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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Ueberrascht blieben Beide einen Augenblick wortlos; die hoch erhobene Lampe in des Mädchens Hand warf ihren vollen Schein auf das liebe Gesicht und die herzigen Kinder-Augen.

„Du noch hier?“ fragte Isidor. „Ich dachte Dich längst in der Kirche.“

„Wär’ auch längst schon dort,“ antwortete sie schüchtern, „aber die kranke Kuh war so elend, daß ich ihr noch einen warmen Trank angebrüht hab’ … ich will’s jetzt noch nachholen und denk’ unser lieber Herrgott nimmt den Willen für’s Werk; wenn man seine Schuldigkeit thut, ist es ja auch ein Gottesdienst … nicht wahr?“

„Gewiß, und nicht der geringste … aber ich finde, Du siehst blässer aus, als früher … Du hast wohl von dem Vorfall in der Schmiede gehört und Dich um des Vigili willen geängstigt?“

Sie schüttelte den Kopf.

„Es ist auch nicht so sehr schlimm, die Leute machen gar zu gern aus einer Mücke einen Elephanten … Die Schmiedin hat eine Schramme am Hals, die heftig blutete, aber Gefahr ist nicht dabei … Ich bin auch nur darum so lange dort geblieben, um zwischen dem aufbrausenden Burschen und der hartnäckigen Frau Frieden zu stiften. Es sind ein paar harte Steine, die da auf einandertreffen, aber ich hoffe, sie haben sich wirklich ausgesöhnt!“

„Gewiß,“ sagte Franzi innig und sah zu ihm empor, „wenn Sie reden, Hochwürden Herr Isidor. da geht Einem das Herz auf …“

„Meinst Du? Ich wollte, mein Bewußtsein könnte Dir Recht geben – aber jetzt leuchte mir in meine Stube. Es ist grimmig kalt und mich schüttelt es, wie Fieberschauer; ich fürchte, ich habe mich erkältet …“

Schweigend ging sie die Treppe hinan und öffnete das Zimmer; eisige Luft strömte ihnen entgegen, die Wände schimmerten vom Frost und an den Fenstern waren Eisblumen aufgeschossen. Sie zündete die Studirlampe an und zog den Schirm herab, grüne Dämmerung lagerte sich über das nächtlich einsame Gemach; unwillkürlich standen Beide sich zögernd gegenüber.

Es war etwas zwischen ihnen, was an’s Licht drängte.

„Du bist doch traurig,“ sagte Isidor, „ich seh’ es jetzt ganz deutlich … Warum?“

„Kann wohl sein,“ flüsterte sie, „zumal heut, wo für Alles ein Freudentag ist und … kann wohl sein, daß es mir heut besonders schwer auf’s Herz gefallen ist, daß ich ein Findelkind bin, daß ich meine Eltern nicht einmal kenn’ und keine Menschenseel’ hab’, die sich um mich annimmt …“

„Keine Menschenseele, sagst Du? Ist das recht? Hast Du nicht mich? Ich bin Dein Bruder, Franzi, und will an Dir handeln wie ein Bruder! Ich versprach es schon meinem Vater, Alles zur Entdeckung Deiner Eltern zu thun, und will nicht ruhen, bis es mir gelungen ist … Hast Du gar keine Spur von ihnen, gar keinen Anhaltspunkt?“

„Nichts, als das Ring’l da … ich heb’ es sonst heilig auf und zeig’ es keinem Menschen … aber heut zum heiligen Abend hab’ ich’s angesteckt …“

„Zeige doch,“ erwiderte Isidor und betrachtete den unscheinbaren Silberreif. „Kein Zeichen daran, als ein paar halb verwischte Buchstaben; ich will sie bei Tag betrachten, wenn Du mir den Ring anvertraust …“

„Gern,“ rief sie rasch, „Alles, was Sie wollen … Alles.“

In Isidor’s Herzen wallte es heiß empor. „So bist Du mir gut, Franzi?“ sagte er heiß und innig.

Sie erwiderte nichts, aber sie erglühte über und über und sträubte sich nicht, als er ihre Hand erfaßte und sie leise näher zog; sein Gesicht senkte sich zu ihr herab, daß er die Gluth ihrer Wangen fühlte … da ermannte sich der gute Geist in ihm; er ließ ihre Hand los und trat zurück.

