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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

den Wagenlenkern (zwei junge Metzgermeister aus Stuttgart), erregte bei mir eine stattliche Turnerschaar, welche unmittelbar nach den Rossen um den Ehrenpreis als Schnell- und Dauerläufer zu buhlen hatte, – sie ist heuer zum ersten Male auf dem Cannstadter Rasen als Preisbewerber erschienen und wird sich hoffentlich nicht wieder produciren.

Der übrige Verlauf des Festes bot für mich des Interesses weniger; überdieß ist er auch schon so oft geschildert worden, wie ja die Würtemberger Zeitungen alle Jahre die ausführlichsten Berichte darüber in die Welt senden„ daß ich mir selbst das Anschauen und den Lesern der Gartenlaube die Beschreibung der weitern Festlich­keiten füglich erlassen konnte.




Die Indianer beim Lachsfang.[1]
Mittheilung eines Deutschen aus dem fernen Westen Nordamerikas.

Wer von den Hunderttausenden der Leserinnen und Leser der Gartenlaube wird nicht mit innerem Wohlbehagen an manches saftige Gericht eines marinirten, geräucherten oder gebratenen Lachses denken, jenes seltsam erzogenen Kindes der Wasser, dessen röth­liches Fleisch uns hungrigen Sterblichen oft so einladend, so delicat und so poetisch entgegenlächelt – wenn er die Ueberschrift dieser aus fernem Welttheil über den halben Erdball herübergewanderten Skizze liest?

Ein echter Weltbürger, hat sich unser rosiger Fisch fast auf der ganzen nördlichen Hemisphäre eingebürgert und ist jetzt auch schon auf Entdeckungsreisen nach südlichen gemäßigten Zonen begriffen. Die tropischen Meere dagegen scheinen seiner durch ein kälteres Klima gekräftigten Constitution nicht zuträglich zu sein.

Nicht zufrieden mit dem weiten Reiche der salzigen Tiefe, eilt er alljährlich unzählige Ströme hinauf und gewährt die bei Fischen äußerst selten vorkommende Erscheinung, daß er abwechselnd im Salz- und im Süßwasser leben kann. Ein unermüdlicher See­fahrer, vor keinen Hindernissen zurückschreckend, scheint er sich dort am wohlsten zu fühlen, wo es gilt, Hunderte von Meilen stromaufwärts zu dringen, wilde Katarakte hinanzuspringen und sich durch brausende Stromschnellen, zwischen zerrissenen Felsmassen hindurch, einen Weg vom Meere bis in die fernsten Gebirge hinauf zu suchen, um dort, in idyllischem Stillleben, die Sorgen der Fortpflanzung seines Geschlechts zu übernehmen.

Alljährlich zieht er so von den Meeren die verschiedenen Stromläufe hinan, mit einer bewundernswerthen Energie die sich ihm entgegenstellenden Hindernisse bewältigend. Durch Stemmen des Schwanzes gegen das Wasser schnellt er sich mitunter bis zu vierzehn Fuß hoch empor und springt oft in langem Bogen über Fel­senriffe oder künstliche Wehren hinüber. Auf Island durchschwimmt er sogar, nach Faber, mineralische, schwefelhaltige und milchwarme Gewässer, um zu seinen Laichplätzen zu gelangen, die er mit Sicherheit wiederfindet.

Wie Amerika das alte Europa in der Natur an Ungeheurem überbietet, an riesigen Waldungen Horizonte auf Horizonte umfassenden Prairieen, endlosen Strömen, so auch mit unserm rosigen Segler der feuchten Tiefe, der hier in Heeressäulen stromaufwärts dringt, gegen welche die Armeen seiner transatlantischen Brüder wie Corporalswachen gegen die Völkerwanderung erscheinen. Hier am fernen nördlichen Stillen Ocean, von Japan im großen Bogen bis zum goldnen Thor bei St. Francisco, scheint er seine Haupt­reserven concentrirt und sich den Columbia, diesen Strom endloser Wildniß, dessen grünliche Wogen zwischen den golddurchflochtenen, nackten Gebirgen des unerforschten Oregon hinbrausen, als seine Hauptheerstraße auserwählt zu haben. In der Nähe der Insel Vancouver, am Puget Sound (Piudschet Saund), einem vielver­zweigten Meeresarme, der sein Salzwasser bis auf mehr als vierzig deutsche Meilen in das Innere des Territoriums Washington ergießt, und am Frazerflusse findet man den Lachs, von dem man in Amerika bis jetzt siebenzehn verschiedene Arten kennt, in solchen Mengen, daß ihre Zahl alle Begriffe übersteigt. Hat man dort mit einem einzigen Netzzug doch schon dreitausend gefangen! Für die an dieser Küste wohnhaften Indianer bilden die Lachse fast ausschließlich den Lebensunterhalt, Sollte der Fisch einmal seine jährlich wiederkehrenden Wanderungen die Stromläufe hinauf einstellen, so würden die Rothhäute geradezu verhungern müssen.

