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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Der Dorfcaplan.
Erzählung aus Oberbaiern nach einer wahren Begebenheit.
Von Herman Schmid.
(Fortsetzung.)


3.

Der Weihnachtstag kam herrlich herauf. Sommerblau und rein lag der Himmel über dem weiten Stromthale, das der Wilde Kaiser abschloß, glänzend und blitzend im Sonnenschein, als habe er dem Feste zu Ehren seinen Eispanzer blankgescheuert und den weißen Kaisermantel um die Felsenschultern geschlagen. Der Ostwind strich kalt über die flimmernde Schneelandschaft hin, daß der Hauch vor dem Munde fror, den Landleuten, die von den entlegenen Höfen herangewandert kamen, sich Haar, Bart und Hut bereiften und weit und breit hin an allen Sträuchern und Zweigen Milliarden von Eisnadeln und Schneekrystallen glitzerten und funkelten.

Im Dorfe selbst war die Stimmung nicht so festlich, wie draußen in der freien Natur; die Vorgänge der Nacht lagerten darüber, wie oft auf den Schornsteinen und Firsten der Rauch haftet und sich niederschlägt, wenn eine ungünstige Luftströmung ihm wehrt, fröhlich und kerzengerade emporzuwirbeln. Die Plauderhaftigkeit der Dienstboten im Pfarrhofe, die Bosheit des triumphirenden Lehrers hatten rasch und genügend dafür gesorgt, daß die aus der Christmette Heimkehrenden auch die Kunde des Vorgefallenen in Hütten und Häuser auseinander trugen, als Würze zu Sauerkraut und frischgeschlachtetem Schweinefleisch, das nach der langen Fastenzeit im Advent auch auf dem ärmsten Heerde brodelte. Der Eindruck war verschieden, nach den vielerlei Köpfen, auf die er wirkte; der allgemeinste war der der Verwunderung, wie so Etwas so buchstäblich über Nacht habe kommen können, und einer gewissen Schadenfreude; denn es gab Manche, die von dem Hochmuth des Pfarrfräuleins gekränkt ihm eine Strafe und Demüthigung gar wohl gönnten. Der Herr Caplan ward bedauert, denn die Bauern hatten ihn lieb und Bauernherzen sind zäh; was einmal Wurzel gefaßt in den treuen Gemüthern, das halten sie fest und es braucht manch harten Ruck, bis sie es sich entreißen lassen.

War auch der Hauptgottesdienst schon während der Nacht gefeiert worden, so gab es doch Männer und Bursche genug, die sich Vormittags zur Kirchenzeit auf dem Platze vor der Kirche zusammenfanden, um zu plaudern und alle die Begebenheiten seit dem letzten Begegnen zu verarbeiten. Darunter waren der Wagner des Orts, ein stämmiger Mann mit soldatischer Haltung, der Schneider, der Bader und der Eisenkrämer; ein schmächtig aussehender Mensch mit ruppigen Händen ließ den Schuster nicht verkennen; einen Andern verrieth das Päckchen, das er unter dem Arme trug. Es war der „Beter“-Macher, der seine Waare, allerlei Rosenkränze, immer bei sich trug, um augenblicklich zum Handel bereit zu sein.

„Da kann man’s einmal mit Händen greifen,“ sagte der Betermacher fromm thuend, als das Gespräch wieder auf Isidor kam. „Hochmuth kommt vor dem Fall! Hab’s erst gestern noch von dem Schullehrer gehört, daß der Herr Caplan immer obenaus gewollt hat … da hat unser Herrgott die Hand von ihm abgezogen und er ist in die Schlingen des Teufels gefallen!“

„Laß den Teufel in Ruh, Betermacher,“ entgegnete der Wagner barsch, „der muß nit überall seine Hand d’rinn haben, es giebt Leut’ genug, die für ihn die Arbeit thun!“

„Wie kannst’ so reden, Wagner!“ rief der Schuster, entsetzt. „In ein’ so frommen Haus, wie der Pfarrhof ist!“

„Eben deswegen! Ist keine Kirchen so klein, die Capelle muß auch dabei sein … und wenn der Teufel sonst gar keinen Platz findet, schlupft er in einen Weiberrock …“

„Ja, das ist wahr!“ rief der Betermacher wieder und verdrehte die Augen. „Die Franzi! Ein so kreuzbraves Mädl! Wer hätt’ das von der Franzi gedacht!“

„Nun, die hab’ ich gerad’ nicht gemeint!“ lachte der Wagner. „Wir werden ja sehen, was dahinter ist; in ein paar Tagen wird man wohl Alles wissen!“

„Wir könnten’s gleich erfahren,“ sagte der Schuster. „Wie wär’s, Männer, wenn wir zum Pfarrer gingen, so wie eine Deputation von der Gemeind’, und thäten ihm unser Bedauern sagen, daß er einen solchen Verdruß hat haben müssen …“