„Auch ich bin Dir gut,“ sagte er, „wie einer Schwester …“

Sie sprach wieder nichts, aber sie fühlte wie ihr das Blut zum Herzen zurückdrängte, mit dem Worte war es ausgesprochen, was sie in ihrer schuldlosen Unbefangenheit nie geahnt hatte: die Liebe, die sie für den Jugendfreund empfand, war nicht die einer Schwester …

Sie schritt der Thür zu. „Es ist so kalt,“ sagte sie dort, „das könnte Ihnen schaden, Herr Isi … Herr Caplan; ich will Feuer anschüren …“

„Thu’ das, mein Kind … und gute Nacht … meine gute treue Schwester, gute Nacht!“

Er war allein; das beglückende Bewußtsein, sich selbst besiegt zu haben, durchglühte ihn, daß er die Kälte nicht mehr empfand; die schimmernden Wände und Fensterscheiben schienen wie brennende Freudenkerzen …

Bald ward draußen der Schritt des Mädchens hörbar und das Poltern des Holzes, das sie zu Boden warf … aber im nämlichen Augenblick erscholl auch die keifende Stimme der Haushälterin.

„Komm’ ich endlich dahinter,“ schrie sie, „wer der Dieb ist im Hause? Ist es mir doch im Geist vorgegangen, daß ich früher fort bin aus der Kirche! So also geht es im Hause zu? Weg vom Ofen, schlechte Person!“

Franzi war wie versteinert. „Ich bin keine Diebin,“ stammelte sie, „und keine schlechte Person …“

Mehr hatte Isidor im Zimmer nicht gehört; schon hatte er die Thür geöffnet und stand erregt der Zürnenden gegenüber. „Beruhigen Sie sich, Fräulein,“ sagte er, „es geschah auf mein Verlangen. Ich bin zu unwohl, um im kalten Zimmer schlafen zu können, und werde Ihnen morgen das Holz ersetzen …“

„So?“ rief das Fräulein, die immer mehr außer sich gerieth. „Auch das noch? Sie selber verleiten die Ehhalten und unterstützen sie gegen die Herrschaft? Und warum ist die Person nicht in der Mette? Ist wohl absichtlich daheim geblieben, um ungestört zu sein?“

„Himmel und Erde!“ rief Isidor, dessen Stirnadern schwollen, „kein solches Wort mehr gegen meine Schwester, oder …“

„Schwester?“ höhnte das Fräulein. „Ist das so geschwind gegangen? Eine lüderliche Dirne ist sie und wenn sie nicht über die Stiege hinuntereilt, zeig’ ich ihr mit dem gestohlenen Scheit den Weg!“

Franzi schrie auf; die Wüthende hatte wirklich ein wuchtiges Scheit ergriffen und es zum Schlage erhoben, aber Isidor fing den Arm auf und entrang es ihr. Außer sich wollte sie sich mit den Händen auf das Mädchen stürzen – da stieß Isidor mit voller Manneskraft sie zurück, daß sie taumelte, mit dem Kopfe an die Wand schlug und heulend und blutend zu Boden stürzte.

Isidor stand wie versteint; zu seinen Füßen kniete das Mädchen und betete und weinte verwirrt durcheinander in unsäglicher Herzensangst.

An der Treppe erschien der vom Gottesdienst heimkehrende Pfarrer, hinter ihm tauchte das rothe Haar und das lauernde Auge des Schullehrers empor.

„Wahrlich,“ sagte der Pfarrer, indem er voll Würde und nicht ohne Bewegung näher trat, „größeres Leid, als durch einen solchen Anblick konnte mir nicht bereitet werden … Bedauernswerther junger Mann … wissen Sie, was Sie gethan? Blut ist durch ihre Hand vergossen worden, Sie sind irregulär: ich werde darüber an das Ordinariat berichten … bis der Bescheid kommt, suspendire ich Sie … ich enthebe Sie Ihres Amts und verbiete Ihnen als einem Unwürdigen jede priesterliche Handlung! Morgen werden Sie den Pfarrhof verlassen, ich kann nichts, als im Gebet Ihrer gedenken!“

(Schluß folgt.)




Der Dichter des Faust im Studentenrocke.

An einem rauhen Herbsttage des Jahres 1765 fuhr ein Wagen aus Frankfurt am Main zur Allerheiligen-Pforte hinaus. In demselben saßen der ehrenwerthe Buchhändler Fleischer mit seiner Gattin und ein junger Mensch von sechszehn oder siebzehn Jahren, der indeß geistig und körperlich seinem Alter vorausgeeilt schien. Seine Gestalt war ziemlich groß, kräftig und wohlgebildet, das Gesicht wunderbar anziehend und interessant. Feine geistreiche Züge, die Stirn weit und hochgewölbt, wie ein Tempel des Genius, die Nase leicht gebogen, der Mund mit der vollen Oberlippe wie zum Kuß geschwellt und die braunen Augen von herrlichem Glanz erfüllt, die ganze Welt klar erfassend und poetisch wiederspiegelnd. Er hieß Wolfgang Goethe und war der Sohn des Herrn

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 740. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_740.jpg&oldid=- (Version vom 27.12.2022)