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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

„Natürlich, damit Du ja nicht zu spät kommst!“ spottete der Alte.

„Spotte nur!“ rief sie. „Wirst schon anders reden, wenn Du erst Alles weißt! Denk’ Dir nur, Vater! Ach, die Freud’ … ich weiß gar nit, wie ich es sagen soll …“

„Auf das Wie kommt’s nicht an, sag’s nur gerad’ heraus!“

„Ach Gott, das will ich ja! Du weißt doch, Vater, daß unser Caplan krank geworden und in die Stadt gereist ist und daß er in den nächsten Tagen hat wiederkommen sollen ? … Nun also, er kommt nit! Er ist so krank, daß er nit kommen kann und weil der Herr Pfarrer ohne Caplan nit sein kann, hat er beim Bischof gebeten, er soll ihm unsern hochwürdigen geistlichen Herrn Sohn lassen und Seine Gnaden der Herr Bischof hat’s erlaubt und unser Herr Sohn bleibt als Caplan in unserm Dorf und der Herr Pfarrer hat mir die Freud’ gemacht, daß ich ihm die Nachricht selber bringen darf und hat mir das Schreiben da mit’geben, da steht’s drinn’ Schwarz auf Weiß, daß unser geistlicher Herr Sohn bei uns bleibt … Ach Gott, ach Gott, die Freud’ und die Ehr’ … ich weiß gar nit, was ich sagen soll …“

Sie unterbrach den Redestrom, indem sie ihr Tuch an die ebenfalls überströmenden Augen drückte. In ihrer Freude bemerkte sie den Eindruck nicht, den ihre Nachricht auf Vater und Sohn hervorbrachte; Isidor war bei der ersten Andeutung erblaßt, jetzt stand er mit der einen Hand auf die Stuhllehne gestützt, während die andere mit leichtem Beben das inhaltvolle Schreiben hielt, in das er mit vergehenden Augen starrte.

Der Alte stand seitwärts und verwandte kein Auge von Isidor.

„Und wem meint Ihr, daß wir das zu verdanken haben?“ rief die Bäurin auf’s Neue. „Niemand Anderm, als der Fräulein Amélie, die halt’t so große Stuck auf unsern Herrn Sohn und hat nit nachgegeben, bis der Herr Pfarrer die Eingab’ gemacht hat! Ach, ist das ein herzensgutes Frauenzimmer! Und der Herr Sohn hat’s nit einmal recht verdient um sie … er hat sie nit einmal zu den Kranzeljungfern genommen … Aber das kann er ja gut machen und muß sich jetzt recht besonders bei ihr bedanken … Aber wie ist denn das?“ fuhr sie aufblickend fort. „Es red’t ja Keiner ein Wort … Freut’s den Herrn Sohn denn nit, daß er in seiner Heimath bleiben darf?“

„Gewiß, Mutter,’ erwiderte Isidor mit einiger Anstrengung, „aber ich kann nicht verhehlen, daß mir die Nachricht überraschend kommt; ich hatte meine Pläne anders gemacht: es war mein schönster Gedanke, einmal in meiner Heimath wirken zu können; jedoch erst als Pfarrer, als gereifter, wohlerprobter Seelenhirt, dachte ich wiederzukommen … Es scheint vom Himmel anders beschlossen zu sein und ich füge mich … Jetzt aber fühle ich, daß mein Unwohlsein doch noch nicht ganz gehoben ist, ich bedarf der Ruhe und der Einsamkeit …“

„Ja, ja, ganz recht! Komm, Alte,“ rief der Moosrainer und zog die redselige Frau, die noch gar viel auf der Zunge hatte, der Thür zu. „Sag’ mir, was Du noch Alles auf dem Herzen hast, wir wollen den Isidor allein lassen …“

Widerstrebend folgte sie, indeß nur, um vor der Thür fragend anzuhalten. „Und Du freust Dich auch nit, scheint’s? Denk’ nur … was kann er da Gutes wirken, hat die Fräulein Amélie g’sagt, wo er jedes Kind kennt!“

„Ja – und jedes Kind ihn! Ich will nit sagen, daß es mich nit freut, aber der Isidor hat doch wohl Recht, und der Pfenning gilt nichts, wo er geschlagen ist!“

Während sie gingen, erklang das Abendläuten vom Thurme.

