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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Krieg von 1831 riß den achtzehnjährigen Jüngling aus seinen stillen Studien und führte ihn auf drei Jahr in das Baseler Jägerbataillon, um als Zunftbürger in Schaffhausen, der schon sein Vater gewesen, gegen die Uebergriffe der Landgemeinden Partei zu nehmen. Nach Schweizer Art wurde er früh schon auf das Praktische hingeleitet. Als er 1833 ein Berufsfach wählen mußte, da wählte er durch den Einfluß des freisinnigen de Wette die Theologie, und die liberal-rationalistische Richtung de Wette’s blieb der theologische Grundzug Schenkel’s. In Göttingen wurde er nicht nur in derselben theologischen Richtung durch Lücke und Gieseler bestärkt, sondern auch zur Erforschung der älteren Kirchengeschichte und des Urchristenthums angeregt. Von 1838 bis 1841 wirkte er als Privatdocent in Basel, als Lehrer am dortigen Gymnasium und als Redacteur der Baseler Zeitung im politisch und kirchlich liberalen Sinne und durch die Kämpfe mit der katholisirenden Partei in Schaffhausen kam er als erster Prediger und Kirchenrath an das Münster daselbst. Hier mußte er als Vorsteher des Schulwesens, Ephorus des Gymnasiums und als Kirchenhaupt nur auf praktische Wirksamkeit bedacht sein; ein freisinniges Schulgesetz und die Oberleitung einer radical gesinnten Gemeinde bildeten die nächste Thätigkeit, und die Kirchen-Reformen, wie die Abschaffung des Eides auf die helvetische Confession, die Errichtung einer demokratischen Kirchenbehörde, folgten nach. Das erste große dreibändige Werk Schenkel’s: „Wesen des Protestantismus (1847)“ verschaffte ihm 1850 einen Ruf als Professor nach Basel, im Jahre 1851 nach Heidelberg, wo er sich noch befindet und in freisinniger Weise wirkt. Die Versuche Bethmann-Hollweg’s, des Mannes der Schulregulative, Schenkel für Bonn zu gewinnen, scheiterten; er glaubte in Heidelberg besser am Platze zu sein, wo er durch seine vermittelnde Richtung die noch damals herrschende kirchliche Reaction zu besiegen hoffte. Und dieser Sieg ist ihm gelungen. Nach vier Jahren des Kampfes mit den kirchlichen Versammlungen (1851 bis 1855) ist es ihm von 1855 bis 1865 gelungen, eine freisinnige Strömung innerhalb der badischen Kirche herbeizuführen, das Concordat zu beseitigen, die Lehrfreiheit herzustellen, das Christenthum der aufgeklärten Anschauung näher zu bringen und auf Regierung und Regierte einen wohlthätigen Einfluß zu üben.




Aus den Erinnerungen eines Gefängnißinspectors.
3. Der Trost einer armen Wittwe.

In den Gefängnissen macht sich zu Zeiten eine Anhäufung gewisser Arten von Verbrechern bemerkbar. Namentlich ist das der Fall bei Meineidigen, bei Verbrechern gegen die Sittlichkeit, bei Kindesmörderinnen und bei Fälschern. Es ist gar nicht selten, daß diese Verbrechen längere Zeit hindurch nur ganz vereinzelt dastehen und daß dann urplötzlich aus den verschiedensten Classen der Gesellschaft sich eine Menge von jener Vergehen Angeschuldigten zusammenfinden und gleichzeitig das Gefängniß bevölkern. Ob dies reiner Zufall ist, oder ob dies durch irgend eine gleichartige geistige Einwirkung verursacht wird, das mag hier, wo nur erzählt werden soll, dahingestellt bleiben.

Vor einiger Zeit waren die Fälscher in dem Gefängnisse, das ich zu beaufsichtigen hatte, eine wahre Seltenheit. Da, mit einem Male, kamen an einem Tage vier und im Laufe derselben Woche noch sechs Fälscher zur Haft. Die Zahl steigerte sich in einem Zeitraume von noch nicht ganz drei Wochen auf siebzehn. Dann hörte die Zunahme wieder auf.

Bei dieser Gruppe Fälscher war die gleichartige Verübung des Verbrechens oder, was wohl bezeichnender ist, die Benutzung desselben Mittels zur Ausführung der That auffällig: es waren in der überwiegenden Mehrzahl sogenannte Wechselfälscher. Charakteristisch zeigten sich indeß nur zwei Persönlichkeiten, ein Kaufmann und ein gewöhnlicher Handwerker. Beide standen auf verschiedener Bildungsstufe und hatten in verschiedenen Gesellschaftskreisen sich bewegt. Der Eine hatte im Ueberflusse und alle Tage scheinbar als reicher Mann herrlich und in Freuden gelebt, der Andere im Schweiße seines Angesichts sein Brod gegessen; und dennoch hatten Beide dasselbe Mittel gewählt, um widerrechtlich Vortheile zu erwerben und sich zu bereichern.

