Seite:Die Gartenlaube (1865) 758.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

nicht irdischen Freund, wie an eine Art von Schutzgeist, und was noch an andern Regungen in ihr keimen wollte, das ward unerbittlich von dem Entsetzen zertreten, welches sie bei dem bloßen Gedanken erfaßte, daß ihr Herz an einem geweihten Diener des Herrn anders hängen könne, als mit den Gefühlen gläubiger Frömmigkeit und Verehrung.

In ihrem Sinnen ward sie nicht gewahr, daß ein Schatten an dem Kohlenmeiler vorüber zu ihr hinhuschte, und sie fuhr mit freudigem Schrecken auf, als eine Hand an’s Fenster tippte und das treuherzige Runzelgesicht der alten Kathrin ihr durch die Scheiben entgegenlachte.

„Du bist es?“ rief sie freudig, „Du kommst zu mir, Du gute Kathrin? Wie hast mich nur g’funden?“

„Narr,“ erwiderte die Magd, indem sie der Thür zueilte, „wie sollt’ ich Dich nit finden? Bist mir überall ab’gangen und weißt wohl, wenn man was so recht ernsthaft sucht, nachher find’t man’s auch! Ich hab’ mir eingebild’t, Du könntest nit gar weit fort sein, und hab’ dem alten Moosrainer auf den Weg gelauert … da war’s nit schwer! Es verdrießt Dich doch nit etwa, daß ich zu Dir komm’?“

„Wie kannst so was denken! Das ist die erste fröhliche Stund’, seit … nun, Du weißt es schon, seit wann … Aber wo bist Du jetzt untergekrochen?“

„Beim Wirth, Franzi. Die Frau ist mir schon lang drum angelegen … Da hab ich, wie Du fort warst, meinen Bündel g’schnürt … Aber Dir ist’s nit schlecht ’gangen derweil! Bleich siehst wohl aus, aber ich mein’ schier, Du bist noch säuberer als zuvor …“

„Und Du bist noch immer die alte böse G’sellin,“ sagte Franzi schmollend und wandte sich ab, um ein Erröthen zu verbergen.

„Meinethalben,“ fuhr Kathrin fort und machte sich’s auf der Ofenbank bequem, nachdem sie den Schnee von den Schuhen gestampft. „Und Du fragst mich um gar nichts? Macht nichts, ich erzähl’ Dir doch, weil ich weiß, daß Du’s doch gern wissen möchtest … Also – der Herr Caplan hat jetzt seinen Bescheid bekommen, er soll auf ein halbes Jahr in die Straf’ gehn in’s Priesterhaus …“

„Um meinetwegen!“ rief Franzi unter vorstürzenden Thränen. „O Du armer, armer, Du guter Isidor!“

„Ja, gut ist er g’wiß – sonst hätt’ er seine Sach’ wohl g’scheider angefangen, wär’ Moosrainer geworden und hätt’ eine Gewisse zur Bäurin gemacht …“

Franzi senkte den Kopf, als habe sie nichts gehört. „Und was wird er thun?“ fragte sie dann.

„Wer weiß das? Aber es heißt, er will nit folgen. Er sagt, der Bischof hätt’ ihn gar nicht gehört, hätt’ ihn nit einmal um seine Vertheidigung gefragt – ein solches ungerechtes Urtel und eine solche Straf’ thät er nicht annehmen!“

„Ich hab’ mir’s denkt,“ jammerte Franzi, „aber wie soll’s dann werden mit ihm? Dann hat er ja ganz und gar verspielt bei den Herren und ist verloren für alle Zeit!“

„Er soll nit viel reden davon, selbst zu sein’ Vater nit, aber die Pfarrer-Fräulen sprengt aus … Aber nein, es ist g’scheider, das brauchst Du nit zu wissen …“

„Was, Kathrin?“ fragte Franzi hastig aufspringend und faßte sie drängend an den Händen. „Was sprengt die Fräulen aus? Red’, ich muß Alles wissen …“

„Sie sagt,“ begann die Magd zögernd, „er thät’ sein’ Glauben abschwören und luthrisch werden, damit er … Dich heirathen könnt …“

Franzi stand wie versteint – der letzte Blutstropfen war aus ihrem geisterbleichen Antlitz gewichen …

„Sie sagen noch Anderes … er wollt’ fort gehn in ein fremdes Land, übers Meer, wo Euch Niemand kennt, da wolltet Ihr miteinander leben …“

Jetzt löste sich Franzi’s Erstarrung und Thränen quollen ihr wieder aus den Augen. Sie sagte nichts; die Hand an die Stirn gepreßt, die Augen fest auf den Boden geheftet, schritt sie langsam hin und wieder, als suche sie ein kostbares verlorenes Kleinod; dann trat sie rasch entschlossen vor die Freundin.

