf die Nase geklemmt, emsig strickte. Strumpf und Brille entglitten ihr vor Verwunderung, als sie die Eintretenden erblickte, und da sie vollends erfuhr. was die Beiden hergeführt, da gerieth auch die Pfanne und deren Inhalt in nicht geringe Gefahr. Vigili, ungestüm in Allem, erklärte rund heraus, daß er entschlossen sei, die früheren Pläne auszuführen. Er hatte wenige Wochen vorher die Schmiede übernommen und war der Herr im Hause geworden, dem einzureden Niemand ein Recht hatte. Er sagte der Mutter rundweg, daß er das Gerede über Franzi nie geglaubt und sie längst aufgesucht haben würde, hätte er nur irgend sie zu finden gewußt; jetzt aber, da das Glück sie ihm wieder zugeführt, lasse er sie nicht mehr von sich und wolle sehen, wer ihm entgegentreten wolle. Die Schmiedin, eine von den Anhängerinnen des Pfarrfräuleins, versuchte wohl, einige Einwendungen vorzubringen, aber schon dieser schwache Versuch brachte den unbändigen Schmied in solche Wuth, daß seine Augen rollten und die Stirnadern schwollen; mit keuchender Brust tappte er um sich, als suchte er nach einem Werkzeug, den Widerstand zu zermalmen, der sich ihm entgegenzusetzen drohte.

„Ich bin jetzt der Vogt und der Meister hier,“ brüllte er, „und daß ich es bin, will ich einem Jeden, der daran zweifelt, handgreiflich beweisen … Rede,“ fuhr er in nur wenig gemildertem Tone fort, als Franzi begütigend ihm die Hand auf den Arm legte, „Du allein hast ’was zu sagen … Red’, Franzi! Als Magd kann ich Dich nicht haben in mein’ Haus – aber mein Weib bist, wenn Du Ja sagen willst … Jetzt gilt’s, Franzi, ja oder nein.“

Der entscheidende Augenblick, in welchem Franzi’s rasch gefaßter Entschluß sich bewähren mußte, war gekommen – war sie

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