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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

hatte, und war ihm noch Etwas undeutlich geblieben in dem verworrenen Gewebe seines Fühlens, wollte er es mit irgend einem Vorwande noch bergen und beschönigen, daß er die Jugendgespielin unbewußt, aber so lange er zu denken wußte, geliebt, so hatte die Empfindung ihn enttäuschen müssen, die ihn durchzuckte, als er ihren Freier bemerkte, als er mit nie gefühltem Schmerz, mit nie geahnter Wehmuth sich gestehen mußte, daß sie für ihn verloren war; daß er kein Recht hatte, dem Glücklichen zu wehren, daß der bloße Gedanke an sie eine Sünde war, ein Verbrechen an seinem Gelübde.

In heißströmendem Gebete sank er vor dem Kreuzbild in der Stube auf’s Knie, in stürmischer Selbstanklage flehte er um Kraft und bat den Herrn, die rettende Hand nach ihm auszustrecken, wie einst nach dem furchtsamen, im Meer versinkenden Jünger.

Es war Nacht geworden, als er noch betete und wachte; da erschollen ernste Klänge vor dem Hause: dem Primizianten wurde dem Brauche gemäß und zum Schlusse seines Festes noch ein Ständchen gebracht – eine tief klagende Grabmusik. Noch einmal sollte er gemahnt werden an den Abschied vom Irdischen und der Gedanke daran sollte ihn im Entschlummern geleiten.

Im Pfarrhofstadel dagegen lag Franzi schon lange zu Bett und schlief. Sie hörte die Trauermusik nicht in ihre Träume hinüber; der Schein des Mondes, der durch eine Dachluke hell den Kammerwinkel beleuchtete, erhellte ein sorglos schlummerndes Kindergesicht.

An der Wand über dem Bette, mit einem Bändchen zusammengeknüpft, hingen das Krönlein, das sie getragen, und Isidor’s Kranz.




2.

Es herbstete ungewöhnlich früh und schnell.

Wenige Wochen waren vorüber und doch hatte das Land ringsum schon vielfach andere Färbung und Gestalt. Vor den Fenstern des Moosrainer-Hofs streckten die Bäume des Obstgartens die Zweige schon fast kahl oder nur mit wenigen gelben Blättern geschmückt empor, darüber hinaus weilte der Blick auf rothen Buchenwipfeln und an den Bergen hin jagte und zog weißes Gewölk, die Spitzen bald verhüllend, bald daran vorüberstürmend, als fände es keinen Halt, sich vor dem Winde daran zu klammern, der vom Strome her über die Stoppelfelder sauste.

„Na meinetwegen, Isidor,“ sagte der alte Moosrainer der neben seinem Sohne in der Prunkstube am Fenster saß, „wenn Du durchaus fort mußt, so mag es in Gottes Namen sein, ich will morgen die zwei Bräunel anschirren und Dich nach Rosenheim hinüberfahren, das laß’ ich mir nicht nehmen. Vielleicht fahrt die Mutter auch mit … Bist aber auch ganz gesund und wieder bei Kräften?“

„Vollständig, Vater,“ erwiderte der jungc Geistliche, indem er sich erhob, gleichsam als wolle er zeigen, daß er nicht zu viel gesagt. „Ich bin so gesund, wie je und sehne mich darnach, endlich zu Thätigkeit und Wirksamkeit zu kommen … das wird mich kräftigen und den letzten Rest des Siechthums verscheuchen, das mich so plötzlich überfallen hat.“

„Ja, ja,“ sagte der Alte mit bedächtigem Kopfschütteln, „es kommt oft geschwind Etwas über den Menschen; bei Dir war’s justament nit zum Verwundern, das viele Studiren und die Erwartung und die Vorbereitung alle, das kann Einen wohl aus dem Gleichgewicht bringen … es hat mich nit einmal recht gewundert, wie Du am Tag nach der Primiz krank gewesen bist und hast ein Fieber gehabt und ein paar Tag’ lang nichts von Dir gewußt! Wenn’s nur auch völlig vorbei ist, denn das ist nit zum Läugnen, Isidor, bleich siehst Du noch aus…“

Der Alte hatte wohl Recht; der junge Mann stand zwar wieder in alter Vollkraft vor ihm, aber das Gesicht, besonders die Stirn leuchtete vor Blässe und in den Augen glimmte Etwas, wie ein unter Asche und Kohle vergrabener Funken.

