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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Das war Carolinens Leiden.

Der Ort Bösleben war ihr verleidet. Sie verkaufte das Gut an den Fürsten von Schwarzburg, von dem es dann die Gemeinde zur Einrichtung einer Schule erwarb. Dem Andenken des Sohnes aber errichtete sie eine noch jetzt in Ehren gehaltene Stiftung, der zufolge an dem nach dem Todestage des Sohnes folgenden Sonntage eine kirchliche Feier an dem Grabe stattfindet, zwei arme Knaben neu gekleidet und die Schulkinder mit Schulsachen beschenkt werden. In von der Stifterin sinnig erdachter Weise tragen die beschenkten Knaben und die beiden ersten Schulmädchen dem Zuge der Kinder voran Kränze und hängen sie dann als Todtenopfer an die vier Marksteine des Grabes, statt der im Jahreslauf verwelkten und verwehten: ein Symbol der sich ewig erneuernden Erinnerung. Im nächsten Jahre nach des Sohnes Tode brach auch das treue Schwesterherz Charlottens, zu Bonn am Rhein.

So war Schiller todt, der Gatte und der Sohn todt, die Schwester gestorben – Caroline war vereinsamt. Ihr Herz, wie immer das Herz der Einsamen, kehrte sich zum Glauben: „Das Licht auf Erden ist erloschen, nur das von oben kann auf mich herniederleuchten.“

So warf sie sich, nachdem sie geirrt, gelitten und geliebt, in die Arme der allerbarmenden Liebe.

Längere Zeit wohnte Caroline in Schiller’s ehemaligem Gartenhaus in Jena.

Als dies für anderweite Zwecke bestimmt war, zog sie auf ein auf der Nordseite der Stadt vor dem Thore gelegenes Landgut (das sogenannte Meister’sche Gut), das noch heute mit ihrer Gedenktafel geziert ist. In dem Gärtchen am Hause wandelte sie oft am Arme ihrer treuen Dienerin. Und ich erinnere mich aus meiner Kinderzeit, als mich der Weg in meiner Eltern Garten oft dort vorbeiführte, des tiefen Eindruckes noch, den die ehrwürdige Greisin auf den Knaben, der weder die Bedeutung, noch das Schicksal der Frau kannte, blos durch ihre äußere, ehrfurchterweckende Erscheinung machte. Ihr Leben nährte und fristete sich an den großen Erinnerungen aus ihrer Vergangenheit, von denen sie einen Theil niederlegte in ihrem Leben Schiller’s.

Fürsten- und Gelehrtenhuld umgab sie. Indeß starben nacheinander alle ihre großen Freunde und Freundinnen. Unter den Ersten der Großherzog Karl August, dann bald auch der große Meister Goethe – und als im Beginn des Jahres 1847 auch ihr Herz brach – war sie die letzte Todte aus Weimars großer Zeit. Auf dem Friedhof zu Jena ruht das irrende, leidende und liebende Herz Carolinens, drei Meilen gen Westen in der Fürstengruft zu Weimar ruht das Herz ihres großen Freundes Schiller, aber weit entrückt an den Ufern des Rheines ruht Charlotte. Die einst im Leben Eins gewesen in der Liebe, sie sind im Tode weit voneinander getrennt. Und doch haben sie alle Drei eine gemeinsame Ruhestätte – in dem Herzen des deutschen Volkes.

Wie im Volksmund lebt die Sage vom Grafen von Gleichen, also wird nach Jahrhunderten noch im Herzensschooß des deutschen Volkes die Sage erklingen von der Dreieinigkeit ihrer edlen Seelen.

Fr. Helbig.




Blätter und Blüthen.

Das Vaterhaus Don Juan’s von Oesterreich – ist der Regensburger Gasthof zum goldenen Kreuz, der seit mehr als drei Jahrhunderten besteht. Kaiser Karl der Fünfte scheint nicht nur während der Reichstage, sondern auch außerdem gern in demselben verweilt zu haben, denn ihn zog dorthin die schöne Barbara Plumberger, welche die Mutter des Don Juan d’Austria geworden ist. Bekanntlich wurde dieser Halbbruder Philipp’s des Zweiten in Spanien und als Spanier erzogen und zeichnete sich als einer der größten spanischen Helden zu Land und Meer aus. Die Ausrottung der Morisken in Spanien, die Vernichtung der türkischen Seemacht bei Lepanto und die Eroberung von Tunis sind seine berühmtesten Thaten. Philipp’s des Zweiten Mißtrauen, daß er nach einem eigenen Throne strebe, brachte vieles Leid über ihn; dies und sein ruheloses Leben, oder auch Gift, verursachten seinen frühen Tod. Er starb, noch nicht dreiunddreißig Jahre alt, im verschanzten Lager bei Namur, 1578, als Statthalter der Niederlande. Sein Leichnam ruht neben dem seines Vaters, Karls des Fünften, im Escurial. Sein deutsches Geburtshaus aber ist in diesen Tagen mit seinem wohlgelungenen Portraitmedaillon und folgenden altdeutschen Versen in Spruchbändern geziert worden:

In diesem hauss vonn alter art
Hat oft geruet nach langer fahrdt
Herr Keyser Carl der fünfft genandt,
In aller welt gar wol beckhannt,
Der hat auch hie zue gueter stundt
Geküsset einer Jungkfraw mundt.

Dieselb die hiess bey fern vnnd nah
Man nur die scheene Barbara,
Ir Stamm war pieder, schlicht vnd recht,
Plumberger schrieb sich dass geschlecht,
Dem bracht des Keysers Lieb vil leid.
Doch trost vnd Heil der Christennhait.

