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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

No. 47.   1865.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. 0Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.




Der Dorfcaplan.
Erzählung aus Oberbaiern nach einer wahren Begebenheit.
Von Herman Schmid.
(Fortsetzung.)


„Hochwürdiger Herr Caplan.“ rief Fräulein Amélie, „lassen Sie diesen wenn auch mißlungenen, doch gutgemeinten Empfang Ihnen ein Beweis sein, wie sehr wir Alle die Wichtigkeit des Augenblicks erkennen, da ein neuer Streiter einzieht in dieses Haus, ein neuer Arbeiter in dem Weinberge des Herrn! Mehrere fromme Seelen in der Gemeinde haben all’ ihre Hoffnungen auf Sie gebaut und vertrauen, daß Sie wirken werden für die wahre Frömmigkeit, für die Lauterkeit und Reinheit der Herzen, die ja täglich und stündlich mehr verschwindet in dieser argen Welt … Nehmen Sie darum als ein Zeichen unserer Hoffnungen dieses von mir und jenen frommen Seelen gesammelte Scherflein und lassen Sie es den Grundstein werden, einen Tugendbund zu gründen, der mitten in dem Verderben der Welt noch ein Häuflein Getreuer vereine und durch die Sündfluth trage, wie die Arche Noah! Seien Sie wie die Taube, die mit dem Oelzweig der Verheißung …“

„Mein Fräulein,“ erwiderte Isidor, sie unterbrechend und etwas bei Seite tretend, daß ihm an ihr vorüber der Weg offen stand, „seien Sie überzeugt, daß ich das besondere Vertrauen, das mir erwiesen werden will, vollkommen erkenne und zu würdigen weiß, aber halten Sie mich nicht für unhöflich, wenn ich offen erkläre, daß ich solche prunkhafte Kundgebungen nicht liebe! Ich habe einen ernsten Weg vor mir, auf welchem mir vor Allem stille Sammlung ziemt … Zürnen Sie auch nicht, wenn ich ebenso Ihr Geschenk zurückweisen muß und bekenne, daß ich kein Freund von Bünden und Conventikeln bin! Tugend ist die Lebensaufgabe jedes Menschen, die ganze Menschheit soll daher ein Tugendbund sein und wenn sie es nicht ist, bietet ihr die Kirche, der Glaube die Mittel, es zu werden … Geben Sie Ihre Spende würdigen Armen, dürftigen Kranken oder wenden Sie es der Schule zu, und Sie haben mehr gethan, als wenn Sie ein Bündlein stiften, das nur zum frommen Hochmuth der Einen, zu Spott und Haß der Andern und endlich zu Hader und Zwietracht führt …“

Die Stubenthür ging auf, der Pfarrer erschien und begrüßte den neuen Hülfspriester, der ihm in das Zimmer folgte.

Eine Secunde noch stand das Fräulein unbeweglich, das Kissen auf den erstarrten Händen; nur der funkelnde Blick verrieth, daß Leben in ihr war. Sie klemmte heftig die Unterlippe zwischen die Zähne, dann fuhr sie mit dem Seidenbeutel in die Tasche, schleuderte, unbekümmert um die feine Stickerei, das Kissen in die Ecke und rauschte grimmig die Treppe hinauf.

Bald darauf verließen die beiden Geistlichen das Gebäude, der Pfarrer, um einen Besuch bei dem benachbarten Gutsherrn zu machen, Isidor, um zum ersten Male in die Dorfschule zu gehen, deren Besuch und Ueberwachung ihm übergeben worden war.

Franzi hatte sich inzwischen an die Rückseite des Hauses geflüchtet und saß auf einer Bank unter dem Laubengange des obern Stocks, eine mächtige Schüssel mit Aepfeln neben sich, die sie schälte und zerschnitt. Die Thränen waren aus ihren Augen verschwunden, aber es schwebte noch über denselben wie ein Regengewölk, das jeden Augenblick bereit ist, neue Tropfen herabzuschicken. Es war ein freundlicher Anblick, sie so geschäftig zu sehen, während vom Laubgange herab ein Taubenpaar zu ihr herniedergurrte, neugierig genäschige Hühner furchtlos herantrippelten, um an den Obstschalen zu picken, und von dem kleinen Pfuhle jenseits des Obstangers einige Enten laut schnatternd und mit vorgestreckten Hälsen eilig herbeiwackelten – sie kannten alle die gewohnte, freundliche Pflegerin und wollten sie begrüßen. Diese aber bemerkte sie kaum; so sehr war sie in ihre Arbeit oder in ihre Gedanken vertieft, daß sie zuletzt der erstern vergaß und den halbgeschälten Apfel und das Messer in den Händen sinken ließ.

Ueber den Weg her kam Kathrin, den Melkkübel in der Hand, um ihn am Brunnen blank zu scheuern.

Sie blieb einen Augenblick stehen. „Ich glaub’ gar, Du hängst den Kopf,“ rief sie dann nähertretend; „etwa gar, weil die Fräul’n Dich wieder einmal ang’fahrn hat? Ich mein’, Du könntest es schon bald gewohnt sein und Dir nichts mehr d’raus machen!“

„Ja, wenn ich das könnt’!“ seufzte Franzi. während Kathrin den Melkkübel auf die Bank stellte, um ungestörter plaudern zu können. „Ich bring’s nit zuwegen und es kommt mich so hart an, weil sie sonst alleweil so gut gewesen ist mit mir … und jetzt kann ich ihr gar nichts mehr recht machen …“

Kathrin trällerte halblaut den Anfang eines Schnaderhüpfels. „Das könnt’ ich Dir schon sagen, warum das so ist,“ sagte sie dann, „das ist der Alte-Jungfern-Humor!“

„Geh’ doch, Du ungute G’sellin,“ erwiderte Franzi. „Wenn das so wär’, warum bist Du alleweil gut aufgelegt? Bist Du nit auch …“

„Ein’ alte Jungfer? Ja, Gott Lob, und in allen Ehren … aber bei Unsereinem ist das ganz was Andres. Ich arbeit’ mich aus, rechtschaffen, alle Tag’, aber die so viel sitzen und nichts thun, die kommen auf allerhand Gedanken und können’s nit verwinden, wenn das Bissel Schönheit einmal dahingeht!“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 737. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_737.jpg&oldid=- (Version vom 27.12.2022)