„Zum Herrn Pfarrer?“ rief der Wagner grob. „Warum? Unsereiner hat auch genug Verdruß im Haus, aber ich hab’ noch nie gehört, daß der Pfarrer ’kommen ’wär und hätt’ Einem sein Bedauern gesagt … was wir gemeine Leut’ zuwege bringen müssen, das wird er als ein studirter Herr wohl auch vermögen …“

Er ging und ließ Schuster und Betermacher stehen; unbekümmert über ihren unverhohlenen Aerger, winkte er dem Bader und Schneider mit den Augen zu und schritt mit Beiden davon. „Wie ist es denn?“ sagte er flüsternd. „Es hat ja geheißen, auf Weihnachten käm’ er wieder herüber … Ihr wißt schon, wen ich mein’ …“

„Versteh’ alle Wort’,“ sagte der Schneider wichtig und geheimnißvoll, „gewiß weiß ich’s nit … es soll gar viel Schnee haben, wo er heraus muß … aber ich denk’ wohl, er kommt, und sobald ich’s weiß, laß ich Alles herrichten …“

Sie winkten sich zu und trennten sich, vorsichtig umherblickend, ob auch Niemand die geheime Zwiesprache belauscht. –

Auch auf dem Moosrainer-Hofe bildete der Festtag einen trüben Gegensatz zu der heitern Festlichkeit, die erst so kurz dort begangen worden. Noch war es völlig Nacht gewesen, als die Thür des Pfarrhauses sich geräuschlos aufthat und der Verstoßene auf der Schwelle stand, die er mit ahnungsvollem Widerstreben betreten. Es war dunkel in ihm und um ihn her; aus den Fenstern der Kirche kam der rothe Schein der ewigen Lampe so schwach herüber, als wenn sie mit dem Erlöschen kämpfte, aber gerade vor ihm blitzte und funkelte der Morgenstern in seltener Pracht, als wär’ es eine geschwungene Fackel in Engelshand, um wie von einem Leuchtthurme aus zu mahnen, daß der Himmel über uns unerschütterlich feststeht, auch wenn unter uns die trügerische Erde wankt. Durch Frostschauer und beginnendes Schneegeriesel schritt er dem Vaterhause zu, unendliche Wehmuth und Trauer in der Seele, daß er so dahin zurückkehren mußte; doch es blieb kein anderer Ausweg, um Aufsehen zu vermeiden. Einen Tag wollte er Herberge nehmen in der Heimath, um sie dann für immer zu verlassen und unbekannt an einem fremden Ort die Entwickelung seines Geschickes abzuwarten. Das Haus stand finster in der Finsterniß; kein Lichtschein zeigte, daß Leben in ihm sei, und es war doch schon die Stunde vorüber, die den Bauer in Scheune, Stall und Haus zu den Arbeiten weckt, von denen auch der höchste Feiertag ihn nicht befreit. Dennoch standen Thür und Thor weit auf, als würde Jemand erwartet; aber Niemand kam dem Eintretenden entgegen. Lautlos tastete sich Isidor über den unerhellten Vorplatz, die Treppe hinan zu seiner früher bewohnten Stube. Sie war nicht verschlossen, im Ofen brannte behagliches Feuer und auf dem Tischchen war eine Kerze, Stein und Schwamm bereit gestellt; es war unverkennbar, man erwartete ihn im Hause, allein man scheute sich, ihm zu begegnen.

Isidor hatte kein Verlangen nach Licht; ihm war es wohl in der matten Dämmerung, welche das Schneelicht durch die Scheiben warf; die ganze Herbheit des Erlebten kam über ihn und machte ihn beinahe verzagen. Da kam die Natur als liebende Vermittlerin ihm zu Hülfe, die Stille, die Wärme, die sichere Einsamkeit wirkten schmerzstillend auf ihn und der Schlaf senkte sich auf seine heißen Augen und tobenden Schläfen, wie ein kühlender Verband.

Er hatte nicht lange geschlummert, als ihn Lichtschein weckte, der alte Moosrainer stand in der Stube, die klugen Augen fest und fragend auf den Sohn geheftet.

„Vater!“ rief dieser aufspringend und wollte mit weit ausgebreiteten Armen sich ihm an die Brust werfen dieser aber trat einen Schritt zurück und streckte den Arm wie zur Abwehr gegen ihn aus.

„Bleib’, wo Du bist,“ sagte er, „erst muß ich wissen, wie wir Zwei miteinander stehn! Ich hab’ Dir’s gesagt, Isidor, Du wirst niemals so groß wachsen, daß ich aufhören thät’, als Vater mit Dir zu reden; ich hab’ Dir die Thür offen gelassen, damit es vor den Nachbarn keinen Spectakel giebt, aber deswegen darfst Du den Moosrainerhof doch nit für einen Taubenschlag ansehn,

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