In seinem Zimmer stand Isidor und hob die gefalteten Hände in die Dämmerung empor. „Du siehst mein Herz, o Gott,“ betete er, „du weißt, daß ich diese Schwäche bezwungen habe, daß mein Entschluß, mein Wille, mein Leben nur deinem Dienste gehören! Du bist es, der mir diese Prüfung schickt, die Stärke meiner Ergebung zu bewähren … Sei du mit mir! Mit deiner Gnade will ich sie bestehen – zu deiner Ehre … Amen!“

Am andern Morgen fand die Uebersiedeluug in den Pfarrhof statt. Isidor machte einen weiten Spaziergang durch die Stoppelfelder, über welche vom Strome her sich heute der erste Nebel dehnte, auf dem Rückwege wollte er dann in dem Hause neben der Kirche eintreten; es war Etwas in ihm wie eine Ahnung, daß man ihm von irgend einer Seite Feierlichkeiten bereiten wolle und diesen dachte er zu entgehen. Die Ahnung hatte ihn auch nicht getäuscht, wohl aber seine Berechnung, denn als er um die Ecke vortretend dem Pfarrhofe gegenüberstand, sah er dessen Thür geöffnet und in derselben Fräulein Amélie beschäftigt, welche zu der auf einer Leiter stehenden Kathrin hinaufzankte, daß der von der Primiz her aufbewahrte, etwas welk gewordene Kranz schief überhänge. Im Hausflur, der Treppe zu, standen die sämmtlichen Dienstboten des Pfarrhofs, offenbar bestellt, den neuen Hausgenossen zu begrüßen. Sie waren aber alle in ihrem Werktagsgewand, denn um der Festlichkeit willen durfte kein Augenblick an der Arbeit verloren gehen. Voran unter den Mägden stand Franzi mit niedergeschlagenen Augen, aber brennenden Wangen, denn es war ihr peinlich, daß die Haushälterin sie, wie sie ging und stand, vom Futtermähen weggeholt und ihr kaum Zeit gelassen hatte, eine weiße Schürze umzubinden. Das Fräulein hatte, um ungehindert zu sein, ihr ein rothgesticktes Sophakissen zu tragen gegeben, auf welchem ein ansehnlicher blauseidener Beutel mit Silberschnüren lag; es hatte fast den Anschein, als sei sie absichtlich so gestellt, um in die Augen zu fallen. Amélie dagegen war im höchsten Putz, der sonst nur zu Ostern, oder am Namenstag des Landesherrn getragen zu werden pflegte. Ein schwarzes Kleid nach städtischem Schnitt und mit Spitzenbesatz zeigte den schönen Wuchs des Fräuleins, so wie die um das Gesicht herabfallenden Schmachtlocken die Fülle ihres schönen Haares verriethen – die beiden Reste einstiger Schönheit, auf welche sie sich nicht wenig zu gute that.

Isidor trat hinzu, lag es auch nicht in seinem Wesen, Jemand eine unschuldige Freude zu verderben, so war doch in diesem ganzen Gebahren Etwas, das ihn unsäglich anwiderte und dem er rasch ein Ende machen wollte. Sein Erscheinen brachte große Verwirrung hervor, aber die Dirnen schmunzelten und die Knechte hatten Mühe, das Lachen zu verhalten; sie gönnten es der wenig beliebten Haushälterin, daß ihre Vorbereitungen zu Wasser geworden.

„O, welches Mißgeschick!“ rief sie und rannte unschlüssig hin und wieder. „Hätte ich nur ahnen können, daß Hochwürden Herr Caplan uns schon so bald die Ehre geben würden! O, das ist um den Kopf zu verlieren … aber daran ist mir die Tölpelhaftigkeit dieser Mägde schuld, die mit nichts fertig werden können! Rechnen Sie es nur mir nicht zur Last, Hochwürden Herr Caplan … mein einziger Trost ist nur, daß die Hauptsache noch übrig ist! …“

Mit diesen Worten wandte sie sich zu Franzi und nahm ihr das Kissen mit dem Beutel ab. „Gieb her,“ sagte sie halbleise, aber doch laut genug, daß Isidor es hören mußte, „gieb her und pack’ Dich! Wie kannst Du Dich so vordrängen! Du starrst von Schmutz …“ Dann wandte sie sich mit süß lächelnder Miene gegen den Ankömmling, machte eine allen Regeln der Tanzkunst entsprechende tiefe Verbeugung und begann ihre Rede.

Die gekränkte, gescholtene Franzi war, Thränen in den Augen, unter dem Gesinde verschwunden.

(Fortsetzung folgt.)




Alpenbilder.

Von Otto Bauck.
1. Holzfäller und Flößer im Isarthal.

Die Reize der Gemsjagd und des Anstandes auf das edle Hochwild waren es, die den Verfasser dieser Zeilen zuerst in das obere Isarthal der bairischen Alpen lockten, die Natur aber war es, die ihn dort festhielt mit ihren immer neuen Gesichtern. Denn es giebt in der Schweiz gar viele Gegenden, die hoch gepriesen und zahlreich besucht sind und sich dennoch in ihrer Bedeutung


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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 724. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_724.jpg&oldid=- (Version vom 27.12.2022)