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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

gewesen war, daß derselbe den Deckmantel für eine gewiß nicht geringe Schuld hatte abgeben müssen. Ich wartete wohl zehn Minuten auf eine Veränderung in der Stellung des Mannes, auf ein Zeichen von Leben; aber er verblieb unverändert in seinem dumpfen Hinbrüten.

Ich hatte genug gesehen, die Klappe fiel unhörbar zu.

Dieser Gefangene machte mir einige Tag lang viel zu thun. Seine Verhaftung war ganz unerwartet ausgeführt worden und hatte großes Aufsehen gemacht, es wurde in allen Häusern davon gesprochen.

Schon am folgenden Tage fanden sich eine Menge Leute bei mir ein und verlangten mit Voigtsberg zu sprechen. Sie behaupteten sämmtlich, ihm Geld geliehen zu haben, und nannten nicht selten erhebliche Summen. Später kamen auch Landleute in derselben Absicht zu mir; auch sie wollten Darlehen zurückfordern. Es versteht sich von selbst, daß sich die Leute vergeblich bemüht hatten und ihre Absicht nicht erreichten.

Aus diesen Besuchen und den mir dabei gemachten Mittheilungen ging aber hervor, daß Voigtsberg keineswegs der reiche Mann war, für den er im Orte gehalten wurde, daß er ungeheuer viel Schulden und gewiß zum großen Theil mit fremden Geldern gewirthschaftet hatte. Ich wunderte mich, wie ihm von so verschiedenen Seiten das Geld hatte zugeschleppt, wie ihm dasselbe, ohne irgend welche Sicherstellung, förmlich hatte aufgedrungen werden können. Als ich einen Landmann, der nach und nach über viertausend Thaler geliehen haben wollte, darnach fragte, erwiderte dieser geheimnißvoll: „I, das will ich Ihnen im Vertrauen sagen. Wenn wir Bauern unser Geld in die Sparcasse tragen, so erfährt der Landrath, wie viel wir alle Jahre erübrigen und zurücklegen; der steckt die Nase überall hin, auch in die Bücher der Sparcasse. Und die Folge davon ist? Merken Sie nichts? Na, im nächsten Jahre tritt, wie zufällig, eine Steuer-Erhöhung ein. Und wenn dann reclamirt wird, so hilft das nichts, denn in dem Contobuche der Sparcasse steht es Schwarz auf Weiß, daß Hans oder Kunz so und so viel erspart hat. Bei Voigtsberg hatten wir so Etwas nicht zu befürchten, der ist verschwiegen. Außerdem zahlt er auch vier Procent Zinsen, während die Sparcasse nur drei und ein Drittel Procent giebt.“ –

Voigtsberg sprach niemals über seine Vermögensverhältnisse; er erwähnte auch niemals seiner Frau und seiner Kinder, er that ganz so, als stehe er allein, als habe er da draußen, außerhalb der Gefängnißmauern, keinen Menschen, der Theil an ihm nähme. Ueber seine Führung konnte ich nicht klagen. Den Beamten gegenüber war er anspruchslos und fügsam, nie mürrisch, stets freundlich und heiter und immer aufgelegt, irgend eine humoristische Erzählung aus seinen Erlebnissen zum Besten zu geben. Ganz anders war aber sein Verhalten, wenn er sich unbeobachtet wähnte.

Ich bin oft an seine Zelle herangeschlichen und habe durch die Thüröffnung sein Thun und Treiben unbemerkt belauscht – obschon ich eigentlich diese Spionirlöcher und dies ganze Spionirsystem auf das Tiefste verabscheue. Es gewährte mir unwiderstehliches Interesse, mit eigenen Augen zu sehen, wie ein Mann, der eben erst gescherzt und gelacht, der in der launigsten und unschuldigsten Weise mich unterhalten hatte, wenige Augenblicke später dem größten Trübsinn anheimgefallen war und entweder regungslos auf der Bank saß oder gegen die Wand sich gelehnt hatte und in dieser Stellung Stunden lang verbleiben konnte.

Allein auch umgekehrt habe ich Wahrnehmungen gemacht. Wenn Voigtsberg für nichts weiter Sinn zu haben schien, als für seinen Schmerz, oder auch, wie ich wenigstens annehmen zu müssen glaubte, für seine Schuld, und ich dann so eilfertig, als ich dies nur zu thun vermochte, die Gefängnißthür öffnete, so trat mir derselbe wiederum freundlich, beweglich und gesprächig entgegen; nur einige Male war er nicht im Stande, eine Befangenheit zu unterdrücken, welche die Freiheit seines Auftretens beeinflußte. Die Haft hatte bereits über zwei Monate gedauert, das Mißverständniß sich noch immer nicht aufgeklärt; im Gegentheil, es war Anklage erhoben und Voigtsberg wegen Wechselfälschung definitiv in Anklagestand versetzt worden.

