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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Wrangel und Brandenburg blickte und die ungeduldig auf den Losbruch harrte. In diesen Kreisen ließ man ihn auch sofort fallen, und wenn ihn, wie vorauszusetzen, die Hoffnung auf seinen Platz gestellt, er werde geschickt einige entscheidende Schläge gegen die Nationalversammlung und die Berliner Demokratie führen, worin Vater Wrangel ihn auf’s Kräftigste unterstützt hätte, so kann man sich die Enttäuschung denken. Als nun gar in der Armee mit geflissentlichem Eifer erzählt wurde, der Minister, General Pfuel, habe, um dem tumultirenden Pöbel vor den Thüren der Nationalversammlung zu entgehen, das Anerbieten des „rothen“ Assessors Jung angenommen, sich unter dem Schutze desselben aus der Versammlung zu begeben; er habe ferner in der Wohnung dieses Demokraten eine Tasse Thee zu sich genommen, während sein Adjutant, im Gefühl der „echten“ militärischen Ehre, lieber vor der Thür die Rückkehr seines Chefs abwartete, als daß er sich durch das Betreten der Wohnung eines demokratischen preußischen Abgeordneten erniedrigt hätte – da war General von Pfuel mit allen seinen Würden und Orden ein abgethaner Mann, den man für alt und kraftlos ausgab, um nicht das Entsetzliche zu constatiren, daß ein preußischer General, einer im besten Sinne des Worts, auch im steten Bewußtsein eines redlichen constitutionellen Ministers, im Gefühl des Patriotismus und in Erinnerung an die Zeit der Befreiungskriege als ein braver deutscher Mann gehandelt hatte und handeln wollte.

Anfangs November des Jahres 1848 nahm Pfuel seinen Abschied; statt seiner kamen Brandenburg und Manteuffel, um die Reaction durchzuführen. Der letzte constitutionelle Minister Preußens aus dem Jahre 1848, der alte General von Pfuel, hatte seine Laufbahn geschlossen. Als er in der ersten Blüthe der Reaction einmal nach Charlottenburg zum König geladen war, fragte ihn im Vorzimmer ein Officier höhnisch:

„Und Excellenz haben noch nicht den Abschied genommen?“

„Noch keine Veranlassung, mein Verehrtester,“ antwortete er in seiner phlegmatischen Weise.

Als verabschiedeter General lebt er seitdem sehr zurückgezogen vom öffentlichen Leben in Berlin, fünfundachtzig Jahr alt, aber noch immer ein rüstiger Schwimmer. Beim großen Gedenkfeste der Leipziger Schlacht gehörte er zu den gefeiertsten Veteranen.




Ein fürstlicher Goldmacher und Geisterseher.


Wer die Landkarte von Deutschland sich gründlich in’s Gedächtniß prägen will, hat auch heutzutage noch ein gut Theil Geduld nöthig und ein tüchtig Stück Arbeit zu bewältigen, denn wie erst vorm Jahre die Gartenlaube an’s Licht gestellt hat, hocken gerade mitten im allerschönsten und deutschesten Deutschland die schwarzweißen, weißgrünen, rothweißen, grünschwarzgelben, ja selbst schwarzrothgoldenen und anderen zwei- und dreifarbigen Grenzpfähle so dicht aufeinander, daß es wohl geschehen mag, daß etwa ein Jäger in Sachsen-Gotha sich auf den Anstand postirt und allda sein Gewehr losdrückt, durch Weimar und Meiningen durchschießt, in Kurhessen oder Preußen den unglücklichen Lampe niederstreckt und etliche Schrotkörner noch über Schwarzburg-Sondershausen oder Schwarzburg-Rudolstadt verstreut.

Doch was will dies heitere Bunt gegen die reiche Mannigfaltigkeit bedeuten, als wir nicht blos mit dreißig und einigen allerhöchsten, höchsten und hohen Landesvätern beglückt waren, sondern uns deren mehr denn eines Vierteltausends erfreuen durften und jedem lokalen deutschen Unterthan die glückliche Chance winkte, dreihundertfacher Commissions- oder Commercienrath zu werden, – welche Perspective! – Dazumal war es auch, wo die Fürsten ihre Ländchen sammt Völkerschaften wohl unter ihre meist zahlreiche Nachkommenschaft zu theilen pflegten, um diese von vornherein gegen alle etwaigen mittelstaatlichen Gernegroßgelüste gebührend zu wahren. Eine solche Theilung seines Reiches ordnete bei seinem Ableben auch Herzog Ernst, der Fromme genannt, von Sachsen-Gotha an. Er hatte sieben Söhne, und so entstanden aus dem alten Stammfürstenthume sieben verschiedene neue Herzogthümer: Gotha-Altenburg, Coburg, Meiningen, Römhild, Hildburghausen, Saalfeld und Eisenberg. Das letztere fiel dem Prinzen Christian zu, der mit seinem Bruder Heinrich in Römshild die Auszeichnung theilte, der erste und zugleich der einzige Monarch eines neugeschaffenen Herzogthums zu sein.