In den Jahren 1853 und 1854 machte man den Versuch, diese amerikanischen Lachse auf die Hauptweltmärkte zu bringen. Große Massen derselben wurden nahe der Mündung des Columbia und einhundert und zwanzig Seemeilen weiter oberhalb, bei den Stromschnellen der Cascades eingefangen, gesalzen und in’s Ausland verschifft. In neuerer Zeit hat man großartige Lachspackereien bei Astoria errichtet und es leidet wohl keinen Zweifel, daß der Lachsfang, systematisch betrieben, diesem fernen Westen dereinst von unberechenbarem Nutzen sein wird. Ehedem, als die bekannte Hudsonsbay-Company noch ihre Pelz- und Handelsdepots in Oregon hatte, war der Lachshandel zwischen genannter Compagnie und den Indianern sehr bedeutend. Jetzt fangen die Indianer sie meistens zum eigenen Gebrauche, essen sie frisch und bewahren sie als Wintervorrath auf, versorgen auch die Städte und nahegelege­nen Ansiedelungen der Weißen damit, was ihnen noch immer einen erklecklichen Erwerb abwirft.

Im Monat Juli ist die Hauptsalmenernte der Indianer. Es war Ausgangs dieses Monats und noch dazu blauer Montag, also ein Tag, an welchem ein guter Bürger sich Etwas zu gute thun soll; ich schlug daher einem wanderlustigen Freunde vor, zur Erholung von den Anstrengungen des Geschäftslebens einmal eine kleine Vergnügungstour zu machen und die etwa sechs englische Meilen oberhalb Dalles in Oregon gelegenen Fälle des Columbia (The Dalles) zu besuchen, bei denen die Indianer ein Sommer­lager zum Lachsfang aufgeschlagen hatten, um die Herren Rothhäute beim Fischfang dort persönlich zu beobachten,

Gesagt, gethan! Das Wetter war allerdings etwas windig, – leider ein unverbesserlicher Naturfehler dieser Gegend – und die Staubwolken zogen wie Höhenrauch das wilde, von fast aller Vegetation entblößte und von nackten Bergen eingeschlossene Thal des Columbia hinauf; aber daran hatte ein längerer Aufenthalt im goldenen Oregon uns gewöhnt und wir hätten lange warten können, bis es hier einmal nicht wehte. Da das Wetter sonst zu einem Marsche über die Berge einladend und nicht zu warm war, so konnte der Wind uns nicht von unserem Ausfluge ab­halten.

Bald hatten wir den nöthigen Proviant in Gestalt solider und flüssiger Magen- und Herzstärkungen eingelegt, eine wichtige Vorsichtsmaßregel, da wir uns nicht bei den Wilden zu Lachs und Heuschrecken zu Gaste einzuladen wünschten und dort auch keine Hôtels zu erwarten waren. Die goldgelben Meerschaumpfeifen wurden mit echtem Virginia gestopft, mein wanderlustiger Freund nahm seinen knorrigen Ziegenhainer und ich meinen Gemsenstock, dessen Heimath auf den silbernen Alpen am Weißen Berge ist, zur Hand, die Pfeifen wurden angesteckt, und lustig ging’s, blaue Wolken emporwirbelnd, den Staubwolken zum Trotze, die uns umhüllten, auf dem Eisenbahndamm dem Ufer des Columbia ent­lang, dem Lager unserer rothen Freunde entgegen.

Der Weg auf diesem allen deutschen Eisenbahnbauten Hohn sprechenden, unebenen und in fortwährenden Biegungen sich hin- und herschlängelnden Eisenbahndamm war entsetzlich holprig. Besonders unangenehm war die Passage über ein paar luftige, sehr wackelige Holzbrücken, welche wir jedoch, ohne einen weiten Umweg über die mit Felsgeröll bedeckten Berge zu machen, nicht wohl vermeiden konnten. Der Leser denke sich eine Holzbrücke, die an sechszig Fuß hoch einen über Felsen dahinbrausenden Wasserlauf ein paar hundert Schritte weit überspannt. Schritt für Schritt mußten wir von einer Schienenschwelle zur andern, die mitunter un­angenehm weit auseinander lagen – auf einer Stelle vier bis fünf Fuß weit von einander entfernt – über den Abgrund


  1. Diese touristisch-ethnographische Skizze ist in der That „über den halben Erdball“ zu uns herübergewandert, aus dem Staate Oregon im fernen Westen Nordamerikas und aus derselben Feder kommend, welcher die Gartenlaube (1865, Nr. 20) den mit so allseitigem Interesse aufgenommenen Aufsatz über die rheinischen Hurdy-Gurdys verdankt.
    Die Redaction.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 760. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_760.jpg&oldid=- (Version vom 4.12.2022)