Die Verhandlung vor den Geschworenen war eine der interessantesten, der ich beigewohnt habe. In dem Wechsel, welcher durch Voigtsberg gefälscht sein sollte, war bis auf die Unterschnft jedes Wort lesbar, mit fester Hand und schwarzer Tinte geschrieben. An der Stelle, wo die Unterschrift gestanden haben sollte, waren dagegen nur einige Striche von einer schwachen, dunkeln Färbung ohne allen Zusammenhang erkennbar. Man konnte diese Striche nicht einmal als Theile eines Buchstabens ansehen und mußte sie für Schmutzflecken halten, die zufällig entstanden, aber nicht wieder zu beseitigen waren. Die Staatsanwaltschaft behauptete nun, daß die Unterschrift absichtlich mit Tinte, welche nach und nach verflüchtigt und verblichen, geschrieben und auf diese Weise gefälscht sei. Zum Beweise dieser Behauptung sollte die Unterschrift durch einen Chemiker vor den Geschworenen wieder hergestellt und die Echtheit sodann durch Schreibverständige dargethan werden.

Es war eine eigenthümliche Fälschung und eine ebensolche Beweisführung, das Ergebniß der Untersuchung daher sehr zweifelhaft, und dies erhielt bei Betheiligten und Unbeteiligten eine Spannung, welche sich in Worten gar nicht wiedergeben läßt.

Voigtsberg zeigte sich, wie er im Gefängniß gewesen war, sobald ich oder ein anderer Beamter ihm gegenübergestanden hatte. Frei von jeder Gemüthsbewegung, gab er auf die ihm vorgelegten Fragen lächelnd Antwort; es war keine Unruhe an ihm bemerkbar, und ich sage nicht zu viel, wenn ich behaupte, daß er allein ruhig zu sein schien, während die Hunderte von Menschen, welche der Verhandlung beiwohnten, nicht im Stande waren, eine mit Sorge und Furcht gemischte Neugierde zu unterdrücken. Ich konnte von vielen Gesichtern ablesen, daß an der Schuld des Angeklagten gezweifelt, oder doch, daß tief im Innern gewünscht wurde, der Beweis möge mißglücken, die Schuld nicht dargethan werden und der Angeklagte frei ausgehen, der Gesellschaft und seiner Familie wiedergegeben werden. Bei vielen Anwesenden mochten dies allerdings selbstsüchtige Wünsche sein, denn ich bemerkte darunter viele Gläubiger des Angeklagten, welche in der Erfüllung dieses Wunsches gewiß die einzige Möglichkeit sahen, ihr Geld wieder zu erhalten.

Die Hauptzeugin, eine schon bejahrte Dame, die Wittwe eines Beamten, erzählte, daß sie auf Anrathen eines guten Freundes ihr erspartes und erdarbtes Vermögen, bestehend in eintausend fünfhundert Thalern, aus der Sparcasse entnommen und, um mehr Zinsen zu erhalten, an Voigtsberg geliehen; daß dieser den Schein – so nannte sie den Wechsel – eigenhändig unterschrieben und daß sie die Unterschrift noch in ihrer Wohnung gesehen habe. Als sie kurze Zeit darauf den Schein ihrem guten Freunde habe vorzeigen wollen, sei von der Unterschrift nichts mehr zu sehen gewesen. Sie versicherte hoch und theuer, daß der vorliegende Wechsel derselbe sei, welchen Voigtsberg unterschrieben habe.

Diese Aussage fand nur eine entfernte Unterstützung in dem Zeugnisse des „guten Freundes“ und einer andern Dame, welche Beide bekundeten, daß die Wittwe ihnen mitgetheilt habe, sie wolle dem Angeklagten Geld leihen. Die Sache lag so, daß eine Freisprechung zu erwarten war, wenn die Unterschrift nicht hergestellt werden konnte. Der chemische Sachverständige trat vor; ihm zur Seite befanden sich die Schreibverständigen.

Während der Erstere die nothwendigen Vorbereitungen traf, nahm Voigtsberg, der bis dahin aufrecht gestanden hatte, auf der Verbrecherbank Platz. Er mußte müde geworden sein, er stützte den Kopf durch Auflegen auf die rechte Hand. Auf das, was der Sachverständige vornahin, hatte er gar keine Aufmerksamkeit, nicht ein einziges Mal wandte er den Kopf nach der Stelle hin, wo dieser sich beschäftigte. Ich hatte ebenfalls nicht darauf geachtet, vielmehr unausgesetzt nur Voigtsberg im Auge behalten, weil dieser allein mich interessirte. Da, wie durch eine Feder emporgeschnellt, sprang Voigtsberg von seinem Sitze in die Höhe, die Hände griffen nach der Lehne der Bank und klammerten sich hier krampfhaft fest, der Kopf beugte sich in der Richtung, in welcher die Sachverständigen thätig waren, weit vor, so daß ich fürchtete, der Oberkörper müsse das Uebergewicht erhalten und ein Niederstürzen herbeiführen; das Auge hatte sich ganz ungewöhnlich vergrößert und war stier geworden, und in dem Gesicht drückte sich eine Angst des Herzens und der Seele aus, welche unwillkürlich Entsetzen einflößte. Dieser Zustand war durch mehrstimmige Ausrufungen veranlaßt.

Der chemische Sachverständige hatte die Unterschrift hergestellt; das allmähliche Klarwerden der Schriftzüge und endlich das vollständige Gelingen seines Unternehmens hatten jene Ueberraschung und Freude ausdrückenden Rufe laut werden lassen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 718. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_718.jpg&oldid=- (Version vom 12.11.2022)