„Eben deshalb wird eine Luftveränderung mir gut thun,“ sagte er, und vollends der Wirkungskreis an dem mir angewiesenen neuen Posten … ich werde vollauf zu thun und keine Zeit haben, krank zu liegen …“

„Die Mutter hat freilich gemeint, Du solltest wenigstens so lang bleiben, bis der Doctor, der Dich curirt hat, noch einmal gekommen wär’ …“

„Nein, nein!“ rief Isidor hastig und mit einer Geberde entschiedener und fast erschrockener Abwehr, „ich kann hier nicht länger bleiben … ich darf es nicht … Glaubt mir, mein Vater,“ fuhr er etwas innehaltend fort, „meine Pflicht fordert, den mir angewiesenen Posten so schnell wie möglich anzutreten, und dann … jede Stunde, die ich noch hier bleiben müßte, würde meinen Zustand nur verschlimmern …“

„Gut also, morgen wird gereist!“ sagte der Moosrainer gelassen und erhob sich ebenfalls. „Begreife zwar nit, was bei uns so besonders gefährlich sein soll; hätt’ auch sonst ein paar Anliegen gehabt an Dich … aber es eilt nit damit und auf’s Frühjahr, wann’s Gottes Willen ist, komm’ ich und besuch’ Dich auf Deinem Posten, da wirst Du wohl Zeit haben und wirst mir rathen können…“

„Zeit für Euch, Vater?“ rief Isidor. „Als wenn es je gelten könnte, diese erst abzuwarten! Sagt mir Euer Anliegen gleich, und was in meiner Macht steht, wird gewiß geschehen!“

„Es ist eine eigene Sach’,“ sagte der Alte zögernd, „aber Du bist studirt und mußt es besser wissen… Sag’ mir einmal, was halt’st Du von Heimlichkeiten … so von geheimen Zusammenkünften, bei der Nacht und an einem verborgenen Ort?“

„Nicht viel, Vater, ich denke, was gut ist, hat das Licht nicht zu scheuen …“

„Wenn man aber zu etwas Gutem zusammen kommt … zum Beten oder zur Betrachtung?“

„Gleichviel, die Andacht, die sich mit der Nacht verbündet, ist die rechte nicht. Aber was bedeuten diese Fragen? Solltet Ihr in solchem Falle sein?“

Der Moosrainer besann sich. „Das nit,“ sagte er, „aber … ich hab’ davon reden hören und weiß jetzt schon, was ich hab’ wissen wollen …“

„Und Euer zweites Anliegen?“

„Mein zweites Anliegen ist, daß Du mir helfen sollst, für ein armes, braves Kind eine Mutter suchen … Der arme Narr ist in den Windeln Einem vor die Thür hing’legt worden und ich mein’ alleweil, es müßt’ was, wie eine Spitzbüberei dabei sein. Da möcht’ ich gern dahinter kommen, wer das Kind ausgesetzt hat, und Du sollst überall herumschreiben und sollst mir helfen, es heraus zu bringen …“

„Gern, Vater … wer ist das Kind?“

„Du kennst sie gut. Deine ehmalige Spielcameradin ist’s, die Franzi …“

Der Alte wandte sich gegen das Fenster, weil vor dem Hause Stimmen hörbar wurden; auch ohne das wäre wohl ein schärferer Beobachter nöthig gewesen, um die augenblickliche Erregung zu gewahren, die bei diesem Namen über Isidor’s Züge glitt.

„Da kommt die Mutter heim und in aller Eil,“ begann der Moosrainer, „sie winkt und lacht herauf, wird also bald da sein, lassen wir’s also gut sein für heut, vielleicht kann ich Dir morgen während des Fahrens Alles erzählen … Ich weiß doch, daß Du mir hilfst … Du hast ja die Franzi als kleiner Bub gar gern gehabt und ich hab’ lachen müssen, wie Du so da gelegen bist in der Bewußtlosigkeit, und hast manchmal nach ihr gerufen und hast von der Zeit phantasirt, wo Du als Bub mit ihr gespielt hast, im Obstanger unten und draußen auf dem grünen Fleckel vor dem Hof …“

„Fieberreden, Vater,“ sagte Isidor und faßte ergriffen die Hand des Alten. „Phantasieen des kranken Gehirns … sie sind verschwunden vor dem klaren Lichte der Gesundheit!“

Hastige Schritte kamen die Stiege herauf, der Moosrainer öffnete rasch die Thür.

„Muß schon aufmachen,“ rief er lachend der Bäurin entgegen, „sonst fällst Du sammt Deiner Neuigkeit gleich mit der Thür in’s Haus, denn eine Neuigkeit bringst Du, das seh’ ich Dir am Gesicht an!“

„Die bring’ ich auch!“ erwiderte die Bäurin, indem sie sich erschöpft auf einen Stuhl niederließ. „Ach, Du lieber Herrgott, was bin ich gelaufen!“

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