Dann drauss erwuchs, dem Vatter gleich,
Der Don Juan vonn Oesterreich,
Der bey Lepanto inn der schlacht
Vernichtet hat der Türckhenn Macht,
Der Herr vergelts Ihm alle zeit
So yetz wie auch inn Ewigkheit.

Weil aber solch ain thewrer Heldt
Vnd Retter fuer dy gantze welt,
Zue Regenspurg geporen war,
So stellt sich hie sein bildtnuss dar.
Ir wisst nun, was Ir wissen solt,
Erzelt es weiter wann Ir wolt!

Solchen Häuserschmuck, der dem Volke die Geschichte vermittelt, es an große Ereignisse, Thaten und Menschen erinnert, sollte keine Stadt und kein Ort vermissen lassen, der dadurch ausgezeichnet ist: hier ist ein Feld für die bildenden Künste, würdiger und nützlicher zugleich, als die ewige Fürsten- und Heiligen-Verherrlichung.


Ein deutscher Schneider als Lord-Mayor der Londoner City. Zur höchsten Magistratswürde des britischen Reichs, zur Würde eines Lord-Mayors von London, wurde am 29. September der Alderman Philipps gewählt. Die große, reiche, erleuchtete und unabhängige Körperschaft der City Londons hat sich nicht gescheuet, einem Manne Macht und Einfluß zu übertragen, welcher vor etwa fünfunddreißig Jahren als deutscher Schneidergeselle nach London gekommen, vor dreißig Jahren noch daselbst mit Glas hausiren gegangen war und nun als Lord-Mayor einen Einfluß übt, um welchen so mancher Fürst ihn beneiden möchte. Philipps unternahm später ein Geschäft mit Stickwolle, erwarb dabei ein großes, ja ungeheures Vermögen und wußte nicht nur durch die allmählich nachgeholte Bildung, sondern auch durch seine geschäftliche Noblesse und Gewissenhaftigkeit, durch seine mercantile und communale Intelligenz so sehr die Achtung zu gewinnen, daß die größte Corporation des Königreichs ihm den höchsten Beweis des Vertrauens gab, als sie ihn mit einem Amte betraute, das zuweilen an Wichtigkeit den Obliegenheiten eines Gesetzgebers gleichkommt. Philipps ist aber nicht nur ein Deutscher, sondern auch ein Jude, und dieser Triumph der Humanität ist um so höher anzuschlagen, als es noch nicht hundert Jahre her sind, als die City das Parlament nöthigen wollte, die Toleranz-Acte zu widerrufen und den Juden die Naturalisation zu verweigern. Nach drei Generationen feiert die bürgerliche und religiöse Freiheit ihren Triumph und die City verleihet einem Juden und Deutschen die höchste Würde, die sie zu vergeben hat. Den 29. September 1855 sah London den ersten Juden und nach zehn Jahren den ersten deutschen Juden als – Lord-Mayor.


Werke der Barmherzigkeit. Sie brachten in Ihrem geschätzten Blatte vor Kurzem einen sehr interessanten Bericht über die Organisation des „Rauhen Hauses“ zu Hamburg. Es wird nicht ganz uninteressant sein, das Wirken eines Vereins zu schildern, der auch Werke der Barmherzigkeit übt, ohne daß er für eine bestimmte dogmatisch-kirchliche Richtung Propaganda macht. In Oberhessen, wo sich, nebenbei bemerkt, im ehemaligen Kloster Arnsburg auch eine Erziehungsanstalt für verwahrloste Kinder ganz nach dem Vorbild des Rauhen Hauses befindet, zieht sich zwischen kurhessischem, nassauischem und preußischem Gebiet ein schmaler hessen-darmstädtischer Landstrich hin, das sogenannte Hinterland. Die Bewohner desselben sind großentheils arm, denn die bergigen Grundstücke liefern nur geringen Ertrag und die Leute müssen sich durch Fuhren für die an der Lahn, der Dill, der Eder u. a. w. etablirten Eisenhütten, durch Verkohlen von Holz, Taglohn in der Wetterau und am Rhein, Stricken u. dergl. zu ernähren suchen. Es kann bei dieser Lebensweise nichts Seltenes sein, daß Kinder hier und da keine rechte Erziehung erhalten. Um den dadurch hervorgerufenen Uebeln zu steuern, hat sich ein Verein gebildet, der sehr praktisch für die Erziehung dieser verwahrlosten Kinder sorgt. Er schließt Verträge mit tüchtigen Bauern, Handwerkern etc., die ein Herz für ein derartiges Kind haben, ab, giebt ihnen die Kinder in Pflege und bezahlt für dieselben vierzig Gulden jährlich. Die Kinder werden dafür in die Schule geschickt, gekleidet, genährt und erhalten diejenige Erziehung, die sich für ihre Verhältnisse schickt. Aber sie werden nicht zu orthodoxen scheinheiligen Betbrüdern und Betschwestern abgerichtet. Das Mittel ist so einfach und dabei so gut, es hat schon so schöne Früchte getragen, obwohl es erst wenige Jahre angewandt wird, daß man es allen Menschen, welche sich für die armen verlassenen Kinder interessiren, mit gutem Gewissen empfehlen kann, denn es empfiehlt sich selbst und dient nicht zum Verkleistern anderer, schließlich nach Rom hin führender Zwecke.


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 704. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_704.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2022)