„Gehst Du heut noch zurück ins Dorf hinunter?“ sagte sie. „Dann geh’ ich mit Dir, ich werd’ gleich zusammengericht’t sein.“

„Du willst mit? Franzi, denk, was willst im Dorf?“

„Kannst Du so fragen? Ich will, was ich muß – ich will den Leuten die Mäuler stopfen …“

„Das ist unmöglich, Franzi – das kannst Du nit! Wie wolltest das anfangen?“

„Ich kann’s, Kathrin – red’ mir nit ab; wie ich’s mach’, das ist meine Sach! Ich bin ein arm’s schlecht’s Dirndel – ein Kind, das von seiner Mutter schon in der Geburt ist verleugnet worden, an mir ist nichts gelegen! Wenn ich mit mein’ lieben Herrgott in Ordnung bin, frag’ ich nit darnach, was die Leut’ von mir reden – aber vom Isidor … von meinem guten lieben Bruder, von dem braven Menschen, der meinetwegen im Unglück ist, soll Niemand eine schlechte Meinung haben – von dem soll kein Mensch ein unschöns Wörtl reden … Komm’ nur, Kathrin – ich stopf’ den Leuten die Mäuler!“

(Schluß folgt.)




Das schwäbische Wagenrennen.
Eine Scene aus dem Cannstadter Volksfest.
Mit Abbildung.

Straßenlärm vor dem Hotel, in dem ich gestern spät Abends Quartier genommen hatte, weckte mich. Ich stand auf und schaute zum Fenster hinaus, da waren schon in erster Morgenfrühe die Gassen der alten innern Stadt Stuttgart voller Menschen. Magnetisch zieht diese alle der eine Pol Cannstadt an. Um mich nicht gegen Schwaben zu versündigen, will auch ich mir das schwäbische Volksfest beschauen, das eben dort im Gange ist; rasch kleide ich mich an und rüste mich zur Wallfahrt mit den Tausenden von Wallern. Das Frühstück wird mit einer gewissen Eile servirt, denn offenbar wollen Köchin und Kellner ebenfalls zum Feste. Man bietet mir Programme und Druckschriften an und drängt mich zur Eile, wenn ich noch ein Plätzchen auf den Schaugerüsten finden wolle. Es ist ein herrlicher Morgen, so schön ihn nur der Herbst aufweisen kann, und ich eile hinaus aus dem engen Häusergewühl auf einen der rebenbepflanzten Hügel, welche das freundliche Stuttgart umgürten. Der Weg ist eine Landstraße und wimmelt von Fuhrwerken und Menschen; von den Bergen südlich der Stadt kommen Haufen von ländlichen Volksfestfahrern herab und leihen der wunderlieblichen Landschaft eine lebenvolle Staffage. Allen brennt die Sohle unter dem Fuße, alle Gesichter lachen und leuchten in Vorfreude. Was kümmert diese Menschen Staub und Hitze? sie amüsiren sich dennoch.

Am Bahnhofe wird das Gedränge lebensgefährlich. Zwar geht von Viertelstunde zu Viertelstunde ein riesiger Zug nach Cannstadt, das man in sechs Minuten erreicht, aber man reißt sich beinahe die Kleider vom Leibe, um zur Casse und gar erst in die Waggons zu gelangen. „Komm, Minele, mir ganget durch d’Anlaga!“ (Komm, Minchen, wir gehen durch den Park) flüstert ein blühendes reizendes Mädchen neben mir ihrer Freundin zu, und ich folge den Beiden. Ein schöner Park mit schattigen Baumalleeen und stattlichen Gruppen alter Bäume führt beinahe in gerader Richtung vom Königsschlosse nach Cannstadt. Auf allen Wegen des Parkes wogt der Menschenstrom; Jung und Alt, Arm und Reich, Herr und Magd schreitet rührig aus, noch einen guten Platz zu erlangen, um die Sehenswürdigkeiten zu schauen. Der Schlangenweg, dem wir folgen, biegt aus den Bäumen heraus, ein Stück staubiger Straße entlang, und vor uns entfaltet sich das hier weitgesprengte, von sanften Hügeln eingeschlossene Thal des Neckars. Auf zwei Hügelkuppen leuchten königliche Schlösser im goldenen Strahl der Frühsonne; am Fuß eines andern Hügels erhebt sich ein saracenischer Bau, eine Villa mit Gewächshäusern und Gärten in maurischem Styl – die sogenannte Wilhelma, eine Schöpfung des verstorbenen Königs. Zwei Stege führen über die Arme des fast versiechten Neckars, und mit einem Male reißt uns der drängende

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 758. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_758.jpg&oldid=- (Version vom 28.12.2022)