Noch vor einem Jahrzehnt lag das Eisenberger Ländchen mit seiner Hauptstadt gleichen Namens zwar wie heute in einem allerliebsten grünen Winkel unweit der aus den Waldbergen des sächsischen Voigtlandes herabfließenden weißen Elster, aber doch in einem Winkel, welchen die großen Straßen der Menschen draußen nicht berührten und die Strömung von Leben und Cultur nur in ihren letzten matten Wellenringen streifte. Jetzt braust die Locomotive wenigstens auf Stundenweite heran, wenn auch vorbei und nur auf einer kurzen Zweigbahn des großen Thüringer Schienenweges, jener Zweigbahn, die, mustergültig durch ihre Geschwindigkeitsleistungen und Rastfristen, von Weißenfels über Zeitz nach Gera im Reußenstaate führt und somit Thüringen und Osterland verbindet.

Dies Eisenberg also, das beiläufig kein unfreundliches Oertlein ist mit manchem behäbigen Hause und reichgewürzter Lohgerberatmosphäre, erkor sich unser Herzog Christian zum Sitze seines neugestifteten Reichs, und da er ein kunstliebender Mann war und seinen Geschmack auf Reisen in Frankreich und Welschland gebildet hatte, so erbaute er sich alsbald auf einem Hügel ganz nahe bei der Stadt ein stattliches Residenzschloß im italienischen Stile, das noch heute steht und mit seinen wohlgepflegten Gärten die Hauptzierde der Umgegend bildet – wenn man dafür nicht lieber das weitberühmte, räumige Schützenhaus gelten lassen will mit seinem vielbesuchten sommerlichen Vogelschießen und seinen kühlen Bierkellern.

Herzog Christian, sorgfältig erzogen wie seine sechs Brüder auch, war ein Mann von trefflichem Herzen und von den besten Absichten für Völkchen und Land beseelt. Mit Ernst nahm er sich der Regierungsgeschäfte an, wohnte regelmäßig den Sitzungen seiner geheimen Hofkanzlei und seiner Kammer bei, in denen er meist eigenhändig das Protokoll der Verhandlungen führte, und regelte seine eigenen Ausgaben und die seines Gefolges mit lobenswerther und geschickter Sparsamkeit. Außerdem war er ein großer Gönner von Kunst und Wissenschaft und sein ausgedehnter Briefwechsel mit deutschen und ausländischen Gelehrten nahm nicht den kleinsten Theil seiner Zeit in Anspruch. Da der Herzog überdies mit seiner Gemahlin, einer Prinzessin aus dem damals noch blühenden herzoglichen Hause Sachsen-Merseburg, in tadelloser Eintracht lebte, so hätte er wohl eines guten Nachrufs gewiß und ein wahrhaft glücklicher Mann sein können, wäre nicht eine Liebhaberei gewesen, welche der Herzog mit so Vielen seiner Zeit theilte und die nach und nach zur unbezähmbaren Leidenschaft wuchs und ihn schließlich geistig und finanziell zu Grunde richten sollte. Es war die Modepassion jener Tage, der Wahn, durch alchymistische Proceduren Gold machen zu können, dem sich selbst viele der erleuchtetsten Köpfe nicht zu entziehen vermochten.

Dieser Wahn, aus unedlen Metallen Gold herstellen zu können, umdüsterte damals gleich einem langsam fortschreitenden Gifte die freien Geister und zählte in allen Ständen eine Menge Anhänger und Verehrer. In einem zu solchen Experimenten erbauten Laboratorium verbrachte der Herzog oft ganze Nächte unter anstrengenden Untersuchungen, die seine Gesundheit untergruben und seine Finanzen erschütterten. Sicherlich geschah dies Alles nicht ohne Mitwirkung seiner nächsten Umgebung, die, ihre eignen selbstsüchtigen Zwecke hierbei fördernd, den Herzog in seinem Glauben, bei seinen alchymistischen Versuchen von helfenden Geistern umgeben zu sein, wesentlich mit bestärkte. Mit diesen erträumten Geistern (Hiob, dem König von Waldeck u. a. m.) wechselte der Herzog unablässig Briefe, wobei er sich mit dem Namen „Theophilus, Abt der heiligen Jungfrau zu Laußnitz“ zu unterschreiben pflegte.

Bereits im Jahre 1696 hatten ihm die Geister den Besitz beträchtlicher unterirdischer Schätze versprochen, unter denen sich ein massiv goldner Sarg, ein Diamant von einem Pfund an Gewicht, eine goldne Schabrake, die der König von Waldeck getragen, goldne Schilder und Spangen, zwei goldne Schlaguhren u. dergl. m. befanden. Ferner wollte der Herzog den verborgenen Schatz im nahen Kloster zu Laußnitz, der zehn Millionen enthalten sollte, mit Hülfe der Geister heben. Er correspondirte deshalb unter Andern mit dem damals hochberühmten Spener in Halle. Nächst dem

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