Der Kaufmann Voigtsberg – von dem ich zuerst erzählen will – war nicht gerade ein schöner Mann, denn dazu fehlte die Uebereinstimmung der Körperformen, aber er verband mit einem passabeln Aeußern eine geschmeidige Gelenkigkeit in seinen Bewegungen und eine äußerst biegsame, einschmeichelnde Sprache, so daß er immer als eine angenehme Erscheinung gelten konnte.

Ich hatte noch keinen Gefangenen beherbergt, der mit so heiterm Sinn die Schwelle des Gefängnisses überschritten hatte; ich behaupte nicht zuviel, wenn ich sage: er tanzte lächelnd und singend darüber hinweg.

Als er sich in dem kleinen Raume umgesehen und außer Tisch und Bank nichts von Geräthschaften wahrgenommen hatte, hörte er zwar auf mit Singen, aber er lachte so laut und so anhaltend, daß es mir ganz unheimlich wurde. Ich dachte mir, daß der Ort, wo wir uns befanden, unter allen Umständen so entsetzlich sein müsse, daß wenigstens bei dem ersten Betreten ein Ergriffensein gar nicht unterdrückt werden könne, und vermochte nicht herauszufinden, weshalb Voigtsberg hiervon eine Ausnahme machte. Dieser ließ mir auch nicht viel Zeit Betrachtungen anzustellen, er trat, immer noch lachend, dicht an mich heran, und lachend fragte er:

„Herr Inspector, ist das Alles, was Sie mir bieten?“

„Nein!“ erwiderte ich kurz.

„Und was habe ich,“ fragte er weiter, „von Ihrer Güte noch zu erwarten?“

„Einen Strohsack mit Decke,“ versetzte ich ernst.

„Sonst nichts?“

„Zunächst nichts mehr.“

„Das ist allerdings wenig,“ entgegnete hierauf Voigtsberg, „indeß für einen genügsamen Menschen, wie ich bin, immerhin genug, um selbst einige Tage lang damit auszukommen.“

„Aber auch auf länger?“ fragte ich unwillkürlich.

„Ich denke, daß ich das nicht nöthig haben werde,“ versetzte er leichthin. „Mein Hiersein ist lediglich Folge eines Mißverständnisses, das sich jedenfalls bald aufklären wird. Dann –“

Er vollendete nicht, wendete sich vielmehr von mir ab und schritt in der Zelle auf und nieder. Ich hörte nicht mehr lachen und singen, Voigtsberg war mit einem Male still und auch ernst geworden.

Das überraschte mich nicht; die Lustigkeit konnte auf eine lange Dauer nicht vorhalten, sie mußte dem Ernste Platz machen. Die Umwandlung war mir nur ein wenig zu schnell und eigentlich ohne zureichende Veranlassung eingetreten; meine Frage, auf die er ja auch hätte vorbereitet sein müssen, konnte unmöglich tief eingewurzelte Gewohnheiten so urplötzlich beseitigen, nicht so im Umsehen den Frohsinn bannen, den finstern Ernst heraufbeschwören und so den Charakter des Mannes ändern.

Sollte er es auf eine Täuschung abgesehen haben?

Mit diesen Gedanken trat ich aus dem Gefängnisse heraus, schloß die Thür ab, hing das große, schwere Vorlegeschloß mit Geräusch in die eiserne Krampe und entfernte mich mit festen, starken Schritten.

Jede Gefängnißthür hat eine mit einer Klappe geschlossene kleine Oeffnung, welche dazu dient, das Thun und Treiben des Gefangenen belauschen zu können. Die Klappe kann nur von außen weggeschoben werden, und wenn das mit Vorsicht ausgeführt wird, so wird innerhalb der Zelle davon gar nichts wahrgenommen.

Ich wollte wissen, wie Voigtsberg sich nach meiner Entfernung benehmen werde, und kehrte daher leisen Trittes zur Thür zurück, schob die Klappe unhörbar fort und sah nun durch die kleine Oeffnung in das Gefängniß hinein.

Voigtsberg saß auf der Bank, die Arme ruhten ausgestreckt auf dem Tische, der Kopf war tief auf die Brust herabgesunken; in das Gesicht konnte ich nicht blicken. Er rührte sich nicht. Ich hatte ein Bild der tiefsten Niedergeschlagenheit, der größten Muthlosigkeit vor mir. Dies überzeugte mich, daß der Frohsinn erheuchelt

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